»Eine momentane Schwäche«, tat ich sehr gleichmütig, ließ mich aber von Walter zu einem Sitz führen.
»Sie überanstrengen sich, Miß Peabody«, warnte er mich ehrlich besorgt. »Heute müssen Sie ruhen, darauf bestehe ich.« Sein Bruder musterte mich nur.
Die ganze Atmosphäre war irgendwie gespannt oder unruhig; erst arbeitete ich ein bißchen am Pflaster, doch dann ging ich dorthin, wo Walter und Abdullah die Arbeiter beaufsichtigten. Etwa fünfzig Männer gruben die Fundamente eines Tempels und verschiedener Häuser aus dem Sand; Kinder schleppten ihn körbeweise weg und schüttelten ihn wahllos dorthin, wo man vermutlich wenig später graben würde. Meistens sangen und lachten sie bei der Arbeit, denn die Ägypter sind von Natur aus fröhliche Menschen, doch diesmal war von ihren etwas jam-mernden heiteren Gesängen nichts zu hören. Ich fragte Abdullah nach dem Grund.
»Es sind unwissende Menschen, die sich vor Dämonen und unbekannten Dingen fürchten«, erwiderte er ein wenig zögernd. »Und vor den Geistern der Toten. Sie fragen, wohin die Mumie verschwunden ist.«
Mehr wollte oder konnte er nicht sagen, und ich kehrte ziemlich beunruhigt zu meiner Arbeit am Pflaster zurück. Wie sollte ausgerechnet ich mich über die Eingeborenen erhaben fühlen, da ich selbst doch auch mit solchen Gedanken gespielt hatte?
Der freundliche Leser wird fragen, weshalb ich nicht über mein Abenteuer gesprochen habe. Nun, das ist ganz einfach: Ich wollte nicht ausgelacht werden. Emersons Lachen hätte sicherlich durch das ganze Tal gedröhnt, hätte ich ihm erzählt, daß ich seine kostbare Mumie auf einem nächtlichen Spaziergang ertappt hatte. Und doch meinte ich, darüber sprechen zu sollen, und so plagte ich mich den ganzen Tag über mit Eitelkeit und Vernunft herum.
Als wir uns abends auf dem Sims trafen, sah ich sofort, daß die anderen auch keinen guten Tag hinter sich hatten. Walter beklagte sich, nichts sei vorangegangen, der Tag sei eine glatte Verschwendung gewesen.
Wir gingen alle sehr früh zu Bett; Emerson brauchte seinen Schlaf, wenn er am folgenden Tag die Ausgrabungen wiederaufnehmen wollte, und für mich war die vergangene Nacht auch sehr kurz gewesen.
Aber ich schlief schlecht, und als ich gegen Morgen einmal aus einem schweren Traum aufwachte, sah ich eine weiße Gestalt unter der Tür stehen, und ich tat einen leisen Schrei.
Aber es war Evelyn, und sie huschte schnell zu meinem Bett. »Amelia, ich hörte einen langen, gräßlichen Seufzer, es war unheimlich. Ich wollte dich nicht aufwecken. Aber ich mußte wissen, wer solche Seufzer ausstieß, weil sie nicht aufhörten. Und als ich zur Tür ging und den Vorhang aufhob . Amelia, du wirst mich auslachen und mir nicht glauben, was ich sah.«
»Was war es, Evelyn? Sag es mir doch.«
»Eine blasse Gestalt ohne Gesicht, Amelia! Sie hatte nur ein flaches, blasses Oval ohne Augen, und die Gliedmaßen standen starr weg .«
»Genug davon!« rief ich ungeduldig. »Du scheinst ... , du hast ... , das muß eine Mumie gewesen sein.«
Evelyn starrte mich ungläubig an. »Dann mußt du ... das Ding selbst gesehen haben. Wann? Und wie?«
»Ich sah das Ding vergangene Nacht, und am Morgen fand ich vor unserer Grabkammer Bandagenstücke. Und in der Nacht war auf geheimnisvolle Art unsere Mumie verschwunden. Ich sagte davon nichts, weil es mir selbst zu lächerlich erschien.«
»Lächerlich, Amelia? Was sollen wir jetzt tun?«
»Natürlich müssen wir darüber sprechen, aber erst am Morgen. Da ist es noch früh genug für meine Demütigung.«
Aber der Morgen brachte schon wieder eine neue Sensation.
