Und dennoch war er ein Mann, atmete, fühlte. Keine selbstauferlegte Absonderung konnte oder sollte ewig dauern. Fragte sich nur, wann und wie sollte er sie beenden?
Was nun? Würde er Marsha wiedersehen? Falls er ihre Beziehung nicht auf der Stelle und unwiderruflich abbrach, war ein Wiedersehen vermutlich unvermeidlich. Unter welchen Bedingungen sollte er die Bekanntschaft fortsetzen? Und wie verhielt es sich mit dem Altersunterschied zwischen ihnen?
Marsha war neunzehn. Er war zweiunddreißig. Die Kluft schien groß zu sein, aber war sie es wirklich? Wären sie beide zehn Jahre älter, würde bestimmt kein Mensch eine Liebesaffäre
- oder eine Heirat - für ungewöhnlich halten. Außerdem bezweifelte er stark, daß Marsha zu einem Jungen ihres eigenen Alters ein enges Verhältnis finden würde.
Die Fragen nahmen kein Ende. Aber die Entscheidung darüber, ob und unter welchen Umständen er Marsha wiedersehen würde, stand noch aus.
Im übrigen geisterte durch all seine Überlegungen stets der Gedanke an Christine. Er und Christine schienen sich innerhalb der letzten Tage nähergekommen zu sein als je zuvor. Selbst im Haus der Preyscotts hatte er sich ihrer erinnert, und sogar jetzt sehnte er sich nach ihrem Anblick und ihrer Stimme.
Es war seltsam, daß er, der noch vor einer Woche absolut ungebunden war, nun zwischen zwei Frauen hin- und hergerissen wurde!
Peter grinste kläglich, als er den Kaffee bezahlte und sich erhob, um heimzugehen.
Das St. Gregory lag mehr oder weniger auf seinem Weg, und instinktiv schlug er die Richtung ein. Als er das Hotel erreichte, war es kurz nach ein Uhr.
In der Halle war noch Betrieb. Draußen auf der St. Charles Avenue hingegen war bis auf ein einzelnes Taxi und ein oder zwei Passanten kaum noch Leben. Er überquerte die Straße und ging, um den Weg abzukürzen, an der Rückseite des Hotels entlang. Hier war es noch stiller. Er war im Begriff, die Einfahrt zur Hotelgarage zu überqueren, als Motorengeräusch und das Aufleuchten von Scheinwerfern auf der Innenrampe ihn zum Stehenbleiben veranlaßten. Gleich darauf kam ein niedriger langgestreckter Wagen in Sicht. Er fuhr schnell und bremste scharf und mit quietschenden Reifen am Ende der Ausfahrt. Als der Wagen stoppte, befand er sich direkt im Lichtkreis einer Straßenlaterne. Peter stellte fest, daß es sich um einen Jaguar handelte und daß der eine Kotflügel aussah, als hätte er eine Delle; auch mit dem Scheinwerfer war offenbar irgend etwas nicht in Ordnung. Er hoffte, daß der Schaden nicht durch Unachtsamkeit in der Hotelgarage verursacht worden war. Andernfalls würde er bald genug davon hören.
Automatisch blickte er zum Fahrer hinüber. Er war verdutzt, als er Ogilvie erkannte. Auch der Chefdetektiv machte ein erstauntes Gesicht, als er Peters Blick begegnete. Dann schwenkte der Wagen abrupt in die Straße ein und brauste davon.
Peter wunderte sich, wohin Ogilvie fahren mochte; und warum in einem Jaguar statt in seinem alten zerschrammten Chevrolet? Dann sagte er sich, daß es ihn nichts anging, was die Angestellten außerhalb des Hotels trieben, und ging weiter und nach Haus.
Eine halbe Stunde später schlief er fest.
2
Im Gegensatz zu Peter McDermott erfreute sich Keycase Milne keiner ungestörten Nachtruhe.
Die Schnelligkeit und Gewandtheit, mit der er sich genaue Einzelheiten über den Schlüssel der Präsidentensuite beschafft hatte, war, was die Anfertigung des Duplikats anging, nicht vom gleichen Erfolg gekrönt. Die Beziehungen, die Keycase bei der Ankunft in New Orleans angeknüpft hatte, waren nicht so brauchbar, wie er erwartet hatte. Schließlich hatte sich ein Schlosser in einem Slumviertel unweit des Irish Channel - ein vertrauenswürdiger Mann, wie Keycase versichert worden war -bereit erklärt, den Auftrag zu übernehmen, obwohl es ihn verdroß, daß er nach einer Zeichnung arbeiten mußte und nicht einfach einen vorhandenen Schlüssel kopieren konnte. Aber der neue Schlüssel würde nicht vor Donnerstag mittag fertig sein, und der geforderte Preis war exorbitant.
