»Mit dem Problem kann sich Dr. Aarons befassen«, erwiderte Peter und setzte nachdenklich hinzu: »Das Hotel wird sie engagieren müssen, vermute ich, und das bedeutet, daß wir für die Kosten haften. Glauben Sie, daß Ihr Freund Wells zahlen kann?«
Peter und Christine hatten sich in den Korridor zurückgezogen, wo sie sich mit gedämpfter Stimme unterhielten.
»Das macht mir eben Sorgen. Ich glaube nicht, daß er viel Geld hat.« Peter bemerkte, daß Christine, wenn sie angestrengt nachdachte, ihre Nase auf bezaubernde Art kräuselte. Er war sich ihrer Nähe bewußt und eines schwachen zarten Duftes, der von ihr ausging.
»Ach was«, sagte er, »in einer Nacht werden uns die Schulden schon nicht über den Kopf wachsen, und morgen früh kann sich das Kreditbüro dahinterklemmen.«
Als der Boy mit dem Zimmerschlüssel anlangte, warf Christine einen Blick in die Nummer 1410. »Das Zimmer ist bereit«, verkündete sie bei der Rückkehr.
»Es ist am einfachsten, wenn wir die Betten austauschen«, meinte Peter. »Wir rollen Mr. Wells in seinem Bett in die Nummer 1410 und schaffen das andere hierher.« Aber sie stellten fest, daß die Türöffnung um zwei Zentimeter zu schmal war.
Albert Wells, dessen Atembeschwerden nachgelassen hatten und der wieder Farbe bekommen hatte, erklärte: »Ich bin in meinem Leben so viel gelaufen, daß mir ein bißche n mehr nicht schaden wird.« Aber Dr. Uxbridge schüttelte energisch den Kopf.
Der Chefingenieur verglich den Breitenunterschied. »Ich hänge die Tür aus«, sagte er zu dem Kranken. »Dann flutschen Sie durch wie ein Kork aus der Flasche.«
»Das ist zu umständlich«, sagte Peter. »Es gibt eine schnellere und bessere Methode - falls es Ihnen recht ist, Mr. Wells.«
Der Kranke nickte lächelnd. Peter beugte sich vor, schlug dem alten Mann eine Decke um die Schultern und hob ihn hoch.
»Sie haben starke Arme, mein Junge«, sagte der kleine Mann. Peter lächelte. Dann schritt er so mühelos, als hielte er ein Kind in den Armen, den Korridor hinunter und in das neue Zimmer.
Fünfzehn Minuten später hatte sich alles eingespielt, als liefe es auf Nylonrollen. Das Sauerstoffgerät war hinübertransportiert worden, obwohl es nicht mehr so dringend benötigt wurde, da in der geräumigen Nummer 1410 die Klimaanlage nicht mit heißen Leitungsrohren konkurrieren mußte und die Luft frischer war. Der Hausarzt Dr. Aarons war eingetroffen, behäbig und jovial wie immer und von einer beinahe sichtbaren Bourbon-Wolke umhüllt. Er ging freudig auf Dr. Uxbridges Angebot ein, am nächsten Morgen in beratender Eigenschaft vorbeizuschauen, und machte sich auch eifrig den Vorschlag zu eigen, daß Cortison einem erneuten Anfall vorbeugen würde. Auch eine private Pflegerin, die Dr. Aarons liebevoll benachrichtigt hatte (»Eine wundervolle Neuigkeit, meine Beste! Wir werden wieder einmal das Vergnügen haben, zusammenzuarbeiten«), befand sich offenbar schon auf dem Wege nach oben.
Als der Chefingenieur und Dr. Uxbridge sich verabschiedeten, schlummerte Albert Wells friedlich.
Peter folgte Christine in den Korridor und zog die Tür langsam zu. Dr. Aarons marschierte, während er auf seine Pflegerin wartete, im Zimmer auf und ab und begleitete sich dazu, pianissimo, mit der Torero-Arie aus Carmen. (»Pom, pom, pom; pompom; pompompom, pompom...«) Die Tür fiel ins Schloß und schnitt den Gesang ab.
Es war Viertel vor zwölf.
