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Ich kletterte nach unten und fand dort Walter, der mit dem Koch stritt. Der Mann schaute mürrisch drein und hatte nur ein Auge. Ich wußte nicht, worum der Streit ging, schlichtete ihn aber und hatte das gerupfte Huhn, das der Koch Walter unter die Nase hielt, im Topf, ehe ich ging. Walter schickte ich zu seinem Bruder, der einen Wachhund brauchte.

Bald hatte ich den Vorarbeiter Abdullah, einen stattlichen, großen Mann in fließendem, schneeweißem Gewand mit langem, grauem Bart, gefunden. Mit seiner umfangreichen Kopfbedeckung glich er einem biblischen Patriarchen. Er stammte aus Oberägypten und hatte schon früher für Emerson gearbeitet.

Abdullah führte mich zum Pflaster, das wegen des hölzernen Schutzdaches leicht zu finden war. Es war etwa zwanzig Fuß lang und fünfzehn breit und einmalig gut erhalten. Die Farben sahen aus, als seien sie frisch aufgetragen - erlesene Blau- und leuchtende Rottöne, dazu kühles Grün mit etwas Weiß und Schwarzblau, um Kontraste zu unterstreichen. In einem Luxusgarten mit schönen Blumen flogen bunte Vögel herum, dazwischen spielten junge Tiere im Gebüsch. Ich konnte fast das Muhen der Kälbchen und das Meckern der kleinen Ziegen hören, so lebendig wirkte alles.

Ich hockte noch immer vor dem Pflaster, als mich Evelyn und Walter fanden. »Amelia, jetzt ist die heißeste Zeit, und alle Arbeiter halten Mittagsruhe«, mahnte sie mich. »Sei vernünftig, komm mit uns und iß einen Happen.«

»Von diesem elenden Huhn esse ich keinen Bissen«, erklärte ich. »Schau dir doch das an, Evelyn. So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen. Und die königliche Nefertiti wird in Goldsandalen darüber geschritten sein.«

»Es ist wirklich erlesen«, gab Evelyn zu. »Ich würde es gerne zeichnen.«

»Eine großartige Idee«, pflichtete ihr Walter eifrig bei. »Mein Bruder wäre überaus glücklich, wenn er davon eine Kopie bekäme. Ich bin unter anderem der Künstler der Expedition, aber das kann ich nicht.«

Das Huhn war furchtbar zäh, das Gemüse zu einer undefinierbaren, geschmacklosen Masse zerkocht. Da mein ergebener Michael zur Hand war, flüsterte ich ihm einige

Anweisungen bezüglich unserer künftigen Versorgung zu. Es war wirklich ungemein heiß, und nach der dürftigen Nachtruhe war ich gerne zu einer Siesta bereit.

Michael war ein Juwel. Als ich mit Evelyn am Spätnachmittag unser Grab verließ, stand ein Tisch auf dem breiten Sims, Stühle waren aufgestellt, sogar ein kleiner Teppich lag da. Nun hatten wir einen reizenden Balkon mit einer unvergleichlich schönen Aussicht. Der Sonnenuntergang tauchte den Himmel in die glühendsten Farben, und eine zarte Brise fächelte unsere Wangen. Michael hatte auch Lebensmittel mitgebracht und überwachte den Schurken von einem Koch.

Ich ließ mich auf einen der Stühle fallen, und gleich darauf stand ein Glas Limonade vor mir. Dann kam Walter dazu, und als ich ihn nach unserem Patienten fragen wollte, hörte ich eine kleine Steinlawine abgehen. Ich drehte mich um und sah Emerson in der Türöffnung seines Grabes stehen. Er war angezogen, und sein Gesicht war grau wie dunkler Sandstein. Er klammerte sich an den Türrahmen.

Im Notfall kann man sich auf keinen Mann verlassen. Ich erreichte Emerson gerade noch rechtzeitig, um ihn aufzufangen, so daß er sich nicht den Kopf an den Felsen einschlug. Unter seinem Gewicht setzte ich mich ein wenig zu plötzlich auf den harten Boden, dessen dornige Spitzen ich schmerzhaft durch meine Röcke spürte. Hätte ich ihn nicht mit beiden Armen festgehalten, wäre er vom Sims gestürzt.

»Dieser Mann ist von einer grenzenlosen, arroganten Sturheit!« rief ich, als Walter gelaufen kam. »Holen Sie Michael. Er soll Ihnen helfen, ihn zu Bett zu bringen.« Sein starriger Bart kratzte durch das dünne Gewebe meines Kleides. »Und schaben Sie ihm endlich dieses gräßliche Gestrüpp aus dem Gesicht!« fügte ich zornig hinzu.

5. Kapitel

Emerson hatte unverdientes Glück; er erlitt keinen Rückfall, doch er sah selbst ein, daß er noch zu schwach war, um seine alten Aufgaben zu übernehmen. Es mußte etwas getan werden, und wer anders als ich sollte das tun?

