»Teufel!« sagte der lokale Zeitungsmann. »Wovor fürchtet sich die Sippschaft - vor Saboteuren?«
Quaratone dachte laut: »Ein paar von ihnen wollen den Mund aufmachen, möchten aber nicht, daß es publik wird. Angehörige freier Berufe sind im allgemeinen nicht scharf darauf, Farbe zu bekennen - jedenfalls nicht in Rassefragen. Die hier sind sowieso schon in der Klemme, indem sie praktisch die Wahl zulassen zwischen einer drastischen Aktion wie dem angedrohten Massenauszug und einer schönen Geste, die lediglich dazu dient, den Schein zu wahren. Insofern, würde ich sagen, ist die Situation einzigartig.« Und auch viel interessanter, als ich zuerst glaubte, setzte er in Gedanken hinzu. Er war fester denn je entschlossen, sich irgendwie Zugang zu der Debatte zu verschaffen.
Unvermittelt sagte er zu Herbie Chandler: »Ich brauche einen Plan von der betreffenden Etage und der Etage darüber. Keinen Grundriß, verstehen Sie, sondern eine technische Zeichnung mit den Wänden, Leitungsrohren, Zwischendecken und allem anderen. Und ich brauch' ihn schnell, denn wenn wir was erreichen wollen, haben wir bloß noch eine knappe Stunde.«
»Ich weiß wirklich nicht, ob wir so was haben, Sir. Auf jeden Fall...« Der Chefportier verstummte und beobachtete Quaratone, der in einem Bündel von Zwanzig-Dollar-Noten blätterte.
Der Mann von der »Time« händigte Chandler fünf von den Scheinen aus. »Knöpfen Sie sich einen Monteur, einen Techniker oder sonst jemanden vor. Stecken Sie ihm das hier zu. Für Sie sorg' ich später. Kommen Sie in einer halben Stunde wieder her - oder eher, wenn's möglich ist.«
»Yessir!« Chandlers Wieselgesicht verzog sich zu einem unterwürfigen Lächeln.
Dann gab Quaratone dem Reporter aus New Orleans seine Instruktionen. »Sie kümmern sich weiter um den lokalen Aspekt, ja? Stellungnahme des Magistrats, führender Bürger; sprechen Sie auch mit jemandem von der N.A.A.C.P. Sie wissen schon, was ich meine.«
»Könnte es im Schlaf schreiben.«
»Lieber nicht. Sorgen Sie auch für ein paar menschlich interessante Züge. Wäre vielleicht keine schlechte Idee, wenn Sie den Bürgermeister im Waschraum abfangen könnten. Er wäscht sich die Hände, während er Ihnen seine Erklärung gibt. Symbolisch. Ein guter Aufhänger.«
»Okay. Werd' mich auf dem Lokus verstecken.« Der Reporter zog vergnügt ab, im Bewußtsein, daß auch er großzügig bezahlt werden würde.
Quaratone selbst wartete in der Cafeteria des St. Gregory. Er bestellte sich einen eisgekühlten Tee und nippte zerstreut daran, in Gedanken mit der Story beschäftigt, die sich allmählich herauskristallisierte. Sie war kein ausgesprochener Knüller, aber wenn er sie mit einigen neuen Gesichtspunkten ausstaffieren konnte, dann war sie vielleicht ihre anderthalb Spalten in der nächsten Nummer wert. Was ihn freuen würde, weil in den letzten Wochen ein Dutzend oder mehr seiner sorgsam zurechtgetrimmten Storys von New York entweder abgelehnt oder beim Umbruch der Zeitschrift von wichtigeren Themen verdrängt worden waren. Das war nichts Ungewöhnliches, und »Time-Life«-Mitarbeiter hatten es gelernt, in einem Vakuum zu schreiben und sich mit ihren enttäuschten Erwartungen abzufinden. Aber Quaratone sah sich gern gedruckt, und wo es sich lohnte, wollte er gern beachtet werden.
Er kehrte in den winzigen Presseraum zurück. Wenige Minuten danach tauchte Herbie Chandler auf, mit einem jungen Mann im Schlepptau. Er hatte scharfgeschnittene Züge, trug Overalls, und der Chefportier stellte ihn als Ches Ellis, einen Hotelmonteur, vor. Der Neuankömmling schüttelte Quaratone schüchtern die Hand, zeigte auf eine Rolle von Plänen unter seinem Arm und sagte ungelenk: »Die muß ich aber zurück haben.«
»Ich möchte nur etwas nachsehen. Es dauert nicht lange.« Quaratone half Ellis beim Aufrollen der Pläne und hielt die Ecken fest. »Also, wo ist der Dauphine-Salon?«
»Genau hier.«
Chandler warf ein: »Ich erzählte ihm von der Sitzung, Sir, und daß Sie von irgendwo alles mithören wollen.«
»Was ist in den Wänden und Decken?« erkundigte sich der Mann von der »Time« bei Ellis.
