»Werden Ihre anderen Gäste Sie nicht vermissen?«
Sie streifte ihn mit einem mutwilligen Blick. »Welche anderen Gäste?«
»Sagten Sie nicht... «
»Ich sagte, ich würde eine Dinnerparty geben, und das tu ich auch. Für Sie. Falls Sie sich wegen einer Anstandsdame Sorgen machen, so ist ja immer noch Anna da.« Sie betraten das Haus. Es war schattig und kühl mit hohen Räumen. Im Hintergrund stand ein kleines ältliches Frauchen in schwarzer Seide und nickte ihnen lächelnd zu. »Ich hab' Anna von Ihnen erzählt«, sagte Marsha, »und sie war ganz einverstanden. Mein Vater vertraut ihr unbedingt; folglich ist alles in Ordnung. Dann haben wir auch noch Ben.«
Ein farbiger Diener folgte ihnen auf weichen Sohlen in ein kleines Studio, dessen Wände mit Büchern bedeckt waren. Von einer Anrichte brachte er ein Tablett mit einer Karaffe und Sherrygläsern herüber. Marsha schüttelte den Kopf. Peter akzeptierte einen Sherry und nippte nachdenklich daran. Marsha setzte sich auf ein Sofa und forderte ihn auf, neben ihr Platz zu nehmen.
»Sie sind oft allein,« fragte er.
»Mein Vater kommt zwischen seinen Reisen immer nach Haus. Nur werden die Reisen ständig länger und die Zeit dazwischen immer kürzer. Ich würde viel lieber in einem häßlichen modernen Bungalow wohnen, solange da ein bißchen Leben ist.«
»Es sollte mich wundern, ob Sie das wirklich lieber hätten.«
»Doch bestimmt«, sagte Marsha entschieden. »Falls ich mit jemandem zusammen wäre, den ich gern habe. Oder vielleicht ein Hotel - das würde mir genauso gut gefallen. Bekommen Hotelmanager nicht ein Appartement ganz für sich allein - im obersten Stockwerk des Hotels, direkt unterm Dach?«
Erschrocken sah er auf und ertappte sie bei einem Lächeln.
Einen Moment später meldete der Diener leise, es sei angerichtet.
In einem angrenzenden Raum war ein kleiner runder Tisch für zwei gedeckt. Gläser, Tafelsilber und die paneelierten Wände schimmerten im Kerzenlicht. Über einem Kaminaufsatz aus schwarzem Marmor hing ein grimmig dreinblickender Patriarch, und Peter konnte sich des Gefühls nicht erwehren, als werde er einer kritischen Musterung unterzogen.
»Lassen Sie sich von Urgroßvater nicht die Laune verderben«, sagte Marsha, nachdem sie sich gesetzt hatten. »Seine grimmige Miene gilt mir. Sehen Sie, er schrieb mal in sein Tagebuch, daß er eine Dynastie gründen wolle, und ich bin seine letzte verzweifelte Hoffnung.«
Beim Essen plauderten sie ungezwungen, während der Diener unaufdringlich servierte. Das Dinner war exquisit - der Hauptgang ein hervorragend gewürztes Jambalaya, gefolgt von einer ebenso delikaten Creme Brulee. Peter, dem die Einladung gewisse Befürchtungen eingejagt hatte, entdeckte, daß er sich wirklich wohl fühlte. Mit jeder verstreichenden Minute wirkte Marsha munterer und charmanter, und er selbst wurde in ihrer Gegenwart immer aufgeschlossener. Darin lag letzten Endes nichts Erstaunliches, fand er, da der Altersunterschied zwischen ihnen keineswegs groß war. Und im sanften Schimmer des Kerzenlichtes, das den alten Raum um sie herum in Schatten tauchte, fiel ihm wieder auf, wie wunderschön sie war.
Er fragte sich, ob der französische Adlige, der das große Haus gebaut hatte, und seine Mätresse früher hier auch so intim miteinander gespeist hatten. Entsprang der Gedanke einem Zauber, den die Umgebung und der Anlaß auf ihn ausübten?
Nach dem Essen sagte Marsha: »Wir wollen den Kaffee auf der Galerie trinken.«
Als er ihren Stuhl zurückzog, sprang sie rasch auf und nahm, wie schon vorhin, impulsiv seinen Arm. Belustigt ließ er sich in die Halle hinaus- und eine breite geschwungene Treppe hinaufführen. Oben mündete ein breiter Korridor, dessen mit Fresken bemalte Wände matt erleuchtet waren, in die offene Galerie, die sie von dem nun im Dunkeln daliegenden Garten aus betrachtet hatten.
