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Er hielt inne und fuhr dann fort: »Angehörige freier Berufe wie wir, die von Natur neutral sind, haben im Kampf um die Menschenrechte viel zu lange abseits gestanden. Unter uns machen wir - in den meisten Fällen wenigstens - keinen Unterschied, und bisher haben wir das als ausreichend betrachtet. Im allgemeinen haben wir Ereignisse und Zwangsmaßnahmen außerhalb unserer Reihen ignoriert. Wir haben unsere Haltung damit begründet, daß wir schwer arbeitende Mediziner sind und wenig Zeit für andere Dinge haben. Nun, vielleicht stimmt das, auch wenn es bequem ist. Aber jetzt und hier stecken wir - ob es uns nun paßt oder nicht -bis zu unseren Weisheitszähnen in der Sache drin.«

Der kleine Doktor verstummte; seine Augen durchforschten die Gesichter seiner Zuhörer. »Sie sind bereits über den unverzeihlichen Affront im Bilde, der unserem hervorragenden Kollegen Dr. Nicholas in diesem Hotel begegnet ist - ein Affront, der den verfassungsmäßig festgelegten Bürgerrechten offen hohnspricht. Als Vergeltungsmaßnahme habe ich, als Ihr Präsident, zu einem drastischen Schritt geraten. Wir wollten unsere Tagung abblasen und en masse aus diesem Hotel ausziehen.«

Aus verschiedenen Teilen des Raumes kam ein überraschtes Ächzen. »Die meisten von Ihnen kennen diesen Vorschlag schon«, sagte Dr. Ingram. »Für andere, die heute morgen erst eintrafen, ist er neu. Ich möchte beiden Gruppen sagen, daß der Schritt, den ich vorgeschlagen habe, Unbequemlichkeit, Enttäuschung - für mich nicht weniger als für Sie - und berufliche wie öffentliche Verluste mit sich bringt. Aber bei manchen Anlässen, zumal wenn es um Gewissensfragen geht, ist man zu überzeugenden Aktionen genötigt. Meiner Meinung nach haben wir es hier mit solch einem Anlaß zu tun. Außerdem ist es das einzige Mittel, um die Stärke unserer Gefühle zu demonstrieren und unmißverständlich zu beweisen, daß der Zahnärzteverband in Sachen der Menschenrechte nicht mit sich spaßen läßt.«

Im Auditorium wurde der Ruf »Hört, hört!« laut, aber auch ablehnendes Gemurmel.

In einer der mittleren Sitzreihen hievte sich eine stämmige Gestalt hoch. Quaratone, der sich auf seinem Beobachtungsposten vorbeugte, hatte den Eindruck eines lächelnden Gesichts mit Kinnwülsten, dicken Lippen und dicker Brille. Der stämmige Mann verkündete: »Ich bin aus Kansas City.« Er erntete gutmütigen Beifall, für den er sich mit einem Schwenken seiner molligen Hand bedankte. »Ich habe nur eine Frage an den Doktor. Ist er bereit, meinem kleinen Frauchen, das sich, wie viele andere Frauen, schätz ich, auf diese Reise gefreut hat, zu erklären, warum wir, gerade erst angekommen, kehrtmachen und wieder nach Haus fahren müssen?«

Eine empörte Stimme protestierte: »Das ist nicht der springende Punkt!« Sie wurde von ironischen Zurufen und Gelächter übertönt.

»Yessir«, sagte der stämmige Mann, »ich möchte ihn dabei sehen, wie er's meiner Frau erklärt.« Er setzte sich mit selbstgefälliger Miene.

Dr. Ingram sprang mit entrüstetem, hochrotem Gesicht auf. »Meine Herren, das ist eine dringende, ernste Angelegenheit. Wir haben die Entscheidung bereits um vierundzwanzig Stunden hinausgezögert, was meiner Meinung nach wenigstens einen halben Tag zu lang ist.«

Der Applaus war kurz und vereinzelt. Mehrere Stimmen redeten auf einmal. Der Vorsitzende, neben Dr. Ingram, klopfte mit dem Hammer.

Danach sprachen einige andere Delegierte, die zwar die Ausweisung von Dr. Nicholas beklagten, die Frage der Vergeltung jedoch unbeantwortet ließen. Schließlich richtete sich die allgemeine Aufmerksamkeit wie in stillschweigender Übereinstimmung auf einen schlanken adretten Mann, von dem eine unauffällige Autorität ausging. Quaratone bekam den Namen, den der Vorsitzende ankündigte, nicht mit, fing jedoch auf: »... zweiter Vizepräsident und...«

Der neue Redner begann mit einer trockenen, scharfen Stimme: »Auf mein Drängen hin und mit Unterstützung einiger meiner Kollegen im Vorstand wurde beschlossen, diese Sitzung unter Ausschluß der Öffentlichkeit abzuhalten. Folglich können wir offen sprechen, ohne befürchten zu müssen, daß unsere Ansichten außerhalb dieses Raumes publik gemacht und womöglich entstellt wiedergegeben werden. Der Beschluß, das möchte ich hinzufügen, wurde von unserem hochgeschätzten Präsidenten Dr. Ingram heftig bekämpft.«

