Выбрать главу

Nach einiger Zeit trug sein Warten Früchte. Einer der Angestellten, ein junger Mann mit lichtem, gewelltem Haar, wirkte unsicher und gelegentlich nervös. Keycase schloß daraus, daß er neu auf seinem Posten war.

Die Anwesenheit des jungen Mannes bot ihm eine Möglichkeit, die zu verwerten jedoch ein gewagtes und beschwerliches Unterfangen war. Andererseits war die günstige Gelegenheit vielleicht auch ein Omen. Er beschloß sie auszunützen und sich dabei einer Technik zu bedienen, die er schon früher angewandt hatte.

Die Vorbereitungen würden wenigstens eine Stunde erfordern. Da es jetzt am späten Nachmittag war, mußten sie vollendet sein, bevor der junge Mann seinen Dienst hinter sich hatte. Keycase eilte aus dem Hotel. Sein Ziel war das Kaufhaus Maison Blanche auf der Canal Street.

Mit seinem Geld sparsam umgehend, kaufte Keycase billige, aber umfangreiche Gegenstände - zumeist Spielsachen - und wartete geduldig, während jeder einzelne in die charakteristische Maison-Blanche-Schachtel verpackt wurde. Endlich verließ er mit einem Arm voll Paketen, die er kaum zu tragen vermochte, den Laden. Er machte zusätzlich in einem Blumengeschäft halt, wo er seine Einkäufe mit einer großen, blütenbedeckten Azalee krönte, und kehrte dann ins Hotel zurück.

Am Eingang von der Carondelet Street lief ein uniformierter Türsteher hastig herbei, um ihm die Tür weit aufzuhalten. Der Mann lächelte Keycase zu, der hinter seiner Last von Päckchen und der blühenden Topfpflanze kaum zu sehen war.

Drinnen im Hotel trödelte Keycase, dem Anschein nach eine Reihe von Schaukästen betrachtend, in Wirklichkeit jedoch zwei Dinge abwartend. Das eine war eine Ansammlung vor dem Empfang, das zweite das Wiederauftauchen des jungen Mannes, den er vorher beobachtet hatte. Beides ereignete sich fast sofort.

Angespannt und herzklopfend steuerte Keycase auf den Empfang zu.

Er war der dritte in der Reihe, die sich vor dem jungen Mann gebildet hatte. Gleich danach stand nur noch eine Frau mittleren Alters vor Keycase, die ihren Schlüssel bekam, nachdem sie ihren Namen genannt hatte. Im Begriff sich abzuwenden, fielen ihr noch einige Fragen ein. Der junge Mann zögerte mit den Antworten. Keycase sah mit Ungeduld, daß sich die Gruppe von Menschen vor dem Empfangstisch lichtete. Einer der anderen Angestellten war bereits frei und blickte herüber. Keycase mied sein Auge und schickte ein Stoßgebet gen Himmel, daß die Beratung vor ihm enden möge.

Schließlich zog die Frau ab. Der junge Empfangsangestellte wandte sich Keycase zu und lächelte dann - wie der Türsteher -unwillkürlich über den von der Azalee gekrönten unhandlichen Stoß von Paketen.

In beißendem Ton benutzte Keycase eine vorher einstudierte Wendung. »Es ist bestimmt sehr komisch. Aber wenn's nicht zu viel Mühe macht, würde ich gern den Schlüssel von 973 haben.«

Der junge Mann lief rot an, sein Lächeln erstarb. »Gewiß, Sir.« Verwirrt schwang er herum und griff nach dem Schlüssel.

Beim Erwähne n der Zimmernummer hatte Keycase beobachtet, daß einer der anderen Receptionisten einen Blick zu ihnen herüber warf. Es war ein kritischer Moment. Die Nummer der Präsidentensuite mußte gut bekannt sein, und das Eingreifen eines erfahrenen Angestellten konnte Entlarvung bedeuten. Keycase schwitzte.

»Ihr Name, Sir?«

Keycase fauchte: »Was ist das - ein Verhör?« Zugleich damit ließ er wohlweislich zwei Päckchen fallen. Eines blieb auf dem Empfangstisch liegen, das andere plumpste hinter dem Tisch zu Boden. In äußerster Verlegenheit hob der junge Angestellte beide auf. Sein älterer Kollege wandte sich mit einem nachsichtigen Lächeln ab.

»Entschuldigen Sie bitte, Sir.«

»Schon gut.« Keycase nahm die zwei Päckchen in Empfang, rückte die anderen zurecht und streckte die Hand nach dem Schlüssel aus.

Den Bruchteil einer Sekunde lang zögerte der junge Mann. Dann gewann das Bild, das Keycase hervorzurufen gehofft hatte, die Oberhand: das Bild eines erschöpften, enttäuschten Käufers, der seiner grotesken Last kaum Herr wurde; der Inbegriff der Respektabilität, wie die vertraute Maison-Blanche-Verpackung bezeugte; ein bereits erboster Gast, den man nicht weiter reizen durfte...