Keycase hatte sich sowohl mit dem Preis als auch mit der Wartezeit abgefunden, in der Erkenntnis, daß es keine Alternative gab. Aber das Warten war besonders mißlich, weil er wußte, daß sich mit jeder Stunde das Risiko, aufgespürt und verhaftet zu werden, erhöhte.
Heute nacht vor dem Zubettgehen hatte er mit sich gerungen, ob er am frühen Morgen einen neuen Raubzug durchs Hotel machen sollte. In seiner Kollektion befanden sich noch zwei unbenutzte Zimmerschlüssel - 449, der zweite Schlüssel, den er am Dienstag auf dem Flughafen erwischt hatte, und 803, den er statt seines eigenen Schlüssels 830 beim Empfang verlangt und erhalten hatte. Aber er stand von seinem Vorhaben ab, mit der Ausrede, daß es klüger sei, zu warten und sich auf das größere Projekt mit der Herzogin von Croydon zu konzentrieren. Doch Keycase war sich klar darüber, sogar während er den Entschluß faßte, daß ihn hauptsächlich Angst dazu veranlaßte.
In der Nacht, als er keinen Schlaf fand, wurde die Angst immer stärker, so daß er schließlich gar nicht mehr versuchte, sich selbst etwas vorzumachen. Aber am nächsten Morgen, das nahm er sich fest vor, würde er die Furcht irgendwie abschütteln und wieder sein beherztes Selbst werden.
Endlich fiel er in unruhigen Schlummer, in dem er träumte, daß eine mächtige Eisentür, die Licht und Luft aussperrte, sich allmählich vor ihm schloß. Er wollte weglaufen, solange sie einen Spalt breit offenblieb, war jedoch nicht imstande, sich von der Stelle zu rühren. Als die Tür zu war, weinte er, weil er wußte, daß sie sich nie wieder öffnen würde.
Er erwachte schlotternd im Dunkeln. Sein Gesicht war naß von Tränen.
3
Einige siebzig Meilen nördlich von New Orleans grübelte Ogilvie noch immer über seine Begegnung mit Peter McDermott nach. Der erste Schock hatte ihm förmlich einen Stoß versetzt. Über eine Stunde lang hatte er verkrampft hinter dem Steuer gesessen und den Jaguar zuerst durch die Stadt, dann über den Pontchartrain Causeway und schließlich auf der Interstate 59 nach Norden gesteuert, ohne daß er sich der zurückgelegten Strecke immer bewußt war.
Seine Augen wanderten andauernd zum Rückspiegel. Er beobachtete jedes Paar Scheinwerfer, das hinter ihm auftauchte, in der Erwartung, sie würden ihn mit Sirenengeheul verfolgen und rasch überholen. Hinter jeder Kurve vermutete er eine Straßensperre der Polizei.
Ganz zuerst hatte er sich Peter McDermotts Anwesenheit damit erklärt, daß McDermott Augenzeuge von Ogilvies belastender Abfahrt sein wollte. Wieso McDermott von seinem Plan Wind bekommen hatte, war Ogilvie schleierhaft. Aber allem Anschein nach war er im Bilde, und der Hausdetektiv war, wie ein grüner Anfänger, in die Falle getappt.
Erst viel später, als die Landschaft im einsamen Halbdunkel des frühen Morgens an ihm vorbeifegte, begann er sich zu fragen, ob das Zusammentreffen nicht vielleicht doch nur ein Zufall gewesen war!
Falls McDermotts Aufkreuzen vor der Garage einen Zweck gehabt hätte, wäre der Jaguar bestimmt schon längst verfolgt und angehalten worden. Daß nichts dergleichen geschehen war, legte den Gedanken an einen Zufall nahe, machte ihn fast zur Gewißheit. Angesichts dieser Überlegung hoben sich Ogilvies Lebensgeister. Er weidete sich an der Vorstellung der fünfundzwanzigtausend Dollar, die am Ende der Fahrt sein Eigentum sein würden.
Er ging mit sich zu Rate, ob es nicht klüger wäre, einfach weiterzufahren, da bisher alles so gut verlaufen war. In etwas über einer Stunde würde es Tag sein. Ursprünglich hatte er vorgehabt, bei Morgengrauen von der Straße abzuschwenken und irgendwo die Dunkelheit abzuwarten. Aber ein müßig verbrachter Tag hatte auch seine Gefahren. Er war erst halbwegs durch Mississippi, noch immer verhältnismäßig nahe bei New Orleans. Wenn er die Fahrt fortsetzte, ging er natürlich das Risiko ein, entdeckt zu werden; aber er fragte sich, wie groß das Risiko eigentlich war. Dagegen sprach seine Abspannung, die ihm noch vom Tage vorher anhing. Er war bereits jetzt erschöpft und sehnte sich nach Schlaf.