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Arthur C. Clarke

Im Mondstaub versunken

1

Pat Harris genoss den Vorzug, Kapitän des einzigen Schiffs auf dem Mond zu sein. Als die Passagiere die Selene betraten und sich auf die Fensterplätze stürzten, fragte er sich, wie die Fahrt wohl diesmal sein würde. Im Rückspiegel konnte er Miss Wilkins beobachten, wie sie in ihrer adretten blauen Uniform die Fahrgäste begrüßte. Wenn sie gemeinsam Dienst hatten, versuchte er immer sie als »Miss Wilkins«, nicht als »Sue« zu sehen, dann konnte er sich besser auf seine Pflichten konzentrieren. Aber er wusste immer noch nicht, was sie wirklich von ihm hielt.

Er bemerkte keine vertrauten Gesichter; es handelte sich um eine ganz neue Gruppe, die erwartungsvoll der ersten Kreuzfahrt entgegensah. Die meisten Passagiere waren typische Touristen — ältere Leute zu Besuch auf einer Welt, die in ihrer Jugend als unerreichbar gegolten hatte. Nur vier oder fünf Fahrgäste mochten unter dreißig sein, und sie gehörten vermutlich zum technischen Personal eines der Mondstützpunkte. Man konnte fast immer unterstellen, dass alle älteren Menschen von der Erde kamen, während die jungen Leute auf dem Mond wohnten.

Aber für sie alle war das Meer des Durstes etwas Neues. Hinter den Aussichtsfenstern der Selene erstreckte sich die graue, staubige Oberfläche ungebrochen bis zu den Sternen. Darüber hing die im Abnehmen befindliche, sichelförmige Erde, seit einer Jahrmilliarde unverrückbar am Himmel festgeheftet. Das grelle blaugrüne Licht des Mutterplaneten überflutete die seltsame Landschaft mit kaltem Glühen — und es war wirklich kalt, etwa hundert Grad Celsius unter null auf der ungeschützten Oberfläche.

Kein Mensch hätte beim bloßen Anblick unterscheiden können, ob das Meer flüssig oder fest war. Es zeigte sich völlig flach und ohne jedes Gepräge, gänzlich frei von den zahllosen Rissen und Spalten, die diese unfruchtbare Welt überall durchzogen. Nicht ein einziger Hügel, kein Felsblock, ja, nicht einmal ein Kiesel störten die monotone Einförmigkeit. Kein Meer der Erde — nicht einmal ein Teich — blieb je so unbewegt.

Es war ein Meer aus Staub, nicht aus Wasser, und daher aller menschlichen Erfahrung fremd, aber aus demselben Grund wurde der Mensch davon fasziniert und angezogen. So fein wie Puder, durch das Vakuum trockener als der ausgedörrte Sand der Sahara, bewegte es sich so leicht und mühelos wie irgendeine Flüssigkeit. Wenn man einen schweren Gegenstand hineinwarf, verschwand er sofort, ohne jedes Aufspritzen, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Nichts konnte sich auf dieser trügerischen Oberfläche halten als die kleinen, für zwei Mann bestimmten Staubschlitten — und Selene selbst, eine bizarre Mischung aus Omnibus und Schlitten, nicht unähnlich den Schneetraktoren, die ein Lebensalter zuvor die Erforschung der Antarktis ermöglicht hatten.

Selenes amtliche Bezeichnung lautete »Staubkreuzer Mark I«, obwohl eine Mark II nach Pats Meinung nicht einmal auf dem Reißbrett existierte. Man nannte sie je nach Wunsch »Schiff«, »Boot« oder »Mondbus«; Pat zog »Boot« vor, um Verwechslungen auszuschalten. Wenn er dieses Wort gebrauchte, konnte ihn niemand mit dem Kapitän eines Raumschiffs verwechseln — und Raumschiffkapitäne gab es natürlich wie Sand am Meer.

»Willkommen an Bord der Selene«, sagte Miss Wilkins, als alle Passagiere Platz genommen hatten. »Captain Harris und ich begrüßen Sie herzlich. Die Fahrt wird vier Stunden dauern. Als erstes Ziel ist der Kratersee, hundert Kilometer östlich im Unzugänglichen Gebirge vorgesehen …«

Pat hörte die vertrauten Begrüßungsworte kaum; er war mit den Startvorbereitungen beschäftigt. Bei der Selene handelte es sich praktisch um ein nichtfliegendes Raumschiff; sie musste es sein, weil sie sich im Vakuum bewegte und ihre gebrechliche Fracht vor einer feindseligen Umwelt zu schützen hatte. Obwohl sie die Oberfläche des Mondes nie verließ und statt durch Raketen von Elektromotoren angetrieben wurde, war sie komplett wie ein Raumkreuzer ausgerüstet — und vor dem Start musste alles genauestens überprüft werden.

