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An seine Akribie gewöhnt, wartete ich geduldig darauf, daß sein Kreuz und seine Hände sich entspannten, und endlich grunzte er zufrieden, schaltete das Sprechfunkgerät an und teilte dem Sonntagsflugleiter oben im Glasturm mit, daß Ironside mit seiner Cherokee die Starterlaubnis für einen einfachen Flug nach Newmarket brauche, voraussichtliche Rückkehr gegen siebzehn Uhr Ortszeit. Kris und der Flugleiter kannten sich gut; der Informationsaustausch war eher eine Geste als eine Pflicht. Frei zum Rollen, bestätigte der Tower.»Danke, Junge«, sagte der Pilot.

Kris hatte recht, es war ein herrlicher Tag zum Fliegen. Die leicht beladene Cherokee hob locker ab und schwenkte im Aufsteigen nach Norden. Der Motorenlärm, halb Knurren, halb Klappern, machte eine normale Unterhaltung schwierig, aber Reden war dort oben, wo man auf Adler hätte hinabsehen können, ohnehin überflüssig. Ein Glücksgefühl stieg in mir auf wie ein bunter Luftballon, und ich verfolgte unseren Weg anhand der Karte auf meinen Knien mit höchster Zufriedenheit. Eines Tages, wieso nicht, würde ich vielleicht selbst fliegen lernen…

Kris hatte auf der Landkarte zwei gerade Linien eingezeichnet, die Route zum Lunch und zurück. Nun steuerte er nach dem Kursweiser, wobei er Seitenwind und magnetische Mißweisung mit einrechnete, und ich beobachtete innerlich jubelnd den Lauf der Straßen und Flüsse zweitausend Meter unter uns und sah ihn grinsen und mit dem Kopf nicken, wenn ich sie ihm zeigte.

Wir flogen von White Waltham nach Norden und schwenkten dort, wo die vielspurige, nach Norden gehende M1 die Außenbezirke der weitgedehnten Stadt Luton mit ihrem vielbesuchten Flughafen erreichte, nach Nordost.

Kris hätte sich gern ein paar der neuesten flugelektronischen Errungenschaften zugelegt, die das Navigieren in der Luft erleichterten. Es kostete ihn aber schon den letzten Heller, überhaupt zu fliegen, und so navigierte er mit dem Finger auf der Karte und mit Hilfe scharf aufpassender Mitflieger; einmal erst, sagte er, hatte er sich auf diese Weise gefährlich verflogen.

Wir franzten uns wohlbehalten in die Gegend von Newmarket durch, wo er dann ein großes Haus ein wenig südlich der Stadt anpeilte, auf knapp dreihundert Meter hinunterging und es zweimal umkreiste, worauf winkende Gestalten unten im Garten erschienen.

«Caspar Harveys Haus«, rief Kris unnötigerweise.

Ich nickte bestätigend, und während er es im Uhrzeigersinn umflog und die Tragfläche auf meiner Seite senkte, um mir freie Sicht zu geben, holte ich die nützliche kleine Kamera hervor, die ich immer dabeihatte, und schoß genügend Aufnahmen, um unserem Gastgeber ein Dankeschön mitzubringen und ihm eine Freude zu machen.

Kris hörte auf zu kreisen, ging noch einige fünfzig Meter tiefer und führte mir von der Cherokee aus die zweckmäßig gebaute Stadt vor, die als die Schaltzentrale der Renn-welt galt. Wieviel hundert Mal hatte ich schon per Telefon mit Trainern gesprochen, die dort arbeiteten. Wir hatten uns tonnenweise E-Mails geschickt. Ich kannte Stimmen, und ich kannte Typen, denn es war nicht nur Oliver Quigley mit seinen nervösen Ängsten, der Garantien von mir verlangte, die ich nicht geben konnte.

Weder ich noch Kris, den ich vor dem Flug gefragt hatte, wußten, ob die vielen Ställe in Newmarket aus der Luft zu erkennen waren, und als wir nun mit hundertzwanzig Knoten über die Stadt donnerten, stellte ich fest, daß ich nur die zwei oder drei größten wiedererkannte.

Oliver Quigley hatte mir öfter erzählt, daß seine Pferde vom Stall direkt nach Warren Hill hinaustraben konnten, doch bei dem Tempo, dem Sonnenschein und meiner mangelnden Vertrautheit mit der Luftansicht der Stadt hätte ich überhaupt nicht sagen können, in welchem der viereckigen Stallhöfe Caspar Harveys vierbeinige Geldanlagen standen, ganz zu schweigen von der Stute, die am Freitag starten sollte. Um dem Trainer auch wirklich eine Freude zu machen, knipste ich daher möglichst viele Höfe.