Mokkatassen und ein silbernes Kaffeeservice standen auf einem Korbtisch. Eine Gaslaterne verbreitete flackerndes Licht. Sie nahmen mit ihren Kaffeetassen auf einer Hollywoodschaukel Platz, die träge hin- und herschwang, als sie sich setzten. Die Nachtluft wir angenehm kühl und von einer kaum spürbaren Brise bewegt. Aus dem Garten tönte das tiefe Summen von Insekten herauf; und von der zwei Blocks entfernten St. Charles Avenue drang gedämpfter Verkehrslärm herüber. Peter wurde sich plötzlich bewußt, daß Marsha neben ihm sehr still geworden war.
»Sie sind ja auf einmal so wortkarg«, sagte er vorwurfsvoll.
»Ich weiß. Ich überlege, wie ich Ihnen etwas sagen soll.«
»Warum kommen Sie nicht offen mit der Sprache heraus? Das ist meistens das beste.«
»Na schön.« Ihre Stimme klang atemlos. »Ich hab' festgestellt, daß ich Sie heiraten möchte.«
Für eine Zeitspanne, die ihm endlos vorkam, die aber vermutlich nur einige Sekunden dauerte, blieb Peter reglos sitzen; auch die Schaukel bewegte sich nicht mehr. Dann stellte er mit bedachtsamer Sorgfalt seine Kaffeetasse ab.
Marsha lachte nervös. »Falls Sie davonlaufen möchten, die Treppe ist da drüben.«
»Nein«, antwortete er. »Wenn ich das täte, würde ich nie erfahren, warum Sie das eben gesagt haben.«
»Ich bin mir nicht ganz sicher.« Sie sah in die Nacht hinaus, das Gesicht halb abgewandt. Er spürte, daß sie zitterte.
Was immer er auch als nächstes zu diesem impulsiven Mädchen sagte, so kam es vor allem darauf an, daß er den richtigen Ton fand, daß er sanft und taktvoll zu ihr sprach. Dabei schnürte sich ihm vor lauter Nervosität die Kehle zusammen. Widersinnigerweise erinnerte er sich in diesem Moment einer Bemerkung, die Christine heute morgen geäußert hatte: Die kleine Miss Preyscott ist einem Kind so ähnlich wie eine Katze einem Tiger. Aber einem Mann macht es vermutlich Spaß, aufgefressen zu werden. Diese Bemerkung war natürlich unfair, sogar hart. Aber es stimmte, daß Marsha weder ein Kind war noch wie ein Kind behandelt werden durfte.
»Marsha, Sie kennen mich doch kaum und ich Sie auch nicht.«
»Glauben Sie an Instinkt?«
»Bis zu einem gewissen Grad, ja.«
»Ich fühlte mich instinktiv zu Ihnen hingezogen. Vom ersten Augenblick an.« Zuerst hatte ihre Stimme geschwankt; nun wurde sie fester. »Mein Instinkt hat meistens recht.«
»Auch bei Stanley Dixon und Lyle Dumaire?« fragte er milde.
»Da hatte ich den richtigen Instinkt, aber ich hab mich nicht daran gekehrt, das ist alles. Diesmal bin ich ihm gefolgt.«
»Es kann trotzdem eine Täuschung sein.«
»Gegen Irrtümer ist man nie gefeit, auch wenn man sehr lange wartet.« Marsha wandte sich ihm zu und sah ihn gerade an. Als sie ihm forschend in die Augen blickte, spürte er an ihr eine Willensstärke, die ihm bisher nicht aufgefallen war. »Mein Vater und meine Mutter kannten einander fünfzehn Jahre lang, bevor sie heirateten. Meine Mutter hat mir mal erzählt, alle ihre Freunde hätten ihnen eine perfekte Ehe prophezeit. Wie sich dann herausstellte, hätte sie gar nicht schlechter sein können. Ich weiß Bescheid; ich hab's miterlebt.«
Er schwieg, weil er nicht wußte, was er sagen sollte.
»Ich habe einiges dabei gelernt. Und noch etwas anderes hat mir zu denken gegeben. Sie haben Anna heute abend gesehen?«
»Ja.«
»Mit siebzehn wurde sie gezwungen, einen Mann zu heiraten, dem sie vorher nur ein einziges Mal begegnet war. Es war eine Abmachung zwischen den beiden Familien; damals gab es so etwas noch.«
»Erzählen Sie weiter.«
»Am Tag vor der Hochzeit weinte Anna die ganze Nacht hindurch. Aber sie wurde trotzdem verheiratet, und ihre Ehe dauerte sechsundvierzig Jahre. Ihr Mann starb letztes Jahr; sie wohnten hier bei uns. Er war der netteste, süßeste Mann, den man sich denken kann. Und wenn es jemals ein glückliches Ehepaar gab, dann waren's die beiden.«
Er zögerte, weil es ihm widerstrebte, einen allzu leichten Gewinn einzuheimsen, wandte dann aber doch ein: »Sie widerlegen sich selbst. Anna folgte ihrem Instinkt nicht. Hätte sie's getan, dann hätte sie nicht geheiratet.«