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Langdon musterte den Generaldirektor, während er immer noch versuchte, die bizarre Umgebung zu verarbeiten. »Spiritualität und Physik?« Langdon hatte seine gesamte Karriere mit dem Studium der Religionsgeschichte verbracht, und wenn es ein immer wiederkehrendes Thema gab, dann war es die Tatsache, dass Wissenschaft und Religion vom Tag eins an gewesen waren wie Öl und Wasser. Erzfeinde. durch und durch unvereinbar.

» Vetra ist. war an der vordersten Front der Teilchenphysik«, fuhr Kohler fort. »Er hatte angefangen, Religion und Wissenschaft zu verschmelzen. zu zeigen, dass sie sich auf höchst unerwartete Weise gegenseitig ergänzen. Er nannte sein Forschungsgebiet die Neue Physik.« Kohler nahm

ein Buch aus dem Regal und reichte es Langdon.

Langdon betrachtete den Einband. Gott, Wunder und die Neue Physik - von Leonardo Vetra.

»Es ist ein eng begrenztes Forschungsfeld«, sagte Kohler, »doch es liefert uns neue Antworten auf ein paar alte Fragen -Fragen über den Ursprung des Universums und die Kräfte, die uns alle binden. Leonardo glaubte, dass seine Forschung das Potenzial besaß, Millionen Menschen zu einem spirituelleren Leben zu führen. Erst letztes Jahr bewies er die Existenz einer energetischen Kraft, die uns alle vereint. Er demonstrierte auf beeindruckende Weise, dass wir alle physisch miteinander in Verbindung stehen. und dass die Moleküle in Ihrem Körper mit den Molekülen in meinem in Wechselwirkung stehen. dass es eine einzige Kraft ist, die uns alle antreibt.«

Langdon war fassungslos. Und die Macht Gottes wird uns alle vereinen. »Mr. Vetra hat einen Weg gefunden, um zu beweisen, dass alle Partikel verbunden sind?«

»Einen schlüssigen Beweis. Eine der letzten Ausgaben von

Scientific American nannte die Neue Physik einen Weg, der sicherer zu Gott führt als jede Religion.«

Die Bemerkung saß. Langdon musste an die antireligiösen Illuminati denken. Zögernd zwang er sich zu einem vorübergehenden Abstecher in das Unmögliche. Falls die Illuminati tatsächlich noch immer aktiv waren - hätten sie Leonardo getötet, um zu verhindern, dass er den Massen seine religiöse Botschaft verkündete? Langdon wies den Gedanken von sich. Absurd! Die Illuminati sind Geschichte! Das weiß jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt hat.

»Vetra besaß zahlreiche Feinde in der wissenschaftlichen Welt«, fuhr Kohler fort. »Viele Puristen haben ihn verachtet, selbst hier bei CERN. Sie sind überzeugt, dass der Gebrauch analytischer Physik zur Untermauerung religiöser Prinzipien ein Verrat an der Wissenschaft ist.«

»Aber stehen die heutigen Wissenschaftler der Kirche denn immer noch so ablehnend gegenüber?«

Kohler grunzte abfällig. »Warum sollten wir nicht? Die Kirche mag vielleicht niemanden mehr auf dem Scheiterhaufen verbrennen, aber wenn Sie glauben, sie hätte ihre Herrschaft über die Wissenschaft aufgegeben, dann fragen Sie sich doch bitte, wieso die Hälfte aller Schulen in Ihrem Land keine Evolution unterrichten darf! Fragen Sie sich, warum die Christliche Koalition der Vereinigten Staaten die einflussreichste Lobby der Welt gegen wissenschaftlichen Fortschritt ist! Der Krieg zwischen Religion und Wissenschaft ist noch immer in vollem Gang, Mr. Langdon. Er findet nicht mehr auf Schlachtfeldern statt, sondern in Konferenzräumen und Vorstandszimmern, doch er findet noch statt.«

Langdon erkannte, dass Kohler Recht hatte. Erst eine Woche zuvor hatte die Theologische Fakultät von Harvard geschlossen vor dem Gebäude der Biologischen Fakultät gegen die gentechnischen Versuche demonstriert, die dort auf dem Lehrplan standen. Der Dekan der Biologischen Fakultät, der berühmte Ornithologe Richard Aaronian, hatte seinen Lehrplan mit einem großen Banner vor der Fensterfront verteidigt. Auf dem Banner war der christliche Fisch zu sehen gewesen, mit vier kleinen Füßen - als Tribut an die Evolution der afrikanischen Lungenfische, die sich auf das Land vorgewagt hatten. Unter dem Fisch hatte »DARWIN LEBT!« gestanden, nicht »Jesus«.