Nirgends war ein Pferd zu sehen, weder auf den gut erkennbaren Trainingsanlagen noch auf den Horsewalks, den speziell für Pferde angelegten Wegen, die die Stadt durchzogen. Irgendwo da unten gab es mehr als zwölfhundert edle Vollblüter, aber sonntags um die Mittagszeit träumten sie wahrscheinlich nur.

Kris sah auf seine Armbanduhr, schwenkte von der Stadt nach Süden und setzte gekonnt auf dem dafür vorgesehenen Grasstreifen auf, der neben dem im Hochsommer genutzten Teil der Rennbahn — dem July Course — verlief. Der Jockey Club erlaubte das nicht nur, sondern erhob zu Kris’ Leidwesen eine Gebühr dafür.

Wir rollten schnell zu einem wartenden Landrover hinüber, an dem eine junge Frau in einem ultrakurzen Rock lehnte.

«Mist«, sagte Kris heftig.

«Wieso Mist?«

«Er hat seine Tochter geschickt. Dabei hat er mir versichert, sie wäre nicht da.«

«Sie sieht doch ganz okay aus.«

Kris hatte für meine Naivität nur ein mitleidiges» Ha!«übrig, zog die Cherokee herum, brachte sie in eine gute Parkposition und stellte den Motor ab.

«Sie heißt Belladonna«, sagte er.»Ein Gift.«

Ich löste meinen Sicherheitsgurt, öffnete die Tür, stieg aus und sprang von der Tragfläche herunter. Kris kam nach dem Schaltercheck hinterher. Ich wußte nicht genau, ob das mit ihrem Namen ernst gemeint war, aber er machte uns zwanglos miteinander bekannt.»Bell, das ist Perry. Perry… Belladonna. Sag Bell zu ihr.«

Ich gab ihr die Hand. Sie sagte mit hochgezogenen Augenbrauen:»Sind Sie nicht…?«:

«Doch, doch«, sagte ich.

Sie sah nicht tödlich, sondern allerliebst aus. Blonde Haare, eher zausig als ordentlich. Blaue Augen mit unschuldig blinzelnden Lidern. Rosarot nachgezeichnete Lippen, die nie ganz zu lächeln aufhörten. Auch ohne die Bemerkung von Kris wäre ich auf Hexerei gefaßt gewesen.

«Rein mit euch«, sagte sie und winkte zu dem Landrover.

«Dad hat euch kreisen hören und mich hergeschickt. Er macht gerade Glühwein. Davon kriegt ihn keiner weg.«

Als wäre die Aufforderung nicht an sein Ohr gedrungen, lief Kris um den Flieger herum, tätschelte ihn beifällig und lauschte dem leisen Knistern des abkühlenden Metalls. Der weiß lackierte Rumpf glänzte in der Sonne, ebenso wie Kris’ persönliches Kennzeichen, der dunkelblaue Blitz, und die Registriernummer, die ihn international auswies; und tatsächlich war er schon so viel herumgekommen, daß man ihn in etlichen Weltgegenden (nicht ohne Respekt) den >pingeligen Engländer< nannte. Wenn er an nassen Tagen landete, wischte er die Flügel nicht nur oben, sondern auch an der Unterseite ab, wo die Räder sie mit Matsch bespritzt hatten.

«Steig schon ein«, sagte Bell und hielt ihm die Beifahrertür auf.»Die Lunchparty ist heute, nicht morgen.«

Die Feindseligkeit zwischen ihnen war versteckt, aber eindeutig vorhanden. Ich saß während der acht Kilometer Fahrt zu Caspar Harvey hinten, lauschte dem nicht unhöflichen Zwiegespräch und fragte mich, wie weit ihre gegenseitige Abneigung ging — ob zum Beispiel einer für die Rettung des anderen sein Leben aufs Spiel setzen würde.

Caspar Harveys Haus, so zeigte sich, war mehr als imponierend anzusehen, aber man konnte es nicht direkt protzig nennen. Die Vorderseite mit ihrem kleinen palladianischen Säulenportal machte zwar viel her, doch dahinter war alles recht einfach gehalten. Diele und Wohnzimmer, durch Türbogen miteinander verbunden, boten reichlich Platz für die gut dreißig Leute, die dort herumstanden und Glühwein tranken, Erdnüsse knabberten und über Newmarkets einträglichsten Produktionszweig plauderten — Rennpferde.

Caspar Harvey schlängelte sich, als er Kris’ Ankunft bemerkte, mit hoch erhobenem Glas durch den Raum, bis er seinen neuen Gast durch Zurufen begrüßen konnte.

«Ich hab Sie kreisen gehört. «Er nickte Kris zu.»Und schön, daß Sie mitgekommen sind«, ergänzte er zu mir gewandt.»Mein Trainer schwört auf Ihr Gespür für Regen. Er steckt hier irgendwo. Soll ich meine Stute am Freitag starten? Meine Frau glaubt an die Sterne. Mögen Sie Glühwein?«