In diesem Moment geschah es. Hinter ihm tauchte, wie durch Zauberkraft, ein rotes Blinklicht auf. Eine Sirene gellte gebieterisch.
Es war genau das Ereignis, auf das er sich in den letzten paar Stunden gefaßt gemacht hatte. Als es nicht eintrat, hatte er sich seine Befürchtungen aus dem Kopf geschlagen. Nun war der Schock doppelt groß.
Instinktiv trat er das Gaspedal ganz durch. Wie ein prächtig angetriebener Pfeil schnellte der Jaguar vorwärts. Die Tachometernadel schlug kräftig aus... auf 70, 80, 85 Meilen. Bei neunzig mußte Ogilvie mit dem Tempo heruntergehen, weil eine Kurve kam. Das rote Blinklicht fuhr dicht auf. Die Sirene, die zeitweilig verstummt war, gellte wieder. Dann scherte das rote Licht nach links aus, als der Fahrer zum Überholen ansetzte.
Ogilvie wußte, daß es sinnlos war. Selbst wenn er jetzt seinen Verfolger abhängte, konnte er anderen, die weiter vorn auf ihn lauerten, nicht ausweichen. Resigniert nahm er den Fuß vom Gas.
Als das andere Fahrzeug an ihm vorbeisauste, erhaschte er flüchtig das Bild einer langgestreckten hellfarbigen Karosserie, einen matten Lichtschein im Innern und eine Gestalt, die sich über eine andere beugte. Dann war die Ambulanz verschwunden, und das rote Licht verlor sich in der Ferne.
Der Zwischenfall hatte ihn erschüttert und von seiner körperlichen Erschöpfung überzeugt. Er entschied, daß er, ungeachtet des Risikos, bei der ersten Gelegenheit von der Straße abbiegen und sich für den Tag einen Schlupfwinkel suchen mußte. Er hatte Macon, eine kleine Gemeinde in Mississippi, bereits hinter sich. Am Himmel zeigten sich die ersten hellen Streifen; der Morgen dämmerte. Er stoppte, um eine Landkarte zu Rate zu ziehen, und schwenkte kurz danach von der Autostraße ab in einen Komplex von Nebenstraßen.
Bald wurde die Straße schlechter und ging schließlich in einen ausgefahrenen Feldweg über. Es wurde nun sehr schnell hell. Ogilvie kletterte aus dem Wagen und nahm die Umgebung in Augenschein.
Die Landschaft war spärlich bewaldet und öde; menschliche Behausungen waren nicht zu sehen. Die nächste Hauptverkehrsstraße war über eine Meile entfernt. Unmittelbar vor ihm erhob sich eine Gruppe von Bäumen. Ogilvie stellte zu Fuß Erkundungen an und entdeckte, daß der Feldweg zwischen Bäumen endete.
Der fette Mann grunzte zufrieden. Er kehrte zum Jaguar zurück und fuhr behutsam vorwärts, bis der Wagen unter dem Blattwerk verborgen war. Er machte mehrere Stichproben, bis er sich vergewissert hatte, daß man den Wagen nur aus allernächster Nähe hinter dem Laub zu sehen vermochte. Dann kletterte er auf den Rücksitz und schlief.
4
Als er kurz vor acht Uhr erwachte, wunderte sich Warren Trent, warum ihm so froh zumute war. Nach einigen Minuten fiel ihm der Grund wieder ein: Heute morgen würde er den Handel mit der Journeymen's Union, den er gestern eingeleitet hatte, zum Abschluß bringen. Indem er Druck von außen, düsteren Voraussagen und den mannigfaltigsten Hindernissen Trotz bot, hatte er das St. Gregory - kurz vor Ablauf der Gnadenfrist - davor bewahrt, vom O'Keefe-Hotelkonzern verschlungen zu werden. Es war ein persönlicher Triumph. Den Gedanken, daß das seltsame Bündnis zwischen ihm und der Gewerkschaft später sogar noch größere Probleme aufwerfen könnte, schob er beiseite. Darüber würde er sich den Kopf zerbrechen, wenn es soweit war; jetzt kam es vor allem darauf an, sich die unmittelbar bevorstehende Gefahr vom Hals zu schaffen.
Er stand auf und betrachtete die Stadt von einem Fenster seiner im obersten Stockwerk gelegenen Suite. Draußen zog wieder ein prachtvoller Tag herauf; die bereits ziemlich hochstehende Sonne strahlte von einem nahezu wolkenlosen Himmel herab.
Beim Duschen und danach, als er sich von Aloysius Royce rasieren ließ, summte er leise vor sich hin. Die offenkundige gute Laune seines Arbeitgebers war immerhin so ungewöhnlich, daß Royce erstaunt die Brauen hochzog, aber Warren Trent -der so kurz nach dem Aufstehen nicht in Plauderstimmung war - brachte keine Erklärung vor.
