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Der Schmerz in der Herzgegend wurde stärker und stärker. Und das Atmen fiel Jakob schwerer und schwerer. Er ächzte. Er stöhnte. Er wand sich. Überall brach ihm Schweiß aus. Er konnte gerade noch denken: Jetzt hat der Franzl mir meinen ganzen schönen Krieg versaut.

Nachdem er das gedacht hatte, wurde ihm schwarz vor den Augen, und er kippte gegen Ottos Schulter. Aber das wußte er schon nicht mehr.

38

Mit einem Schrei fuhr Jakob auf. Er lag in einem fremden Bett in einem fremden Zimmer und vor ihm stand ein fremder Mann in einem weißen Mantel. In diesem Zimmer war alles weiß.

»Hilfe!« schrie Jakob Formann.

»Jajaja«, sagte der Mann in Weiß und drückte ihn ganz sanft auf das Kissen zurück. »Ist ja schon gut. Endlich ausgeschlafen?«

»Wer sind Sie?«

Jakob war so sterbenselend zumute wie noch nie.

»Ich bin«, sagte der im weißen Kittel, »Professor Klappke, Arzt vom Dienst auf Ihrer persönlichen Privatstation.«

»Privatstation von was?«

»Von Ihrem Berliner Großklinikum, Herr Formann.«

»Sie … Sie kennen mich?«

»Natürlich kenne ich Sie.«

»Ogottogottogott …«

»Aber was haben Sie bloß?«

»Einen Herzinfarkt natürlich!«

»Keine Spur, Herr Formann!«

»Ich habe einen Herzinfarkt!« regte Jakob sich auf.

»Herr Formann, Sie sind sofort nach der Einlieferung untersucht worden. Gründlichst. Besonders das Herz. Ich wiederhole: Sie haben keinen Herzinfarkt!«

»Und ich bestehe darauf, ich habe einen!«

»Sie haben einen … verzeihen Sie … hysterischen Herzanfall erlitten und …«

»Hysterisch? Sie haben hysterisch gesagt?«

»Ja. Das war nicht bös gemeint. Sie hatten wahrscheinlich große Aufregungen. Da passiert so etwas schon einmal.«

»Aber die Schmerzen in der Herzgegend … die Atemnot … meine Ohnmacht … Jetzt erinnere ich mich wieder …«

»Und ich kann nur wiederholen: Sie haben keinen Herzinfarkt, Herr Formann.« Der Arzt mußte mächtig an sich halten. »So glauben Sie mir doch endlich!«

»Wer sind Sie überhaupt?«

»Professor Klappke, wie ich schon sagte, Herr Formann. Oberarzt bei Professor Weidenhaus, Herr Formann. Professor Weidenhaus ist mehr als überlastet. Ich halte hier seit sechs Tagen Wache. Umschichtig natürlich. Mit Professor Johannsen. Es geschieht alles für Sie! Wenn Sie wieder zu sich kommen, soll ich Professor Weidenhaus sofort verständigen …«

»Was heißt ›zu mir kommen‹?«

»Wir haben Ihnen ein paar Spritzen geben müssen, Herr Formann.«

»Spritzen? O Gott! Warum Spritzen?«

»Um Sie zu beruhigen. Damit Sie schlafen. Sie waren überarbeitet. Sie hatten einen kleinen Zusammenbruch.«

»Zusammenbruch?« jaulte Jakob auf. »Jakob Formann ist zusammengebrochen? Was schreiben die Zeitungen? Was sagt das Fernsehen?«

»Ihre kleine Unpäßlichkeit ist geheimgehalten worden.«

»Kleine Unpäßlichkeit?« Jakob empörte sich. »Mann, gefällt es Ihnen hier nicht mehr? Wollen Sie kündigen? Fristlos vielleicht?«

»Herr Formann … Herr Formann … Ich bitte Sie!«

»Bitten mich … bitten mich!« brauste Jakob noch mehr auf. »Da hat man in Berlin ein Großklinikum aus dem Boden gestampft, und wenn man dann selber eingeliefert wird, dann hat man eine kleine Unpäßlichkeit? Unverschämtheit so etwas! Sie werden von mir bezahlt, vergessen Sie das nicht! Ihr alle hier werdet von mir bezahlt, verflucht noch mal! Und dann muß ich mir so was anhören! Kleine Unpäßlichkeit! Wie bin ich überhaupt hierhergekommen? Mir fehlen ja sechs Tage!«

»Mit einem Flugzeug der PAN AMERICAN WORLD AIRWAYS, Herr Formann«, sagte der Professor, der sich entsetzlich zusammennehmen mußte, um Jakob nicht eine zu schmieren. »Ihre eigenen Maschinen dürfen ja nicht durch die Luftkorridore nach Berlin.«

»Wie bin ich in die PAN AM gekommen?«

»Sie … hrm … haben Ihren Zusammenbruch auf der Fahrt nach Köln erlitten …«

»Zusammenbruch, hahaha! Meinen Herzinfarkt!«

»… und Ihr Chauffeur, Herr Radtke, brachte Sie sofort zum Flughafen. Sie tragen doch eine goldene Plakette um den Hals, auf der steht, daß Sie im Krankheitsfall unter allen Umständen sofort hierher in Ihr Berliner Klinikum gebracht zu werden wünschen!«

