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Jakob ließ den Hörer fallen.

Er saß da, als sei er im Sitzen gestorben. Mit einem idiotischen Lächeln des Triumphes auf den Lippen. Seine Freunde hatten sich, während er sprach, erhoben und waren in der Bibliothek auf und ab gegangen. Sie standen nun neben ihm, der langsam wieder zum Leben erwachte.

Jakobs Lächeln verschwand. Ernst und gefaßt wurde sein Gesichtsausdruck.

»Verzeiht die blöde Störung«, sagte er. »Ich bin da bei Sir Alexander Mills eingeladen. Auch noch alle diese Einladungen! Und all das Gequatsche mit all diesen Hocharistokraten und berühmten Schriftstellern und Malern und Bankiers … Als ob man nicht schon genug zu tun hätte!«

Das einzige, was er nicht beherrschen konnte, waren seine Hände. Die zitterten. Seine Freunde sahen es wohl. Über Jakob Formanns Kopf hinweg blickten sie einander sorgenvoll an.

40

Jakob Formann war vollkommen verzweifelt.

Sein Rolls-Royce, den er nach Cannes hatte fahren lassen, war nicht in Bewegung zu setzen. Der Verteiler sei im Eimer, sagte ihm Otto, einer der drei Chauffeure, die er mittlerweile beschäftigte.

»Tut mir leid, Jakob, aber da ist nichts zu machen. Bis ein Mechaniker aus London kommt und das Zeug repariert, vergehen zehn Tage. Es gibt aber in der Rue d’Antibes eine Großgarage, da kann man alle Arten von Luxusautos leihen.«

»Leihen!« sagte Jakob im Salon seiner Suite im Hotel MAJESTIC dumpf.

»Bist du wahnsinnig geworden, Otto? Willst du mich ruinieren? Ich kann doch nicht mit einem geliehenen Rolls nach Saint-Jean-Cap-Ferrat fahren!«

Natürlich. Gerade am fünfundzwanzigsten, dem Tag der Gala, die Sir Alexander gab, mußte der verfluchte Rolls kaputt sein.

»Nehmen wir eben den großen Merßedes«, sagte BAMBI. »Den hast du doch auch herkommen lassen, Jakob. Herr Emil hat ihn gefahren.«

»Mercedes? Wie stellst du dir das vor, BAMBI? Ich kann doch unmöglich mit einem Mercedes vorfahren! Die glauben ja, ich stehe vor der Pleite!« So ging das stundenlang. Am Ende waren es dann doch Otto Radtke und der Mercedes. Nichts zu machen.

Sie fuhren von Cannes nach Nizza. Saint-Jean-Cap-Ferrat liegt zwischen Nizza und Villefranche-sur-Mer. Es war ein heißer Sommerabend. Im Wagen war es angenehm kühl. Otto trug eine etwas übertriebene Uniform. Er sah aus wie ein Operettengeneral. Und die beiden Damen, die mit Jakob fuhren, sahen erst aus! Also schöner konnten Damen nicht aussehen! Die braune BAMBI trug ein hautenges, direkt auf ihren Körper gearbeitetes Kleid aus einem goldenen Glitzerstoff, sie hatte es von Emilio Schubert, und auch gesagt, wie der Stoff hieß, aber Jakob hatte es vergessen. Dazu Schuhe, die wie aus Gold gemacht aussahen. Und nur Rubinschmuck – rot, rot, rot! Der Riesenring, die Ohrringe, die Handgelenk-Geschmeide, das Collier. BAMBI saß neben Otto vorne. Sie sagte zu wiederholten Malen:

»Der Wahlspruch von uns Mannequins ist: Man muß ßein Bestes geben. Ich werde mein Bestes geben, ßeid ganz beruhigt.«

Otto antwortete jedesmal, daß er ganz beruhigt sei.

Jakob hingegen war nervös. Trotz der drei Beruhigungstabletten. Jakob schwitzte in seinem weißen Smoking, an dessen linkem Revers die Spangen von allerlei hübschen Orden und Ehrenzeichen prangten. Rot war die Fliege, das Smokinghemd vielfach gefältelt, die Manschetten hatten richtige Rüschen. Die glänzenden Lackslipper kniffen die in schwarzen Seidensocken steckenden Füße.

Sie fuhren am abendlichen Mittelmeer vorbei.

»Das Mittelmeer kennt weder Ebbe noch Flut«, dozierte Jakob. O ja, er hatte sich informiert. Er war gewappnet. Für jede Art von Konversation! Da hatte er seit seinem Besuch bei dem Psychoanalytiker Dr. Watkins an sich selbst gearbeitet, hart und unablässig. Claudia hatte ihm geholfen. Noch in Cannes war sie mit ihm das ganze Alphabet durchgegangen. Für jeden der vierundzwanzig Buchstaben kannte Jakob eine Anzahl von Begriffen oder Wörtern, mit deren Hilfe er seine Meinung zu den verschiedensten Themen (eigentlich zu beinahe allen denkbaren!) in Formulierungen äußern konnte, ähnlich der über Wagner und Meyerbeer, die ihm Dr. Watkins als Beispiel gegeben hatte.

