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Als die Selene an den steil aufragenden Wänden des Kessels entlangzufahren begann, dachte mehr als einer ihrer Passagiere an eine Kreuzfahrt auf irgendeinem Bergsee der Erde. Hier gab es dieselbe heimelige Stille, das gleiche Gefühl, dass unter dem Boden endlose Tiefen lagen. Die Erde besaß viele Kraterseen, der Mond nur einen — obwohl er weitaus mehr Krater aufzuweisen hatte.

Pat ließ sich Zeit und wiederholte die Rundfahrt, während die Lichtkegel der Scheinwerfer auf den Felswänden tanzten. Während des Tages, solange die Sonne das Gebirge mit Licht und Hitze bombardierte, war von diesem Zauber nicht viel zu spüren. Aber jetzt schien es ins Reich der Phantasie zu gehören. Wieder und wieder glaubte man seltsam geformte Gestalten aus dem Augenwinkel zu erkennen. Aber das war natürlich reine Einbildung; außer den Schatten von Sonne und Erde bewegte sich in dieser Landschaft nichts. Auf einer Welt, die von Anbeginn leblos war, konnte es keine Geister geben.

Es war Zeit, umzukehren und nach einer Fahrt durch die Schlucht wieder das offene Meer zu gewinnen. Pat richtete den breiten Bug der Selene auf die schmale Öffnung zwischen den Bergen, und wieder wurden sie von den hohen Felswänden eingeschlossen. Auf der Rückfahrt blieben die Scheinwerfer eingeschaltet, damit die Passagiere den Weg verfolgen konnten. Außerdem wirkte der Nachtritt ein zweites Mal nicht mehr so aufregend.

Weit voraus, außer Reichweite der Strahler des Bootes, wuchs ein Licht, pflanzte sich sanft über Felsblöcke und zerklüftete Wände fort. Selbst wenn sie im Abnehmen begriffen war, besaß die Erde immer noch die Leuchtkraft eines Dutzends von Vollmonden, und als die Selene die Bergschatten verließ, behauptete die Erde wieder ihren ersten Rang am Himmel. Alle zweiundzwanzig Männer und Frauen an Bord der Selene starrten zu dieser blaugrünen Sichel hinauf, bewunderten ihre Schönheit, staunten über ihr Leuchten. Wie seltsam, dass die vertrauten Felder, Seen und Wälder der Erde so majestätisch schimmerten, wenn man sie von weitem betrachtete! Vielleicht sollte man das als Lehre auffassen; vielleicht vermochte der Mensch seinen Heimatplaneten nicht zu schätzen, ehe er ihn nicht vom Weltraum aus gesehen hatte.

Und auf der Erde waren sicher viele Augen dem Mond zugewandt — jetzt noch mehr als früher, da er der Menschheit so viel bedeutete. Möglich, dass in diesem Augenblick auch durch gewaltige Teleskope dieser winzige Punkt beobachtet wurde, wie er langsam durch die lunare Nacht dahinzog. Aber niemand würde etwas dabei finden, wenn dieser Funke plötzlich zu flackern begann und dann erstarb.

Seit vielen tausend Jahren hatte sich die Gasblase wie ein riesiger Abszess unter dem Gebirgsstock ausgedehnt. Während der ganzen Menschheitsgeschichte war Gas aus dem noch nicht völlig toten Inneren des Mondes durch schwache Stellen gedrungen und hatte sich in Höhlungen angesammelt, die Hunderte von Metern unter der Oberfläche lagen. Auf der Erde waren die Eiszeiten nacheinander vorübergegangen, während die unterirdischen Höhlen wuchsen, Verbindung suchten und sich schließlich vereinigten. Und nun war der Abszess nahe daran, aufzuplatzen.

Captain Harris hatte die Selene auf automatische Steuerung gestellt und unterhielt sich mit den Passagieren, als das erste Zittern durch die Bootswände lief. Für den Bruchteil einer Sekunde fragte er sich, ob eine Schiffsschraube an ein verborgenes Hindernis geraten war, dann verlor er buchstäblich den Boden unter den Füßen.

Der Fall ging langsam vor sich, wie immer auf dem Mond. Vor der Selene begann die glatte Ebene in einem riesigen Umkreis Wellen zu schlagen. Das Meer wurde lebendig, es bewegte sich, angeregt von den Kräften, die aus dem endlosen Schlaf erwacht waren. Im Zentrum des Kreises bildete sich ein Trichter, als entstünde im Staub ein riesenhafter Strudel. Jede Einzelheit dieser albtraumhaften Veränderung wurde gnadenlos von der Erde beleuchtet, bis der Krater so tief war, dass sich die gegenüberliegende Wand im Schatten verlor, und es schien, als rase die Selene in die gewölbte, tintige Schwärze hinein — um dort ausgelöscht zu werden.

