Выбрать главу

Pat rührte sich nicht. Er sprach den Commodore nicht an, der ein paar Zentimeter entfernt ebenso bewegungslos dastand. Zum ersten Mal in seinem Leben — und vielleicht auch zum letzten Mal — spürte er blinden, wahnsinnigen Hass. In diesem Augenblick schien es Pat, als sei das Meer des Durstes ein bewusstes, bösartiges Wesen, das mit ihnen wie die Katze mit einer Maus gespielt hatte. Jedes Mal, wenn wir glaubten, die Lage zu beherrschen, bereitete es eine neue Überraschung vor, dachte er. Wir waren immer einen Schritt zurück. Vielleicht hatte Radley doch recht.

Der vom Sauerstoffrohr herabhängende Lautsprecher weckte ihn aus seinen fatalistischen Gedanken.

»Wir sind fertig!«, dröhnte er. »Drängt euch am Ende der Selene zusammen und bedeckt die Gesichter. Ich fange von zehn aus zu zählen an.

Zehn …«

Wir sind schon am Ende, dachte Pat. Wir brauchen die Zeit nicht. Wir haben sie gar nicht.

»Neun.«

Es wird sowieso nicht funktionieren. Das Meer lässt es nicht zu.

»Acht.«

Eigentlich traurig nach all diesen Anstrengungen. Zahllose Menschen haben sich fast umgebracht, weil sie uns helfen wollten. Sie hätten einen Erfolg verdient.

»Sieben.«

Das ist doch angeblich eine Glückszahl, nicht wahr? Vielleicht schaffen wir es doch. Wenigstens ein paar von uns.

»Sechs.«

Tun wir einmal so. Jetzt ist ja nicht mehr viel zu verlieren. Angenommen es dauert — oh, fünfzehn Sekunden, um nach oben zu kommen …

»Fünf.«

… und dann muss natürlich die Leiter wieder heruntergelassen werden — um der Sicherheit willen hat man sie wahrscheinlich hochgezogen …

»Vier.«

… und angenommen, dass alle drei Sekunden einer rauskommt — nein, lieber fünf Sekunden, um sicherzugehen …

»Drei.«

… das wären zweiundzwanzig mal fünf, also eintausend und — nein, das ist ja albern, ich kann nicht einmal mehr rechnen …

»Zwei.«

… sagen wir hundert und ein paar Sekunden, also lieber zwei Minuten, und das ist immer noch Zeit genug, dass uns die Sauerstofftanks in Fetzen reißen …

»Eins.«

Eins! Und ich hab nicht einmal mein Gesicht bedeckt. Vielleicht sollte ich mich auf den Boden legen, selbst wenn ich dieses scheußliche Zeug schlucken muss …

Man hörte ein plötzliches, scharfes Knacken, dann ein Fauchen der Luft, das war alles. Die Sprengstoffexperten hatten gute Arbeit geleistet. Die Wirkung der Ringladung war genau berechnet gewesen. Sie kräuselte kaum den Staub, der bereits den Kabinenboden zur Hälfte bedeckte.

Die Zeit schien stillzustehen. Eine Ewigkeit lang passierte überhaupt nichts. Dann geschah ein Wunder, atemberaubend, weil es so unerwartet, aber doch so selbstverständlich war, wenn man nur richtig nachgedacht hätte.

Ein Ring aus strahlendem, weißem Licht erschien unter den rötlichen Schatten an der Decke. Er wurde breiter und immer heller — dann verwandelte er sich ganz plötzlich in einen strahlenden Lichtkreis, als das herausgesprengte Stück vom Dach fiel. Das Licht kam von einer Glühröhre zwanzig Meter über ihnen, aber für Augen, die seit Stunden nichts als rötlichen Dämmerschein gesehen hatten, war es großartiger als jeder Sonnenaufgang.

Die Strickleiter kam sofort herunter, nachdem sich das kreisrunde Stück aus der Decke gelöst hatte. Miss Morley sauste wie der Blitz nach oben. Mrs. Schuster folgte — ein wenig langsamer, aber immer noch mit beachtlichem Tempo. Das Ganze glich einer Sonnenfinsternis, denn nur noch ein paar Lichtstrahlen drangen durch den Schacht. Es war wieder dunkel, als wäre nach diesem kurzen Hoffnungsschimmer die Nacht hereingebrochen. Mrs. Williams folgte eine Sekunde später.