Von der Plattform herunter knurrte Dr. Ingram: »Haben Sie Angst vor Verwicklungen?«

Die Frage ignorierend, fuhr der adrette Mann fort: »Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß ich die Rassendiskriminierung für verwerflich halte. Einige meiner besten...« - er zögerte - »... meiner beliebtesten Mitarbeiter gehören einer anderen Konfession und Rasse an. Ferner bedaure ich ebenso wie Dr. Ingram den gestrigen Zwischenfall. Tatsächlich stimmen wir nur in einem Punkt nicht überein. Dr. Ingram zieht - um gleich ihm in Metaphern zu sprechen - eine Extraktion vor. Ich bin dafür, den Zwischenfall weniger drastisch wie eine zwar unangenehme, aber lokalisierte Infektion zu behandeln.« Leises Lachen ging durch die Reihen, das der Sprecher mit einem Lächeln beantwortete.

»Ich kann nicht glauben, daß es unserem abwesenden Kollegen Dr. Nicholas auch nur im mindesten nützt, wenn wir die Tagung abbrechen. Für uns jedoch wäre es ein großer Verlust. Im übrigen - da wir hier unter uns sind, sage ich das ganz offen - kann ich nicht finden, daß das Problem der Rassenbeziehungen uns als Organisation überhaupt etwas angeht.«

»Natürlich geht es uns an! Geht es denn nicht jeden an?« protestierte eine einzelne Stimme aus dem Hintergrund. Aber sonst herrschte aufmerksames Schweigen.

Der Redner schüttelte den Kopf. »Welchen Standpunkt wir auch immer einnehmen oder verwerfen, wir tun es als Individuen. Natürlich müssen wir notfalls unsere eigenen Leute unterstützen, und ich werde gleich auf gewisse Schritte im Fall von Dr. Nicholas zu sprechen kommen. Ansonsten pflichte ich Dr. Ingram bei, daß wir schwer arbeitende Mediziner sind und wenig Zeit für andere Dinge haben.«

Dr. Ingram sprang auf. »Das habe ich nicht gesagt! Ich wies darauf hin, daß diese Haltung früher gang und gäbe war. Aber ich bin mit ihr durchaus nicht einverstanden.«

»Nichtsdestoweniger fiel die Bemerkung«, entgegnete der adrette Mann mit einem Schulterzucken.

»Aber nicht in diesem Sinn. Ich dulde nicht, daß man meine Worte verdreht!« Die Augen des kleinen Doktors funkelten ärgerlich. »Mr. Chairman, wir verwenden hier leichtfertig Ausdrücke, wie >unselig<, >bedauerlich<. Aber sehen Sie denn nicht ein, daß wir damit der Sache nicht gerecht werden, daß es sich um eine Frage des Anstandes und menschlicher Rechte handelt? Wenn Sie gestern hier gewesen wären und die Demütigung eines Kollegen und Freundes und guten Mannes mit angesehen -«

Es wurde »Zur Ordnung! Zur Ordnung!« gerufen, und als der Vorsitzende seinen Hammer betätigte, ließ sich Dr. Ingram widerstrebend auf seinen Stuhl sinken.

»Darf ich fortfahren?« fragte der adrette Mann höflich. Der Vorsitzende nickte.

»Danke. Meine Herren, ich will mich kurz fassen. Erstens schlage ich vor, daß wir künftig unsere Kongresse an Orten abhalten, wo Dr. Nicholas und andere seiner Rasse ohne Fragen und Bedenken akzeptiert werden. Solche Orte sind in großer Zahl vorhanden, und ich bin sicher, uns übrigen werden sie durchaus annehmbar erscheinen. Zweitens schlage ich vor, daß wir eine Resolution verabschieden, in der wir die Haltung des Hotels und die Ausweisung von Dr. Nicholas streng verurteilen. Danach sollten wir unseren Kongreß, wie geplant, fortsetzen.«

Dr. Ingram schüttelte ungläubig den Kopf.

Der Redner blickte auf ein Blatt Papier in seiner Hand. »In Verbindung mit mehreren anderen Mitgliedern unseres Vorstandes habe ich eine Resolution aufgesetzt... «

Quaratone auf seinem Ausguck hörte nicht mehr zu. Die Resolution selbst war unwichtig. Ihr Inhalt war vorauszusagen; notfalls konnte er sich später den Text verschaffen. Statt dessen beobachtete er die Gesichter der Delegierten. Es waren Durchschnittgsgesichter von leidlich gebildeten Männern. Sie spiegelten Erleichterung wider. Erleichterung darüber, dachte Quaratone, daß ihnen eine so unangenehme, ungewohnte Aktion, wie Dr. Ingram sie vorgeschlagen hatte, erspart blieb.