Die Wahrheit war fast ebenso schlimm. Als Pat die Steuerung endlich erreichte, rutschte und schleuderte das Boot den irrsinnigen Abhang hinunter. Die eigene Schwungkraft und das beschleunigte Treiben des Sandes darunter trug die Selene kopfüber in die Tiefe. Pat konnte nichts tun, als sein Boot auf Kiel zu halten und zu hoffen, dass seine Geschwindigkeit sie auf der anderen Seite des Kraters wieder hinauftragen würde, bevor er einstürzte.

Pat wusste nicht, ob die Passagiere aufgeschrien hatten. Er war sich nur des furchtbaren Hinabrutschens und seiner eigenen Versuche bewusst, das Boot vor dem Kippen zu bewahren. Aber während er noch fieberhaft die Steuerung bediente und abwechselnd die Schiffsschrauben anließ, um die Selene auf geradem Kurs zu halten, meldete sich eine seltsame, halb verschwommene Erinnerung. Irgendwo, irgendwie hatte er das schon einmal erlebt …

Das war natürlich Unsinn, aber er konnte die Erinnerung nicht loswerden. Erst als er den Tiefpunkt des Trichters erreicht hatte und den gewaltigen Abhang aus Staub vor sich sah, hob sich für einen Augenblick der Schleier.

Er war wieder ein kleiner Junge und spielte an irgendeinem Sommertag im Sand. Er hatte eine winzige Grube gefunden, völlig symmetrisch und glattwandig, in deren Tiefe sich etwas verbarg — vergraben bis auf die wartenden Kiefer. Der kleine Junge hatte zugesehen, staunend, schon in der Erkenntnis, dass sich hier ein kleines Drama abspielte. Er hatte beobachtet, wie eine Ameise über den Rand des Kraters geriet und den Abhang hinabrutschte.

Sie hätte leicht entkommen können — aber als das erste Sandkorn auf den Grund des Trichters gerollt war, hatte das wartende Ungeheuer eingegriffen. Mit den Vorderbeinen schaufelte es eine Sandflut zu der sich abmühenden Ameise hinauf, bis sie von der Lawine überwältigt wurde und gänzlich hinabglitt.

Wie die Selene jetzt, die hinabrutschte. Kein Ameisenlöwe hatte diesen Trichter auf der Oberfläche des Mondes gegraben, aber Pat kam sich jetzt so hilflos vor wie jene vor vielen Jahren beobachtete, zum Tode verurteilte Ameise. Wie sie bemühte er sich, die Sicherheit des Trichterrandes zu erreichen. Während die hinabgleitende Wand ihn in die Tiefen hinabriss, wo der Tod wartete. Ein schneller Tod für die Ameise, ein lange hinausgezögerter für ihn und seine Begleiter.

Die aufheulenden Motoren trugen die Selene vorwärts, aber es reichte nicht. Der fallende Staub beschleunigte seine Geschwindigkeit, und — was schlimmer war — er stieg an den Außenwänden des Bootes empor. Jetzt hatte er den unteren Rand der Fenster erreicht, jetzt kroch er an den Scheiben hoch, und schließlich hatte er sie völlig eingeschlossen. Harris schaltete die Motoren ab, bevor es zu einem Kurzschluss kam, und in diesem Augenblick verdeckte die steigende Sandflut die sichelförmige Erde. In Dunkelheit und völliger Stille sanken sie in den Mond hinab.

3

In den Elektronikkonsolen des Kontrollturms, Erdseite Nord, klickte ein Relais. Die Zeit: eine Sekunde nach zwanzig Uhr Mondzeit; gewisse elektrische Impulse, die automatisch jede Stunde eintreffen mussten, waren ausgeblieben.

Mit übermenschlicher Geschwindigkeit suchte eine Handvoll Zellen und mikroskopisch kleiner Relais nach Anweisungen.

»Fünf Sekunden abwarten«, hatte die Programmierung gelautet, »dann Stromkreis 10 01 10 01 schließen.«

Der mit diesem Problem bisher befasste winzige Teil des Elektronengehirns wartete geduldig, bis diese immense Zeitspanne ablief — in der hundert Millionen zwanzigstellige Zahlen hätten addiert werden können. Dann wurde Stromkreis 10 01 10 01 geschlossen.