Ein helles Summen riss Langdon aus seinen Gedanken. Er Nickte auf. Kohler nahm einen Pager aus der Halterung am Rollstuhl und las die hereinkommende Nachricht.

»Gut«, sagte er. »Das war Leonardos Tochter. Miss Vetra Landet in diesem Augenblick. Wir werden sie beim Hubschrauberlandeplatz empfangen. Ich halte es für besser, wenn sie nicht hierher kommt und ihren Vater so daliegen sieht.«

Langdon stimmte ihm zu. Es wäre ein zu großer Schock für Vetras Tochter.

»Ich werde Miss Vetra bitten, über das Projekt zu sprechen, an dem sie und ihr Vater gearbeitet haben. vielleicht wirft das ein neues Licht auf den Mord an Leonardo.«

»Sie glauben, dass Vetra wegen seiner Arbeit ermordet wurde?«

»Durchaus möglich, ja. Leonardo hat mir verraten, dass er in einer bahnbrechenden Sache arbeitet. Mehr hat er nicht gesagt. Er war sehr geheimnistuerisch mit diesem Projekt. Deswegen dieses private Büro in seiner Wohnung und die Abgeschiedenheit, die ich ihm wegen seiner Genialität nur zu bereitwillig gewährt habe. Leonardo verbrauchte in letzter Zeit irrsinnige Mengen an elektrischer Energie, doch ich habe bewusst darauf verzichtet, ihn nach dem Grund zu fragen.« Kohler wendete den Rollstuhl in Richtung Schiebetür. »Da gibt es allerdings noch eine Sache, die Sie vielleicht wissen sollten, bevor wir diese Wohnung verlassen.«

Langdon war nicht sicher, ob er es hören wollte.

»Der Mörder hat etwas gestohlen.«

»Gestohlen?«

»Folgen Sie mir.«

Der Direktor rollte zurück in das eisige, von Nebelschwaden erfüllte Wohnzimmer. Langdon folgte ihm, ohne zu wissen, was ihn nun schon wieder erwartete. Kohler steuerte seinen Rollstuhl ganz nah an den Leichnam Vetras heran und hielt. Er bedeutete Langdon, zu ihm zu kommen. Zögernd näherte er sich. Übelkeit stieg in ihm auf, als er den gefrorenen Urin des Toten roch.

»Sehen Sie sein Gesicht an«, forderte Kohler ihn auf.

Ich soll sein Gesicht ansehen?, dachte Langdon. Ich dachte, es geht um einem gestohlenen Gegenstand?

Zögernd kniete Langdon nieder. Er versuchte in Vetras

Gesicht zu sehen, doch der Kopf war um einhundertachtzig Grad nach hinten verdreht. Das Gesicht war dem Teppich zugewandt.

Kohler kämpfte gegen seine Behinderung und beugte sich nach vorn, um Vetras gefrorenen Kopf herumzudrehen. Unter lautem Krachen und Knirschen wurde das Gesicht erkennbar. Es war von Todesqualen verzerrt. Kohler hielt es einen Augenblick fest, damit Langdon es sehen konnte.

»Heilige Mutter Gottes!«, ächzte Langdon und stolperte entsetzt zurück. Vetras Gesicht war blutüberströmt. Ein braunes Auge starrte ihn leblos an. Die andere Augenhöhle war zerfetzt und leer. »Sie. sie haben sein Auge gestohlen?«

Kapitel 14.

Langdon kam aus Building C an die frische Luft, dankbar, dass er Vetras Wohnung hinter sich lassen konnte. Die Sonne half, den Anblick der leeren Augenhöhle zu verdrängen, der sich hartnäckig in seinem Verstand festgefressen hatte.

»Hier entlang bitte«, sagte Kohler und steuerte einen steilen Weg hinauf. Der elektrische Rollstuhl beschleunigte scheinbar mühelos. »Miss Vetra wird jeden Augenblick eintreffen.«

Langdon beeilte sich, um nicht den Anschluss zu verlieren.

»Und?«, fragte Kohler. »Bezweifeln Sie immer noch, dass die Illuminati in die Sache verwickelt sind?«

Langdon wusste überhaupt nicht mehr, was er von alledem halten sollte. Vetras religiöse Überzeugungen waren definitiv beunruhigend, und doch konnte sich Langdon nicht dazu überwinden, jede wissenschaftliche Erkenntnis, die er in den vergangenen Jahren gewonnen hatte, beiseite zu schieben. Außerdem war da noch das Auge.