»Einen Moment, Mr. McDermott.« Bisher hatte sich der Empfangschef um einen leidlich höflichen Ton bemüht; nun wurde er ausgesprochen renitent. »Es war immer Mr. Trents Geschäftstaktik -«
»Im Augenblick handelt es sich um meine Taktik«, antwortete Peter kurz angebunden. »Und noch eins: Richten Sie Ihrer Ablösung aus, daß ich morgen früh eine Erklärung dafür erwarte, warum Mr. Wells aus seinem Zimmer in die Nummer 1439 abgeschoben wurde, und Sie können hinzufügen, daß es schon ein verdammt guter Grund sein muß.«
Er sah Christine an und schnitt ein Gesicht, während er den Hörer auflegte.
5
»Du mußt verrückt gewesen sein«, fauchte die Herzogin. »Verrückt und von allen guten Geistern verlassen.« Nachdem Peter McDermott die Präsidentensuite verlassen hatte, war sie in den Salon zurückgekehrt und hatte die innere Tür sorgfältig hinter sich geschlossen.
Der Herzog rutschte unbehaglich hin und her, wie immer, wenn seine Frau ihn mit ihren regelmäßig wiederkehrenden Gardinenpredigten traktierte. »Das Ganze tut mir verdammt leid, altes Mädchen. Femsehen war eingeschaltet. Konnte den Burschen nicht hören. Dachte, er hätte sich schon verzogen.« Mit unsicheren Händen hob er sein Whiskyglas, trank einen guten Schluck und fügte wehklagend hinzu: »Außerdem bin ich noch verteufelt durcheinander.«
»Es tut mir leid! Du bist durcheinander!« In der Stimme seiner Frau lag ein Unterton von Hysterie, eine Schwäche, zu der sie sich selten hinreißen ließ. »Wenn man dich hört, könnte man glauben, alles wäre nur eine Art Spiel. Und dabei ist das, was heute nacht passiert, vielleicht der Ruin -«
»Denk bloß nicht, daß ich das nicht weiß. Weiß genau, daß es ernst ist. Verdammt ernst.« Er kauerte unglücklich in seinem Ledersessel wie ein Häufchen Elend und erinnerte in diesem Augenblick an den Hamster mit Schnurrbart und Melone der englischen Karikaturisten.
Die Herzogin fuhr anklagend fort: »Ich habe getan, was ich konnte. Nach deiner Wahnsinnstat habe ich mein menschenmögliches versucht, um jedermann einzuhämmern, daß wir einen ruhigen Abend im Hotel verbracht haben. Ich erfand sogar einen Spaziergang, für den Fall, daß uns jemand beim Hereinkommen sah. Und dann platzt du in deiner unglaublichen Naivität dazwischen und verkündest laut und deutlich, daß du deine Zigaretten im Wagen vergessen hast.«
»Das hat bloß einer gehört. Dieser Geschäftsführer oder so. Der hat überhaupt nichts gemerkt.«
»Und ob er etwas gemerkt hat! Ich habe sein Gesicht genau beobachtet.« Die Herzogin bewahrte mühsam ihre Selbstbeherrschung. »Ist dir eigentlich klar, in welcher scheußlichen Klemme wir sind?«
»Natürlich.« Der Herzog trank seinen Whisky aus und betrachtete das leere Glas. »Schäme mich maßlos. Wenn du mich nicht überredet hättest... und wenn ich nicht besäuselt gewesen wäre -«
»Besäuselt! Du warst betrunken! Du warst betrunken, als ich dich fand, und du bist's auch jetzt noch.«
Er schüttelte den Kopf, als wollte er Klarheit in seine Gedanken bringen. »Bin jetzt ganz nüchtern.« Nun war er an der Reihe mit Vorwürfen. »Du mußtest mir ja unbedingt nachspionieren. Dich einmischen. Konntest mich nicht in Ruhe
-«
»Hör auf damit. Wichtig ist jetzt nur das andere.«
»Du hast mich überredet...«, wiederholte er.
»Wir hätten sonst nichts tun können. Nichts! Und so haben wir vielleicht noch eine Chance.«
»Verlaß dich nicht zu fest darauf. Wenn die Polizei erst mal anfängt zu bohren...«
»Dazu müßte man uns erst einmal verdächtigen. Deshalb hab' ich den Zwischenfall mit dem Kellner inszeniert und so viel Aufhebens davon gemacht. Es ist zwar kein echtes Alibi, aber fast so gut. Damit habe ich ihnen eingebleut, daß wir heute abend hier waren... oder vielmehr, ich hätte es ihnen eingebleut, wenn du nicht alles verdorben hättest. Ich könnte heulen.«
»Das wundert mich«, sagte der Herzog. »Ich wußte gar nicht, daß du so weiblich bist.« Er hatte sich im Sessel aufgerichtet und irgendwie seine Unterwürfigkeit ganz oder fast abgeschüttelt. Diese chamäleonhafte Verwandlungsfähigkeit verblüffte alle, die ihn kannten, immer von neuem und veranlaßte sie zu der Frage, wie er wirklich war.