»Die Wände sind massiv. Zwischen der Decke und dem Fußboden darüber ist ein Hohlraum, aber falls Sie vorhaben, dort reinzukriechen, sind Sie schief gewickelt. Sie würden durch den Verputz brechen.«
»Schade«, sagte Quaratone, der das in der Tat erwogen hatte. Sein Finger tippte auf eine andere Stelle. »Was sind das für Linien?«
»Abzugsrohre für die Heißluft aus der Küche. Wenn Sie denen in die Nähe kommen, werden Sie gebraten.«
»Und das?«
Ellis beugte sich vor, betrachtete die Zeichnung und zog einen zweiten Plan zu Rate. »Kaltluftleitungen - laufen in der Decke des Dauphine-Salons entlang.«
»Hat der Raum Luftklappen?«
»Drei. Eine in der Mitte und zwei am Ende. Sie können die Markierung sehen.«
»Welchen Durchmesser hat das Rohr?«
Der Monteur dachte nach. »Ich schätze - ungefähr neunzig Zentimeter.«
»Okay«, erklärte Quaratone energisch. »Zeigen Sie mir das Rohr. Ich möchte hineinkriechen, damit ich hören und sehen kann, was sich im Saal abspielt.«
Die Vorbereitungen erforderten erstaunlich wenig Zeit. Ellis, der zunächst nicht recht spurte, wurde von Chandler dazu gebracht, einen zweiten Overall und eine Werkzeugtasche zu besorgen. Der Mann von der »Time« zog sich um und griff sich das Werkzeug. Dann bugsierte Ellis ihn nervös, aber unangefochten zu einem Nebenraum der Etagenküche. Der Chefportier verschwand diskret von der Bildfläche. Quaratone hatte keine Ahnung, wieviel von den hundert Dollar Chandler an Ellis weitergereicht hatte - vermutlich nicht alles -, aber offenbar war es genug.
Sie durchquerten die Küche, ohne aufzufallen - allem Anschein nach zwei Monteure, die ihrer Arbeit nachgingen. Im Nebenraum hatte Ellis ein hoch an der Wand angebrachtes Eisengitter vorsorglich im voraus entfernt. Eine hohe Stehleiter stand vor der Öffnung, die das Gitter verschlossen hatte. Schweigend stieg Quaratone die Leiter hinauf und schob sich in das Loch. Er stellte fest, daß das Rohr gerade dick genug war, um auf den Ellenbogen vorwärts zu robben. Bis auf einen spärlichen Lichtschimmer von der Küche her umgab ihn tiefes Dunkel. Er spürte einen kalten Lufthauch im Gesicht; der Luftdruck erhöhte sich, als sein Körper das Rohr mehr ausfüllte.
Hinter ihm flüsterte Ellis: »Zählen Sie die Luftklappen! Die vierte, fünfte und sechste gehörten zum Dauphine-Salon. Und seien Sie möglichst leise, Sir, sonst hört man Sie. In einer halben Stunde komme ich zurück, und falls Sie da noch nicht fertig sind, eine halbe Stunde danach.«
Quaratone versuchte den Kopf zu drehen, aber es gelang ihm nicht. Ihm ging auf, daß der Rückweg schwieriger sein würde als der Hinweg.
Die Eisenwandung malträtierte seine Knie und Ellenbogen. Außerdem hatte sie peinvoll scharfe Unebenheiten. Quaratone zuckte zusammen, als das spitze Ende einer Schraube seine Overalls zerriß und ihm das Bein aufkratzte. Nach hinten greifend, machte er sich los und kroch vorsichtig weiter.
Die Luftklappen waren leicht zu erkennen, weil Licht von unten hindurchsickerte. Er robbte sich über drei hinweg, in der Hoffnung, daß Gitter und Rohr sicher verankert waren. Als er sich der vierten näherte, konnte er Stimmen hören. Die Sitzung hatte anscheinend begonnen. Zu Quaratones Entzücken waren die Stimmen deutlich vernehmbar, und mit ein wenig Halsverrenken konnte er einen Teil des Raumes unter ihm überblicken. Die Sicht, dachte er, würde von der nächsten Klappe aus vielleicht sogar noch besser sein. Es war in der Tat so. Nun konnte er mehr als die Hälfte der dichtgedrängten Versammlung sehen, einschließlich einer erhöhten Plattform, auf der Dr. Ingram, der Präsident des Zahnärztekongresses, stand und sprach. Der Mann von der »Time« förderte ein Notizbuch und einen Kugelschreiber zutage, letzterer mit einer kleinen Glühbirne am Ende.
»... fordere ich Sie auf«, erklärte Dr. Ingram, »so entschlossen wie möglich dagegen vorzugehen.«