Ehrerbietig händigte der Empfangsangestellte den Schlüssel von 973 aus.

Während Keycase gemächlich zu den Fahrstühlen hinüberschlenderte, nahm der Betrieb vor dem Empfang wieder zu. Ein flüchtiger Blick über die Schulter zeigte ihm, daß die Angestellten stark beschäftigt waren. Gut! Die Wahrscheinlichkeit, daß man den Vorfall besprach und womöglich Verdacht schöpfte, verringerte sich damit. Dennoch mußte er den Schlüssel möglichst schnell zurückbringen. Seine Abwesenheit konnte zu Fragen und Argwohn Anlaß geben, und das war besonders gefährlich, da das Hotel bereits alarmiert war.

Zum Fahrstuhlführer sagte er: »Neun« - eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall, daß jemand gehört hatte, wie er den Schlüssel für ein Zimmer in der neunten Etage verlangte. Nach dem Aussteigen trödelte er, indem er Pakete zurechtschob, bis die Türen hinter ihm zugeglitten waren, und steuerte dann schleunigst die Personaltreppe an. Sein Zimmer befand sich nur ein Stockwerk tiefer. Auf einem Treppenabsatz, auf halbem Wege, stand eine Abfalltonne. Er stopfte die Azalee, die ihren Zweck erfüllt hatte, hinein. Einige Sekunden später war er in seinem Zimmer, der Nummer 830.

Die Päckchen verstaute er hastig in einem Wandschrank. Morgen würde er sie in das Kaufhaus zurückbringen und sich das Geld rückerstatten lassen. Die Kosten waren zwar unbedeutend im Vergleich zu der Beute, die er zu erringen hoffte, aber bei der Abreise wären die Pakete eine hinderliche Last, und sie einfach im Hotel zurückzulassen, war zu riskant.

Mit schnellen Handgriffen öffnete er den Reißverschluß eines Koffers und nahm einen kleinen lederbezogenen Kasten heraus. Er enthielt eine Anzahl weißer Karten, einige scharf gespitzte Bleistifte, Greifzirkel und ein Mikrometer. Keycase holte eine Karte heraus, legte den Schlüssel der Präsidentensuite darauf und zeichnete seinen Umriß sorgfältig nach. Dann maß er mit dem Mikrometer und den Greifzirkeln die Dicke des Schlüssels und die Ausdehnung der horizontalen Vertiefungen und vertikalen Einschnitte und notierte die Ergebnisse auf den Rand der Karte. In das Metall war eine aus Ziffern und Buchstaben zusammengesetzte Fabrikationschiffre eingestanzt. Er kopierte sie; die Chiffre konnte bei der Auswahl des Formlings von Nutzen sein. Schließlich, den Schlüssel gegen das Licht haltend, zeichnete er aus der freien Hand das Endstück des Schafts.

Er besaß nun eine fachmännisch detaillierte Beschreibung, der ein geschickter Schlosser sicher folgen konnte. Keycase sann häufig belustigt darüber nach, daß seine Prozedur mit dem Wachsabdrucktrick, der bei Kriminalroman-Autoren so beliebt war, kaum etwas gemein hatte, dafür aber wesentlich wirksamer war.

Nachdem er den lederbezogenen Kasten weggeschlossen und die Karte zu sich gesteckt hatte, begab er sich wieder hinunter in die Halle.

Genau wie vorher wartete er, bis der Empfang alle Hände voll zu tun hatte. Dann schlenderte er gleichmütig hinüber und legte den Schlüssel von 973 unbemerkt auf den Empfangstisch.

Wieder paßte er auf. Als der Betrieb abflaute, entdeckte ein Receptionist den Schlüssel. Teilnahmslos ergriff er ihn, warf einen Blick auf die Nummer und deponierte ihn in seinem Fach.

Keycase wurde es warm uns Herz ob seiner Meisterleistung. Durch eine Kombination von Erfindungsgabe und Geschicklichkeit hatte er die Vorsichtsmaßregeln des Hotels überspielt und sein erstes Ziel erreicht.

13

Peter McDermott entnahm seinem Kleiderschrank eine dunkelblaue Schiarapelli-Krawatte und knüpfte sie gedankenvoll. Er befand sich in seinem kleinen, in der Stadtmitte gelegenen Appartement, unweit vom Hotel, das er vor einer Stunde verlassen hatte. In zwanzig Minuten wurde er bei Marsha Preyscotts Dinnergesellschaft erwartet. Er fragte sich, wer die anderen Gäste wohl sein mochten. Vermutlich würden außer Marshas Freunden, die - hoffentlich - ein anderes Kaliber hatten als das Dixon-Dumaire-Quartett, auch einige ältere Leute eingeladen sein, um seine Anwesenheit zu begründen.