Ich brachte ihn also wieder zu Bewußtsein, gab ihm eine Dosis Chinin ein und befahl Abdullah, sich auf seine Beine zu setzen, damit er nicht aufstehen konnte. Seine Flüche folgten mir weit ins Tal, nachdem ich ihn verlassen hatte.

Draußen war die märchenhafte ägyptische Nacht hereingebrochen. Am indigoblauen Himmel glitzerten unzählige Sterne, und das Nachglühen des Sonnenuntergangs verwandelte die Klippen zu Geistergestalten. Evelyn und Walter saßen nebeneinander und schauten über das Tal hinaus.

Als ich ihre Gesichter sah, nahm ich davon Abstand, mit ihnen meine Pläne durchzusprechen. Ich war nämlich der Meinung, daß es keinen Sinn hatte, Emerson nach Kairo zu bringen; bis er dort war, hatte er sich wahrscheinlich erholt. Ich erklärte Michael, wir würden etwa eine Woche hier verbringen, und bis dahin müßte Emerson außer Gefahr sein. Michael versicherte mir, die Bootsmannschaft werde diese Ruhepause begeistert begrüßen, da sie ja bezahlt werde. Er hätte es jedoch lieber gesehen, wenn wir auf dem Boot übernachtet hätten, doch ich hielt den Weg hin und zurück für Zeitverschwendung.

Die nächsten beiden Tage verliefen glatt. Das heißt, ich war davon überzeugt, doch später entdeckte ich, daß ich einige verräterische Zeichen hätte bemerken müssen, wäre ich nicht so sehr mit Emersons Pflaster beschäftigt gewesen.

Seine Mischung aus Tapioka und Wasser war gut, doch ich verbesserte sie mit einem Teelöffel Stärke und zwei Löffeln Wismut auf ein Quart Wasser. Er hatte recht gehabt, daß man die Mischung nicht mit einem Pinsel auftragen konnte, und so benützte ich einen Finger nach dem anderen, um sie vorsichtig auf das Pflaster zu tupfen.

Evelyn kopierte inzwischen die Malerei, und ich bewunderte ihre Geschicklichkeit, weil sie nicht nur die Figuren und Farben genau darzustellen verstand, sondern auch den Sinn erfaßte, den der Künstler seiner Arbeit unterlegt hatte. Selbst Emerson knurrte anerkennend, als ich ihm die ersten Skizzen zeigte.

Am zweiten Morgen zeichnete sie weiter und legte dann eine Ruhepause ein, doch ich blieb bei der Arbeit. Ich hatte bereits die Ränder konserviert und ließ Stege darüber bauen, indem ich Säulenreste als Stützpfeiler benützte, aber ich mußte natürlich genau auf die Arbeiter aufpassen. Sie hielten meine Vorsicht für lächerlich und hätten einfach Planken über die Malerei gezerrt, wäre ich nicht ständig dagewesen.

Ich arbeitete gerade an einem neuen Abschnitt, als Evelyn nach mir rief. Ich schaute auf und sah zu meinem Staunen, daß die Sonne schon unterging. Meine sämtlichen Finger bluteten von der Arbeit, und ich beschloß aufzuhören.

Evelyn schüttelte mich erbittert an den Schultern. »Schau dir doch deine Hände an! Dieser Unsinn muß aufhören. Und dein Kleid, deine Haare, und ...«

»Für die Kleider ist das wirklich nicht gut«, gab ich zu.

»Aber was soll sonst mit mir nicht in Ordnung sein?«

Evelyn reichte mir wortlos einen Spiegel. Tatsächlich, ich sah wie eine indianische Hexe aus. Meine Haut war infolge der indirekten Sonnenbestrahlung grellrot, und meine Haare hingen mir wirr ins Gesicht.

Ich ließ mir von Evelyn helfen, mich zu erfrischen. Walter wartete schon auf uns, und Michael erschien mit kalten Getränken. Zum erstenmal sollte auch Emerson kommen, denn er hatte sich ausgezeichnet erholt. Walters Hilfe hatte er zurückgewiesen, und so war ich doppelt erstaunt, als er erschien. Sein Bart war weg. Emersons Wutschreie während der Rasur hatte ich bis zur Arbeitsstelle gehört, aber auch Walters Erklärungen für die Notwendigkeit dieser Prozedur. »So viel Haar zieht alle Kraft aus dir heraus«, hatte er ihm lachend vorgehalten. »Michael, halt ihm die Arme fest, damit ich ihm nicht versehentlich den Hals abschneide. Miß Peabody wird sich freuen, dich ohne Bart zu sehen, Radcliffe. Sie sagt nämlich, Bärte dienten nur dazu, allzu weiche Gesichtszüge, fliehende Kinne und Hautunreinheiten zu verdecken.«