Als sie auf den Lift zusteuerten, sagte Christine: »Ich bin froh, daß wir ihn dabehalten haben.«
»Mr. Wells?« fragte Peter überrascht. »Warum hätten wir ihn fortschicken sollen?«
»Manche Hotels hätten's getan. Sie wissen ja, wie die sind: Es braucht nur was Außergewöhnliches zu passieren, und jeder fühlt sich belästigt. Sie wollen bloß, daß die Leute kommen und gehen und ihre Rechnung bezahlen; das ist alles.«
»Solche Hotels sind Wurstfabriken. Ein richtiges Hotel ist für den Gast da und leistet ihm Beistand, wenn er ihn braucht. Die besten Hotels haben so angefangen. Leider haben zu viele Leute in unserer Branche das vergessen.«
Sie sah ihn neugierig an. »Sie finden wohl, daß wir hier es auch vergessen haben?«
»Da haben Sie recht, verdammt noch mal! Wir denken kaum noch daran. Wenn ich freie Hand hätte, würde sich hier eine ganze Menge ändern...« Er verstummte, leicht beschämt über seine eigene Heftigkeit. »Schwamm drüber. Meistens behalte ich so aufrührerische Ideen für mich.«
»Sie dürften sie aber nicht für sich behalten, und wenn Sie's doch tun, sollten Sie sich schämen.« Christine wußte, daß das St. Gregory in vieler Hinsicht unzulänglich war und in den letzten Jahren hauptsächlich von seinem alten Ruhm gezehrt hatte. Gegenwärtig befand sich das Hotel zudem in einer finanziellen Krise, die möglicherweise drastische Veränderungen erzwingen würde, auch gegen den Willen des Besitzers Warren Trent.
»Es lohnt sich nicht, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen. W. T. hat für neue Ideen nichts übrig.«
»Das ist kein Grund, aufzugeben.«
Er lachte. »Sie reden wie eine Frau.«
»Ich bin eine Frau.«
»Stimmt«, sagte Peter. »Ich fange an, mir darüber klarzuwerden.«
Und genauso war es auch, dachte er. Denn solange er Christine kannte - seit seiner Ankunft im St. Gregory -, hatte er sie als gegeben hingenommen. Erst in letzter Zeit hatte er sich immer häufiger bei dem Gedanken ertappt, wie anziehend sie war und wie gut sie aussah. Er fragte sich, welche Pläne sie für den Rest des Abends haben mochte.
Er sagte versuchsweise: »Ich hab' noch nicht zu Abend gegessen; hatte keine Zeit dazu. Haben Sie Lust, mir bei einem späten Souper Gesellschaft zu leisten?«
»Ich liebe späte Soupers«, antwortete Christine.
Als sie im Lift anlangten, sagte er: »Da ist noch eine Sache, die ich nachprüfen möchte. Ich hatte Herbie Chandler beauftragt, sich um die Beschwerde in der elften Etage zu kümmern, aber ich traue ihm nicht. Danach bin ich fertig.« Er nahm ihren Arm und drückte ihn leicht. »Wollen Sie in meinem Büro auf mich warten?«
Seine Hände griffen erstaunlich sanft zu für jemanden von seiner Größe. Christine musterte von der Seite das kräftige, energische Profil mit dem vorspringenden Kinn, das wie aus Stein gemeißelt schien. Es war ein interessantes Gesicht, mit einem Zug hartnäckiger Entschlossenheit, die in Eigensinn umschlagen konnte. Sie spürte, wie ihre Sinne sich regten. »Gut«, sagte sie. »Ich warte.«
7
Marsha Preyscott wünschte sich sehnlichst, daß sie ihren neunzehnten Geburtstag irgendwie anders verbracht hätte oder wenigstens auf dem Alpha-Kappa-Epsilon-Verbindungsball im großen Kongreßsaal des Hotels geblieben wäre. Der Lärm des Balles, gedämpft durch die acht dazwischenliegenden Stockwerke und konkurrierende Geräusche, drang bis zu der Suite in der elften Etage und durchs offene Fenster herein. Einer der Jungen hatte es vor einigen Minuten erst gewaltsam geöffnet, weil Hitze, Zigarettenrauch und Alkoholdunst in dem vollen Raum unerträglich wurden, sogar für jene, deren Wahrnehmungsvermögen rapide nachließ.
Es war ein Fehler gewesen, herzukommen. Aber wie immer hatte sie rebellisch nach einer Abwechslung verlangt, und die hatte Lyle Dumaire ihr versprochen. Lyle, den sie seit Jahren kannte, mit dem sie gelegentlich ausging und dessen Vater Präsident einer der hiesigen Banken und mit ihrem eigenen Vater eng befreundet war. Während sie miteinander tanzten, hatte Lyle ihr erzählt: »Das hier ist doch der reinste Kindergarten, Marsha. Ein paar von den Burschen haben eine Suite genommen, und wir waren fast den ganzen Abend über oben. Dort geht's rund, kann ich dir sagen.« Er schwang sich zu einem männlichen Lachen auf, das aber irgendwie zu einem Kichern abrutschte, und fragte dann geradezu: »Warum kommst du nicht auch rauf?«
Ohne lange zu überlegen, hatte sie zugestimmt. Sie waren aus dem Tanzsaal geschlüpft und hatten sich in die kleine überfüllte Suite 1126-7 begeben, wo ihnen bereits an der Tür warme abgestandene Luftschwaden und schrilles Stimmengewirr entgegenschlugen. Es waren mehr Leute da, als sie erwartet hatte, und sie war auch nicht darauf gefaßt gewesen, daß einige von den Jungen bereits stark angetrunken waren.