Curtis O'Keefe lächelte versonnen.
In der Halle herrschte nun reges Treiben. Eine Gruppe neuer Gäste war gerade eingetroffen und trug sich ein, während einige Nachzügler noch das Gepäck nachprüften, das von einem Flughafenbus abgeladen wurde. Vor dem Empfangstisch hatte sich eine kleine Schlange gebildet. O'Keefe blieb stehen und sah zu.
In diesem Moment bemerkte er etwas, das offenbar bis jetzt noch niemandem aufgefallen war.
Ein gut gekleideter Neger in mittleren Jahren kam, einen Koffer in der Hand, durch die Halle geschlendert, so unbekümmert, als machte er seinen nachmittäglichen Spaziergang. Er trat an den Empfangstisch, stellte seinen Koffer ab und reihte sich in die Schlange ein.
Der Wortwechsel, der wenig später folgte, war deutlich vernehmbar.
»Guten Morgen«, sagte der Neger. Seine Stimme - der Aussprache nach stammte er aus dem mittleren Westen - klang freundlich und kultiviert. »Ich bin Dr. Nicholas; Sie haben ein Zimmer für mich reserviert.« Während des Wartens hatte er seinen scharzen Homburg abgenommen; sein sorgfältig gebürstetes Haar war eisengrau.
»Ja, Sir. Würden Sie sich bitte eintragen, Sir.« Der Angestellte am Empfang leierte sein Sprüchlein mechanisch herunter, ohne aufzublicken. Dann hob er den Kopf, und seine Miene erstarrte. Seine Hand schnellte vor und zog den Anmeldeblock zurück, den er dem Gast gerade erst hingeschoben hatte.
»Bedaure«, sagte er entschieden, »das Hotel ist besetzt.«
»Mein Zimmer ist bestellt«, erwiderte der Neger gelassen. »Ich besitze eine Bestätigung des Hotels.« Er zog seine Brieftasche heraus, aus der einige Papiere hervorragten, und nahm eines davon heraus.
»Tut mir leid, das muß ein Versehen sein.« Der Angestellte warf einen flüchtigen Blick auf den Brief, der vor ihm lag. »Wir haben im Moment einen Kongreß im Haus.«
»Ich weiß.« Der andere nickte; sein Lächeln war matter geworden. »Den Zahnärztekongreß. Ich gehöre nämlich dazu.«
Der Angestellte schüttelte den Kopf. »Bedaure, aber ich kann nichts für Sie tun.«
Der Neger steckte seine Brieftasche weg. »In diesem Fall möchte ich mit jemand anderem sprechen.«
Während des Gesprächs hatten sich weitere Neuankömmlinge an die Schlange vor dem Empfangstisch angeschlossen. Nun erkundigte sich ein Mann in einem Regenmantel ungeduldig: »Was ist los da vorn? Geht's nicht bald weiter?« O'Keefe blieb wie angewurzelt stehen. Er hatte das Gefühl, in der nun von Menschen wimmelnden Hotelhalle ticke eine Zeitbombe, die jeden Moment explodieren würde.
»Sie können mit dem stellvertretenden Minager sprechen«, sagte der Angestellte und rief, sich über den Tisch beugend, mit schriller Stimme: »Mr. Bailey!«
Am entgegengesetzten Ende der Halle blickte ein ältlicher Mann von einem in einer Nische stehenden Schreibtisch hoch.
»Mr. Bailey, würden Sie bitte mal herüberkommen?«
Der stellvertretende Manager nickte und hievte sich mit einem Anflug von Müdigkeit aus seinem Sessel. Während er gemächlich herüberkam, breitete sich über sein faltiges, gedunsenes Gesicht das Lächeln des professionellen Begrüßers.
Ein alter Angestellter, dachte Curtis O'Keefe, dem man zum Lohn für langjährige treue Dienste hinter dem Empfangstisch einen Sessel und Schreibtisch in der Halle eingeräumt hatte, mit der Befugnis, geringfügige Probleme selbst zu lösen. Der Titel eines stellvertretenden Managers war hier, wie in den meisten Hotels, nur ein Zugeständnis an die Eitelkeit des Publikums; er sollte die Gäste zu dem Glauben verleiten, sie hätten es mit einer bedeutenden Persönlichkeit zu tun. Die wirklich wichtigen Leute befanden sich jedoch in den Verwaltungsbüros außer Sichtweite.