Die Herzogin errötete, ein Reiz, der ihre statuarische Schönheit noch erhöhte. »Das war überflüssig.«
»Vielleicht.« Der Herzog stand auf und begab sich zu einem Seitentischchen, wo er sich eine freigebige Portion Whisky ins Glas schüttete und ein wenig Sodawasser nachfüllte. Seiner Frau den Rücken zuwendend, fügte er hinzu: »Trotzdem kannst du nicht leugnen, daß das die Ursache all unserer Schwierigkeiten ist.«
»Ich gebe nichts dergleichen zu. Das mag für deine Angelegenheiten gelten, aber nicht für meine. Es war eine Wahnsinnsidee von dir, heute abend in diese scheußliche Spelunke zu gehen, und daß du dieses Frauenzimmer mitgenommen hast - «
»Haben das bereits besprochen«, sagte der Herzog erschöpft. »Zur Genüge. Auf der Rückfahrt. Bevor es passierte.«
»Es freut mich, daß etwas von dem, was ich sagte, hängengeblieben ist. Ich hatte nicht damit gerechnet.«
»Deine Worte durchdringen den dicksten Nebel, altes Mädchen. Ich versuche mich dagegen immun zu machen. Hab's aber bisher nicht geschafft.« Er nippte an seinem frischen Drink. »Warum hast du mich geheiratet?«
»Ich glaube, vor allem deshalb, weil du in unseren Kreisen der einzige warst, der etwas getan hat, das der Mühe wert war. Ich hörte immer nur: Der Adel hat sich überlebt. Du schienst zu beweisen, daß es nicht so war.«
Der Herzog hob sein Glas und starrte es an. »Jetzt nicht mehr, wie?«
»Nein. Wenn es dennoch den Anschein hat, dann nur, weil ich die Fäden ziehe.« »Washington?« fragte er.
»Wir könnten es schaffen, wenn du es fertigbrächtest, weniger zu trinken und im eigenen Bett zu schlafen.«
»Haha!« Er lachte hohl. »Ein verdammt kaltes Bett.«
»Ich sagte bereits, daß wir darauf nicht einzugehen brauchen.«
»Hast du dich eigentlich nie gefragt, warum ich dich geheiratet habe?«
»O doch, ich hab' mir so meine Gedanken gemacht.«
»Wenn du das Allerwichtigste wissen willst.« Er nahm noch einen Schluck, als müsse er sich Mut antrinken, und murmelte undeutlich: »Wollte dich fürs Bett. Schnell. Legal. Wußte, das war der einzige Weg.«
»Es wundert mich, daß du dir die Mühe gemacht hast. Du brauchtest unter so vielen anderen nur zu wählen - vor unserer Hochzeit und danach.«
Er starrte sie mit blutunterlaufenen Augen an. »Wollte keine andere. Wollte bloß dich. Auch jetzt noch.«
»Schluß damit!« sagte sie scharf. »Ich will nichts mehr davon hören.«
Er schüttelte den Kopf. »Bloß noch eins. Dein Stolz, altes Mädchen. Prachtvoll. Unbändig. Hat mich immer gereizt. Wollte ihn nicht brechen. Wollte nur daran teilhaben. Du auf dem Rücken. Mit gespreizten Oberschenkeln. Leidenschaftlich. Bebend... «
»Sei still! Sei still, du... du Wüstling, du!« Ihr Gesicht war weiß, ihre Stimme schrill. »Es ist mir egal, ob dich die Polizei erwischt! Ich hoffe, sie tut's! Ich hoffe, du kriegst zehn Jahre!«
6
Nach seiner schnell beendeten Auseinandersetzung mit dem Empfang ging Peter McDermott quer durch den Korridor der 14. Etage und betrat wieder die Nummer 1439.
»Wenn Sie einverstanden sind«, sagte er zu Dr. Uxbridge, »schaffen wir Ihren Patienten in ein anderes Zimmer im selben Stockwerk.«
Der hochgewachsene hagere Arzt, der Christines Hilferuf so rasch gefolgt war, nickte. Er betrachtete die enge Folterkammer mit ihrem Gewirr von Heizungs- und Wasserrohren. »Jeder Wechsel kann nur von Vorteil sein.«
Während der Arzt ans Bett und zu dem Patienten zurückkehrte, der eben wieder seine Fünf-Minuten-Dosis Sauerstoff bekam, meinte Christine: »Jetzt brauchen wir nur noch eine Pflegerin.«