Sobald er angekleidet war, rief er vom Wohnzimmer aus sofort Royall Edwards an. Der Rechnungsprüfer, den eine Telefonistin in seinen eigenen vier Wänden ausfindig machte, ließ durchblicken, daß er die ganze Nacht gearbeitet und daß ihn der Anrufer seines Arbeitgebers mitten in einem wohlverdienten Frühstück gestört habe. Den grollenden Unterton ignorierend, suchte Warren Trent herauszubekommen, wie die Reaktion der zwei Wirtschaftsprüfer während der Nacht gewesen wäre. Laut Edwards Bericht hatten die Besucher, obwohl sie über die gegenwärtige finanzielle Krise des Hotels unterrichtet waren, sonst nichts Außergewöhnliches zutage gefördert und schienen von Edwards Auskünften auf ihre Fragen befriedigt zu sein.
Beruhigt überließ Warren Trent den Rechnungsprüfer seinem Frühstück. Vielleicht wurde in eben diesem Moment, dachte er, ein Bericht, der seine eigene Darstellung vom Stand der Dinge erhärtete, telefonisch nach Washington durchgegeben. Vermutlich würde er sehr bald von seinem Verhandlungspartner hören.
Unmittelbar darauf läutete das Telefon.
Royce war im Begriff, das Frühstück zu servieren, das vor einigen Minuten auf einem Servierwagen gebracht worden war. Warren Trent bedeutete ihm, damit noch zu warten.
Die Stimme einer Telefonistin teilte ihm mit, daß es sich um ein Ferngespräch handelte. Als er seinen Namen genannt hatte, bat ihn eine zweite Telefonistin, sich einen Moment lang zu gedulden. Endlich meldete sich der Präsident der Journeymen's Union.
»Trent?«
»Ja. Guten Morgen!«
»Ich hab' Sie gestern davor gewarnt, mir was vorzumachen. Trotzdem waren Sie blöd genug, es zu versuchen. Dazu kann ich Ihnen nur eins sagen: Leute, die mich für dumm verkaufen wollen, wünschen danach immer, sie wären nicht geboren worden. Sie haben diesmal Glück, weil der Schwindel platzte, bevor das Geschäft abgeschlossen war. Aber ich warne Sie: verschonen Sie mich künftig mit Ihren gottverdammten Tricks!«
Die unerwartete Attacke, die barsche, schneidende Stimme raubten Warren Trent vorübergehend die Sprache. Sobald er sich gefaßt hatte, protestierte er: »Um Himmels willen, ich habe nicht die mindeste Ahnung, wovon Sie überhaupt reden!«
»Keine Ahnung, daß es in Ihrem gottverdammten Hotel einen Rassenkrawall gegeben hat? Und daß die Geschichte in sämtlichen New Yorker Zeitungen breitgetreten wird?«
Es dauerte mehrere Sekunden, bevor Warren Trent die verärgerte Tirade mit Peter McDermotts gestrigem Bericht in Verbindung brachte.
»Gestern morgen kam es zu einem unbedeutenden Zwischenfall. Von einem Rassenkrawall oder dergleichen kann überhaupt keine Rede sein. Zu dem Zeitpunkt, an dem wir miteinander sprachen, war ich noch nicht darüber im Bilde. Aber auch wenn ich es gewesen wäre, hätte ich die Sache für zu unwichtig gehalten, um sie zu erwähnen. Was die New Yorker Blätter anbelangt, so habe ich sie nicht gesehen.«
»Meine Mitglieder werden sie sehen. Und falls sie die hiesigen Zeitungen nicht zu Gesicht kriegen, dann lesen sie's in anderen, die die Geschichte heute abend bringen. Sie und jeder miese bestechliche Kongreßmann, der die farbigen Stimmen braucht, werden Zeter und Mordio schreien, wenn ich Geld in ein Hotel stecke, das Nigger wegschickt.«
»Dann geht es Ihnen also nicht um das Prinzip. Es ist Ihnen gleich, was wir tun, solange es nicht auffällt.«
»Um was es mir geht, ist meine Privatangelegenheit. Und es ist auch meine Sache, wo ich Gewerkschaftsgelder investiere.«
»Unsere Transaktion könnte geheimgehalten werden.«
»Falls Sie das glauben, sind Sie ein noch größerer Narr, als ich dachte.«
Es stimmt, sagte sich Warren Trent verdrossen, früher oder später würde die Nachricht von dem Bündnis unweigerlich durchsickern. Er versuchte es auf eine andere Tour. »Der Zwischenfall gestern war nichts Außergewöhnliches.