Claudia, die blonde Contessa della Cattacasa, saß neben ihm. Sie trug ein Abendkleid aus hellblauem Chiffon, raffiniert gerafft. Dazu war sie behängt mit einer Ladung Saphirschmuck – auch eine ganze Garnitur. Im Mercedes roch es wie in einer Parfümerie, die ausschließlich ›Jean Patou‹-Parfums vertrieb.

Beide Damen zeigten bloße Schultern und erregende Dekolletés.

Otto bog nun rechts ab.

Saint-Jean-Cap-Ferrat: 1,5 km, stand auf einer Tafel.

Der Mercedes rollte auf die kleine Halbinsel hinaus.

»Dies«, gab Jakob bekannt, »war einmal ein Fischerdorf. Nun hat es sich zu einem Paradies der Reichsten der Reichen entwickelt – in der Mitte der Ostküste. Wer hier wohnt, kann sich sowohl in Nizza wie in Cannes wie in Monte Carlo vergnügen. Ein Kleinod.«

»Wie die Seetschellen?« fragte BAMBI.

»Wie die Seychellen, mein liebes Kind.«

»Wir ßollten auch hier ein Haus haben«, meinte BAMBI.

»Werden wir, werden wir«, murmelte Jakob, seine schweißnassen Hände reibend, verzweifelt immer wieder die Hasenpfote in der Smokingtasche pressend. »Vergiß nicht, BAMBI, du hast mir versprochen, schön zu sein und den Mund zu halten!«

»Willst du damit vielleicht ßagen, daß ich doof bin?« BAMBI regte sich auf.

»Um Himmels willen! Nur, du bist so schön … so schön … Die schönen Frauen sprechen kaum. Sie lächeln nur geheimnisvoll.«

»Sso?« fragte BAMBI und gab eine Kostprobe.

»Genau so, mein liebes Kind!«

»Wenn ich das nicht kann! Jahrelang habe ich das trainiert bei den Fotografen!« BAMBI war wieder besänftigt. Jakob warf Claudia einen Blick zu. Diese nickte dem Erschöpften aufmunternd zu. Ihr Blick sagte: Mut, nur Mut, es wird schon schiefgehen.

Wenn man etwas verschreit …

41

Natürlich war es noch zu früh.

»Man kommt nicht zu früh«, sagte die Contessa. »Zu spät ja, aber nicht zu früh. Das ist nicht fein. Wir müssen noch ein bißchen herumfahren, Otto. Zuerst zur Midi-Plage.« Claudia kannte sich hier aus. Sie sprachen alle Englisch miteinander, ganz blödsinnig, denn sie alle konnten deutsch. Mit Französisch war das so eine Sache. Jakob sprach es jetzt halbwegs, Claudia natürlich fließend, BAMBI kein Wort, Otto etwa so gut wie Jakob. Claudia hatte gesagt, daß hier unten jeder zweite Englisch verstehe und spreche. Ja, und was macht man mit jedem ersten?

Otto hatte den Mittelpunkt des Ortes, die Place Clemenceau, erreicht und bog nun, wie Claudia ihn geheißen hatte, zur Midi-Plage nach links ab. Rot färbte die sinkende Sonne das Meer. (Genauso rot wie den Don bei Rostow, dachte Jakob. Bei Rostow tut sie das freilich mit viel mehr Berechtigung! Wagner kann ich nur folgen, solange er von Meyerbeer beeinflußt ist.)

»Immer noch zu früh«, sagte Claudia. »Otto, fahren Sie jetzt zum kleinen Hafen und zur Kirche.«

»Jawohl, Frau Gräfin.«

Schließlich war es an der Zeit. Die Halbinsel bevölkerte sich mit Rolls-Royces, Bentleys, Cadillacs. Und ich mit meinem Mercedes, dachte Jakob voll Bitterkeit. In der Erde würde ich am liebsten versinken.

»So, Otto, nun können wir«, sagte Claudia. (Sie waren am Badestrand Anse de la Scalette angekommen. Die Straße folgte ihm eine Weile, dann führte sie in Kurven zur Spitze der Halbinsel. Da oben sah Jakob einen alten Wachtturm, eine Kapelle, einen Friedhof und eine riesige Statue.)

»Die Statue ist aus Bronze, die Madonna von Galbusieri«, gab Claudia bekannt, die seinen Blicken gefolgt war.

Verflucht, Galbusieri, dachte Jakob. Nie gehört. Da geht kein Sabbern. Nix. Hoffentlich kommt nicht die Rede auf diesen Galsowieso.

Zu seiner Überraschung hielt Otto plötzlich.

»Was ist los?«

»Wir sind da, Jakob.«

»Das gehört schon Sir Alexander?«

»Das gehört schon Sir Alexander«, sagte Claudia, kühl bis ans Herz hinan. »Rund um die ganze Inselspitze. Habe ich dir doch gesagt, Jakob. Ein ungeheurer Besitz, du wirst sehen.«