Sauerstoff — O.K. Stromversorgung — O.K. Funk — O.K. — »Achtung, Stützpunkt Regenbogen, Verständigungsprobe von Selene. Empfangen Sie mich?« — Kreiselnavigator — eingestellt, Luftschleusensicherung — eingeschaltet. Druckanzeiger — O.K. Beleuchtungsanlage — O.K. Gangway — entfernt. Und so weiter, über fünfzig Prüfstellen, die automatisch anzeigten, sobald irgendeine Störung eintrat. Aber Pat Harris verließ sich nicht auf Automaten, wenn er die Kontrolle selbst vornehmen konnte.

Endlich war er fertig. Fast unhörbar begannen sich die Motoren zu drehen, aber die Schraubenflügel standen noch still, und die Selene lag noch ruhig an ihrem Ankerplatz. Dann stellte er die Backbordschraube auf halbe Kraft, und die Selene begann sanft nach rechts abzudrehen. Als das Boot den Ankerplatz verlassen hatte, richtete er es gerade und gab Gas.

Wenn man die völlig neuartige Konstruktion der Selene in Betracht zog, ließ sie sich erstaunlich leicht steuern. Hier hatte es keine endlosen Versuchsreihen und Zufallsentdeckungen gegeben, wie sie sich bis zum Steinzeitmenschen, bis zu den ersten Einbäumen, verfolgen ließen. Die Selene war die erste in einer völlig neuen Entwicklung, erschaffen im Gehirn einiger Ingenieure, die sich an einen Tisch gesetzt und gefragt hatten: »Wie baut man ein Fahrzeug, das auf einem Staubmeer schwimmt?«

Ein paar von ihnen hatten aus sentimentalen Beweggründen einen Raddampfer aus ihr machen wollen, aber es war schließlich bei den leistungsfähigeren Schiffsschrauben geblieben. Während sie sich durch das Meer bohrten und die Selene vor sich hertrieben, riefen sie eine Kielspur hervor, die von einem mit Blitzesschnelle grabenden Maulwurf zu stammen schien, aber diese Spur verschwand innerhalb weniger Sekunden, ohne einen Hinweis auf den Weg des Bootes zu hinterlassen.

Die geduckten Druckkuppeln von Port Roris versanken schnell hinter dem Horizont. Nach nicht einmal zehn Minuten verschwanden sie völlig; die Selene war ganz allein. Sie befand sich im Mittelpunkt einer Umwelt, für die es in menschlicher Zunge keine Bezeichnung gab.

Als Pat die Motoren abschaltete und das Boot langsam zum Stillstand kam, spürte er, wie die Stille um ihn herum wuchs. Es war immer dasselbe; die Passagiere brauchten immer einige Zeit, bis sie die Andersartigkeit dessen begriffen, was draußen lag. Sie hatten den Weltraum durchquert und die Sterne bewundert, sie hatten zur strahlenden Erde hinauf- oder hinabgesehen, aber das hier war etwas anderes. Es war weder Land noch Meer, weder Luft noch Weltraum, es schien gleichsam aus all dem kombiniert.

Bevor die Stille bedrückend wurde, bevor sie jemand ängstigen konnte, erhob sich Pat und sah seine Passagiere an.

»Guten Abend, meine Damen und Herren«, begann er. »Ich hoffe, dass Miss Wilkins es Ihnen bequem gemacht hat. Wir halten hier an, weil es sich gerade hier empfiehlt, Ihnen das Meer vorzustellen — Sie sozusagen damit vertraut zu machen.«

Er deutete auf die Fenster, die den Blick auf ein geisterhaftes Grau freigaben.

»Was denken Sie, wie weit der Horizont entfernt ist?«, fragte er. »Oder um es anders auszudrücken, wie groß würden wir wohl einen Menschen sehen, wenn er dort draußen stünde, wo sich Sterne und Boden zu berühren scheinen?«

Eine Frage, die nach dem Beweis des Augenscheins allein nicht zu beantworten war. Bei logischer Überlegung sagte man sich: Der Mond ist ziemlich klein — der Horizont kann also nicht weit entfernt sein. Aber die Sinne gelangten zu einem völlig neuen Urteil. Dieses Land, so meldeten sie, ist ganz flach und erstreckt sich in die Unendlichkeit. Es teilt das Universum in zwei Hälften; für immer und ewig zieht es unter den Sternen dahin …

Selbst wenn man die Ursache dieser Illusion kannte, blieb sie bestehen. Das Auge kann ohne Hilfs- und Merkpunkte Entfernungen nicht abschätzen. Der Blick verlor sich hilflos und unsicher auf diesem formlosen Staubozean. Ja es gab nicht einmal — wie auf der Erde — den sanften Schleier einer Atmosphäre, um Hinweise auf Nähe oder Ferne zu liefern. Die Sterne zeigten sich als starre Lichtpunkte, ohne jedes Funkeln, bis hinab zu jenem unbestimmten Horizont.