»Krankheitsfall! Jetzt haben Sie sich verraten! Herzinfarkt! Ich hab’s doch gesagt! Herzinfarkt! Was fehlt mir noch?«

»Ihnen fehlt gar nichts, Herr Formann. Wie gesagt: Überarbeitung und …«

»Schweigen Sie! Schweigen Sie augenblicklich! Und bringen Sie mir den Klinikchef! Her mit ihm! Aber sofort, verstanden?«

39

Es gibt Sachen, die darf sich selbst ein so großer Mann wie Jakob Formann nicht erlauben. Mit solchen Sachen bringt er seine Umwelt auf die Palme.

Es gelang dem großen Jakob Formann in den nächsten zwei Stunden, sieben Ärzte von Rang und Namen, ja von Weltruf auf die Palme zu bringen. Es gelang ihm ganz einfach. Nämlich so: Er zieh sie der Unfähigkeit. Er erklärte, jeden Moment sterben zu können. Er bestand auf einer Untersuchung seines Herzens.

Einer Untersuchung seines Herzens?

Auf allen Untersuchungen, die es überhaupt gab!

Wozu hatte sein Großklinikum phantastische Geräte, Apparate und sonstiges diagnostisches Inventar? Bloß, um ausgerechnet ihn nicht damit zu untersuchen?

»Wir werden Sie also untersuchen, lieber Herr Formann«, sagte der Klinikchef Professor Dr. Eberhard Weidenhaus mit gefrorenem Lächeln. Er stand vor Jakobs Bett. Neben ihm standen sechs andere Professoren der verschiedensten Fachgebiete.

»Aber von Kopf bis Fuß!« sagte Jakob Formann, mit zuckender Narbe an der Schläfe.

»Von Kopf bis Fuß«, sagte Professor Dr. Eberhard Weidenhaus gepreßt höflich. »Seien Sie ganz ohne Sorge.« Die versammelten Ärzte wechselten Blicke. Sie besagten nichts Gutes, diese Blicke. Sie hatten nichts Gutes vor, die sieben Ärzte. Sie hatten allerdings auch nicht mit einem Charakter wie Jakob Formann gerechnet …

Sie fingen harmlos an.

Also wieder das Herz. Mit allen Ableitungen, die es gab und noch ein paar dazu, die es nicht gab, damit mehr bunte Kabel mit Saugnäpfen auf Jakobs Brust befestigt werden konnten. Dann nahmen sie Jakob Blut ab. Für ein differenziertes Blutbild und vielerlei andere Tests. Dann Urin. Eine Probe genügte ihnen nicht. Einen ganzen Tag lang wurde jedes Tröpfchen Harn gesammelt. Und damit noch nicht genug. Am frühen Morgen mußte er eine Riesenkanne voll scheußlich schmeckendem Tee hintereinanderweg austrinken und dann jedesmal, wenn er mußte, in ein anderes Glas pinkeln. Sie machten ein Elektroenzephalogramm. Sein Gehirn arbeitete normal.

Sie spritzten ihm eine blaue Flüssigkeit ein, um zu sehen, was mit seiner Leber los war. Eine halbe Stunde nach dem Einspritzen wurde es Jakob totenübel. Sein (tadellos funktionierendes, er hatte es einsehen müssen!) Herz klopfte wild. Na also, dachte er, Leberkrebs. Es war kein Leberkrebs. Die Leber war völlig in Ordnung. Bei solchen Untersuchungsmethoden wird vielen Patienten schlecht. Das sagte ihm – in ihrer Unschuld – vertraulich eine bildhübsche Schwester mit Namen Kirsten.

Prompt begann Jakob abermals vor dem Professor zu lärmen: »Warum haben Sie keine Untersuchungsmethoden, bei denen einem nicht schlecht wird?«

»Sie wollten doch einen kompletten Check-up, Herr Formann!«

»Jawohl, den will ich! Das ist das wenigste, was Jakob Formann in seinem eigenen Großklinikum erwarten darf! Weiter, meine Herren, weiter!«

Also klemmten sie ihm die Nase zu und setzten ihm eine Maske aufs Gesicht und bestimmten seinen Grundumsatz. Völlig normal. Überhaupt alles: o.B., und das heißt: ›ohne Befund‹ und also völlig normal.

»Das gibt es nicht! Ich bin krank! Weiteruntersuchen!« befahl Jakob.

Also machten sie eine hübsche kleine Gastroskopie mit ihm. Da mußte er einen langen Schlauch schlucken. Während er es tat, hatte er Lustgefühle bei dem Gedanken, daß er jeden Moment ersticken würde. Noch größere Lustgefühle überkamen ihn anläßlich der folgenden Rektoskopie. Da wurde ihm so ein Schlauch hinten reingesteckt, um zu sehen, ob mit seinem Darm alles in Ordnung war. Es war alles in Ordnung mit seinem Darm.