Ich stand früh auf, und Emerson, ebenfalls ein Frühaufsteher, lief schon ungeduldig neben dem Kochzelt auf und ab. Ich versagte mir jeden Kommentar zu seiner offensichtlichen Entschlossenheit, die Arbeit wiederaufzunehmen, und wenig später saßen wir beim Frühstück. Da explodierte Emerson.
»Wo sind denn die Männer? Seit einer Stunde sollten sie dasein!«
Walter sah auf seine Uhr. »Seit einer halben. Sie scheinen sich verspätet zu haben.«
»Siehst du etwas in Richtung Dorf?« knurrte Emerson. »Walter, da stimmt was nicht. Hol mir mal Abdullah her.«
In seinem Zelt war er nicht, doch wenig später kam er durch den Sand herangestapft, nachdem er offensichtlich vergebens seinen Trupp im Dorf gesucht hatte. Er breitete seine Hände aus und sagte: »Sie wollen nicht kommen.«
»Ist denn heute ein Feiertag der Mohammedaner?« fragte Evelyn.
»Nein, nein, so etwas würde Abdullah nicht übersehen«, antwortete Emerson. »Ich dachte eher, sie wollten mehr Geld. Setz dich, Abdullah, und erzähl mir, was du weißt.«
Abdullah hockte sich auf den Boden und berichtete. Als er ins Dorf gekommen sei, habe er alle Hütten verlassen vorgefunden. Er sei zum Bürgermeister, dem Vater von Mohammed, gegangen, und der habe ihm erklärt, die Männer würden nicht kommen, überhaupt nicht mehr. Von Mohammed, der später dazukam, erfuhr er dann, der Grund dafür sei die Mumie, die früher ein prinzlicher Priester-Zauberer gewesen sei, ein Diener des großen Gottes Anion, den Pharao Khuenaten von seinem geistigen Thron gestürzt hatte. Amon habe die häretische Stadt verflucht. Da die Mumie ans Tageslicht gebracht worden sei, habe sie in ihrem Zorn das Dorf besucht, alle Schläfer durch ihr Seufzen aufgeweckt und verängstigt. Die Dorfbewohner hätten die Warnung angenommen und seien gegangen, um die unheilige Stätte dem trostlosen Sand zu überlassen, denn jeder, der noch in der verfluchten Stadt arbeite, werde von Amons Zorn geschlagen.
Emerson hatte aufmerksam zugehört. Als Abdullah geendet hatte, fragte er: »Glaubst du selbst daran, Abdullah?«
»Nein.« Es klang nicht sehr überzeugend.
»Ich auch nicht. Amon-Ra ist ein toter Gott und hat seine Macht vor vielen hundert Jahren verloren. Die Moscheen deines Gottes stehen zwischen den Tempeln und rufen die Gläubigen zum Gebet. Ich nehme an, du glaubst an deinen Gott und daran, daß er dich vor bösen Geistern und Dämonen beschützt.«
Ich mußte Emerson sehr bewundern, denn er hatte den richtigen Ton getroffen. Abdullah sah ihn respektvoll an. »Aber der Herr sagt nicht, was aus der Mumie wurde?« fragte er vorsichtig.
»Die wurde gestohlen von einem, der hier Unruhe stiften will. Seinen Namen will ich nicht nennen, aber du weißt doch selbst, daß Mohammed ärgerlich war, weil ich dich zum Vormann machte und nicht ihn. Sein Vater hat ihn schlecht erzogen, und die Männer des Dorfes verachten ihn.«
»Aber sie fürchten ihn auch«, bemerkte Abdullah und stand auf. »Wir sind einer Meinung, Herr. Aber was sollen wir tun?«
»Ich werde mit dem Bürgermeister sprechen. Abdullah, geh und iß. Du hast deine Sache gut gemacht. Ich bin zufrieden und dankbar.«
Sehr behaglich fühlte sich der Vormann nicht. Evelyn schaute mich an, und ich nickte. Jetzt mußte ich meine Geschichte erzählen, und ich räusperte mich ausführlich.
»Er hat sich das nicht eingebildet, und die Dorfbewohner haben die Mumie ganz sicher gesehen. Evelyn und ich sahen solch eine Gestalt hier im Lager.«
»Ich dachte mir doch, daß Sie was verschweigen. Na, gut, Peabody, packen Sie aus. Wir hören.«
Ich erzählte also. Zu meinem Staunen kam mir ausgerechnet von Emerson Hilfe. Walter war sprachlos.
»Das beweist doch nur, daß unser Schurke, den wir ja zu kennen glauben, sich die Mühe machte, in einem