Jetzt kamen die Männer — als Erster Baldur. In der Kabine waren nur noch zwölf Leute versammelt, als die verbarrikadierte Tür aus den Angeln brach und der Staub sich wie eine Sturzflut in die Selene ergoss. Die erste Staubwelle packte Pat, als er die Steigung halb erklommen hatte. Seine Bewegungen wurden langsamer, bis es schien, als wate er durch Klebstoff. Glücklicherweise hatte die feuchte und schwere Luft auf den Staub bereits eingewirkt, sonst wäre die Kabine voll von erstickenden Wolken gewesen. Pat nieste und hustete. Er war halb blind, aber immer noch konnte er atmen.

Er hörte Sue zählen: »Fünfzehn, sechzehn, siebzehn — achtzehn, neunzehn …«, als sie die Passagiere in den Schacht trieb. Er hatte vorgehabt, sie mit den anderen Frauen hinaufzuschicken, aber sie war immer noch hier und kümmerte sich um die ihr anvertrauten Menschen.

»Zwanzig — das sind Sie, Commodore — schnell!«

»Das wär ja noch schöner, Susan«, sagte der Commodore. »Hinauf mit Ihnen.« Pat konnte nicht sehen, was geschah, aber er erriet, dass Hansteen Sue buchstäblich durch das Dach hinaufwarf. Weder sein Alter noch seine lange Dienstzeit hatten ihn seiner Stärke beraubt.

»Sind Sie da, Pat?«, rief er. »Ich bin schon auf der Leiter.«

»Warten Sie nicht auf mich — ich komme.«

Das war leichter gesagt als getan. Es schien, als griffen Millionen sanfter, aber entschlossener Finger nach ihm, als zögen sie ihn in die steigende Flut zurück. Er packte eine der Sitzlehnen — sie war schon fast völlig unter dem Staub verborgen — und zog sich in Richtung des Lichts.

Etwas peitschte ihm ins Gesicht. Instinktiv wollte er es wegschieben — dann erkannte er es als das Ende der Strickleiter. Er packte sie und zog sich mit aller Macht hoch. Langsam, zögernd lockerte das Meer des Durstes seinen Griff.

Er warf noch einen letzten Blick auf die Kabine. Der rückwärtige Teil lag bereits völlig unter der grauen Flut begraben; es schien unnatürlich und unheimlich, dass sie glatt und ohne jedes Gekräusel anstieg. Einen Meter entfernt, schwankte ein Papierbecher auf der grauen Strömung wie ein Spielzeugboot auf einem still daliegenden See. In wenigen Minuten würde es die Decke erreicht haben und untergehen, aber im Augenblick wehrte es sich noch tapfer.

Auch die Notbeleuchtung würde noch tagelang weiterbrennen, selbst wenn jede Lampe im Staub begraben lag.

Jetzt umschloss ihn der Schacht. Pat kletterte so schnell nach oben, wie es ihm seine Muskeln erlaubten, aber er konnte den Commodore nicht überholen. Das Licht flutete plötzlich herein, als Hansteen oben aus dem Caisson stieg, und unwillkürlich sah Pat nach unten, um seine Augen vor dem Leuchten zu schützen. Der Staub stieg bereits schnell hinter ihm hoch, glatt und unbewegt … und unerbittlich.

Dann schwang er die Beine über den Rand des Caissons, mitten in einem seltsam überfüllten Iglu. Überall standen seine Passagiere. Sie wurden von vier Gestalten im Raumanzug betreut — und von einem Mann ohne Schutzkleidung, bei dem es sich um Chefingenieur Lawrence handeln musste. Wie merkwürdig es war, ein neues Gesicht zu sehen, nach all diesen Tagen …

»Sind alle oben?«, fragte Lawrence besorgt.

»Ja«, erwiderte Pat. »Ich bin der Letzte.« Dann fügte er hinzu: »Hoffentlich.« Es wurde ihm plötzlich klar, dass in der Dunkelheit und Verwirrung jemand zurückgeblieben sein könnte. Angenommen, Radley wollte sich nicht stellen …

Nein — er war ja hier, bei den anderen; Pat begann eben die Häupter seiner Lieben zu zählen, als der Plastikboden sich plötzlich hob — und aus dem offenen Schacht ein vollendet geformter Rauchring schoss. Er traf an die Decke, prallte zurück und löste sich auf, bevor jemand eine Bewegung machen konnte.

»Was, zum Teufel, war denn das?«, fragte Lawrence.

»Unser Sauerstofftank«, erwiderte Pat. »Die gute, alte Kiste — sie hat gerade lange genug gehalten.«

Und dann brach der Kapitän der Selene zu seinem eigenen Entsetzen in Tränen aus.

31

»Ich bin immer noch der Meinung, dass diese Fahnen kein guter Einfall sind«, sagte Pat, als der Staubkreuzer Port Roris verließ. »Sie sehen so unecht aus, wenn man weiß, dass sie sich im Vakuum befinden.«