»Mr. Bailey, ich habe dem Gentleman hier bereits erklärt, daß das Hotel voll belegt ist.«
»Und ich habe darauf hingewiesen, daß mir das Hotel die Zimmerreservierung bestätigt hat.«
Der stellvertretende Manager lächelte gutmütig in die Runde; sein offenkundiges Wohlwollen umfaßte auch die Schlange der wartenden Gäste. »Nun ja«, sagte er beschwichtigend, »wir müssen eben sehen, was sich tun läßt.« Er legte eine mollige, nikotinverfärbte Hand auf den Ärmel von Dr. Nicholas' teuren Maßanzug. »Würden Sie so freundlich sein, drüben Platz zu nehmen?« Während er mit dem Neger auf die Nische zusteuerte, füge er hinzu: »Leider kommt es immer wieder mal zu so einem Versehen. Wir tun natürlich unser möglichstes, um es auszubügeln.«
Curtis O'Keefe gab im stillen zu, daß der ältliche Mann sich auf sein Fach verstand. Höflich und ohne viel Aufhebens hatte er eine Szene, die äußerst peinlich hätte werden können, von der Mitte der Bühne in die Seitenkulissen manövriert. Inzwischen hatte auch der Empfang Verstärkung bekommen, so daß die wartenden Gäste schnell abgefertigt werden konnten. Nur ein verhältnismäßig junger, breitschultriger Mann, dem eine dicke Brille ein eulenhaftes Aussehen gab, war aus der Reihe getreten und beobachtete, wie sich die Dinge weiterentwickelten. Nun ja, dachte Curtis O'Keefe, vielleicht kommt es doch nicht zu einer Explosion. Trotzdem harrte er aus.
Der stellvertretende Manager bot Dr. Nicholas einen Sessel an und ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder. Mit undurchdringlicher Miene lauschte er aufmerksam dem Bericht des Negers, der im wesentlichen das wiederholte, was er bereits am Empfangstisch vorgebracht hatte.
Schließlich nickte der ältliche Mann. »Nun, Doktor -«, er schlug einen forschen geschäftsmäßigen Ton an, »ich möchte mich wegen des Mißverständnisses bei Ihnen entschuldigen. Ich bin sicher, wir können in der Stadt eine andere Unterkunft für Sie finden.« Mit der einen Hand zog er das Telefon heran und hob den Hörer ab, mit der anderen nahm er verstohlen ein Blatt Papier vom Schreibtisch, das eine Liste von Telefonnummern enthielt.
»Moment mal!« Zum erstenmal bekam die weiche Stimme des Gastes eine gewisse Schärfe. »Sie behaupten, das Hotel wäre belegt. Aber wie ich sehe, fertigen Ihre Angestellten am laufenden Band neue Gäste ab. Haben die vielleicht eine besondere Sorte von Reservierungen?«
»So könnte man es nennen, schätze ich.« Das berufsmäßige Lächeln war verschwunden.
»Jim Nicholas!« schallte es lärmend fröhlich durch die Halle. Ein kleiner alter Mann mit einem lebhaften runden Gesicht unter einem Schopf widerspenstigen weißen Haars kam mit hastigen Trippelschritten auf die Nische zu.
Der Neger stand auf. »Dr. Ingram! Wie schön, Sie hier zu sehen!« Er streckte seine Hand aus, die der andere kräftig schüttelte.«
»Wie geht's, Jim, mein Junge? Nein, antworten Sie mir nicht! Ich kann selbst sehen, daß es Ihnen gut geht. Erfolg haben Sie auch, wenn mich meine Augen nicht täuschen. Ihre Praxis blüht, nehme ich an.«
»Ja, danke.« Dr. Nicholas lächelte. »Natürlich kostet mich die Arbeit an der Universität eine Menge Zeit.«
»Wem sagen Sie das! Als ob ich das nicht wüßte! Ich bringe mein ganzes Leben damit zu, Burschen wie Sie zu unterrichten, und dann fliegt ihr aus und verschafft euch eine einträgliche Praxis.« Als der andere breit grinste, fügte er hinzu: »Na, Sie haben sich jedenfalls als Forscher und Praktiker bewährt. Ihre Abhandlung über bösartige Mundtumore hat ziemlich viel Aufhebens gemacht, und wir freuen uns alle auf einen Bericht aus erster Hand. Übrigens werde ich das Vergnügen haben, Sie auf dem Kongreß einzuführen. Sie wissen wohl schon, daß man mich diesmal zum Präsidenten ernannt hat?«