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»Ach, Miß Amelia, Sie sind wunderbar!« rief Walter und klatschte in die Hände. »Wir vier ...«

»Sechs«, berichtigte ich. »Wir sechs genügen; wir brauchen die Bootsmannschaft nicht. Ich schlage vor, einer von uns bewacht das Dorf. Mohammed muß ja einmal in seiner Verkleidung herausschlüpfen, und da er uns unter allen Umständen vertreiben will, wird er wohl heute nacht kommen. Wir anderen liegen auf der Lauer. Hat jemand eine Schußwaffe?«

»Nein, die sind gefährlich, und wir haben sie nie gebraucht«, brummte Emerson.

»Dann müssen wir Keulen verwenden.«

»Ich ertrage das nicht mehr«, murmelte Emerson, stand auf und ging weg. Ich sah, wie seine Schultern zuckten. Er mußte also noch sehr schwach sein.

»Schlafen Sie gut!« rief ich ihm nach. »Wir müssen heute abend frisch sein.« Er gab ein eigenartiges Geräusch von sich, und ich wandte mich Walter zu, der noch immer seinem Bruder nachstarrte. »Er muß schrecklich erschöpft sein, Walter. Wenn Sie vielleicht .«

»Nein, nicht nötig«, antwortete er.

»Aber was ist dann ...«

Walter schüttelte den Kopf. »Das ist doch unmöglich ... Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich sagen, er habe schallend gelacht.«

Der Rest des Tages verlief nach meinem Plan. Evelyn bekam die Skizze des Pflasters fertig, und sie war sehr hübsch. Besonders die Pastellfarben kamen gut zur Geltung. Ich legte den Rest der Schutzschicht auf. Als wir ins Lager zurückkehrten, war das Abendessen schon fast fertig. Wir waren eine kleine, friedliche und einige Gesellschaft.

Walter und Abdullah sollten das Dorf, besonders die Hütte des Bürgermeisters bewachen. Vor Mitternacht erwarteten wir nichts, aber man konnte ja nie wissen. Sobald Mohammed das Haus verließ, sollten die beiden ihm folgen. Emerson war der Meinung, daß der Bürgermeister selbst mit der Sache nichts zu tun hatte. Die beiden Bewacher sollten aber erst dazwischentreten, wenn Mohammed in seiner Verkleidung zu uns unterwegs war. Einer sollte ihn dann festhalten, der andere uns verständigen, so daß wir alle gemeinsam den Missetäter in sein Dorf schleppen und ihn entlarven konnten.

Evelyn sollte, bewacht von Michael, in ihre Grabkammer gehen, während Emerson und ich in der seinen Wache halten wollten. So war Evelyn doppelt bewacht, denn an uns konnte niemand vorbeikommen.

Als es dunkel wurde, schlüpften Walter und Abdullah weg, und Michael nahm mit einer Keule seine Wache auf. Ich zog ein passendes Kleid an und ging den Sims entlang zu Emersons Grab. Er saß auf einer Kiste und schrieb beim Schein einer Öllampe. Er schaute auf und meinte, als Zigeunerin hätte ich mich ja nicht gerade zu kostümieren brauchen. Ich erklärte ihm, dunkle Kleidung sei vorteilhafter, und ein Schal um den Kopf schütze mein Haar; der Schmutz verdecke dagegen die helle Haut meines Gesichtes und meiner Hände. Er seufzte ein wenig resigniert und meinte dazu, nun brauche er wahrlich nicht zu fürchten, daß jemand auf den Gedanken käme, er habe mich aus amourösen Gründen in seine Gemächer eingeladen. Ich maß ihn nur mit einem hoheitsvollen Blick und ließ mich in einer Ecke nieder.

Die folgenden Stunden zogen sich endlos in die Länge. Emerson schrieb weiter, als sei ich gar nicht vorhanden. Ich hatte Muße, ihn zu beobachten. Sein dichtes, schwarzes Haar bedurfte eines Schnittes, denn die Nackenlocken wuchsen ihm über den Hemdkragen. Seine Rückenmuskeln unter dem dünnen Hemd bewegten sich geschmeidig. Nach einer Weile wurde es mir langweilig, und ich holte mir ein Buch über die Pyramiden von Gizeh, das von einem gewissen Mr. Petrie geschrieben war. Emerson hatte diesen jungen Gelehrten schon wiederholt erwähnt, wenn auch nicht gerade lobend, denn das tat er nie. Mich fesselte allerdings dieses Buch ungeheuer.

Endlich legte Emerson die Feder weg und erhob sich, gähnte und streckte sich. Dann blies er die Lampe aus. Als mein Auge sich etwas an die Dunkelheit gewöhnt hatte, kroch ich zum Eingang. Emerson wisperte mir etwas zu, so daß ich wußte, wo er war. Ich nahm meinen Platz an der anderen Türseite ein. Ich hätte mich ja gerne ein wenig im Flüsterton unterhalten, doch Emerson gab mir gar keine Antwort.

Die Schönheit der Nacht war unbeschreiblich. Noch nie hatte ich so große und klare Sterne gesehen; sie schimmerten wie die Juwelen eines Pharaos. Die kühle

Luft war außerdem sehr erfrischend, und die Stille wurde nur ab und zu vom Heulen eines Schakals unterbrochen.

Ich gebe zu, daß ich ein wenig döste, als mich ein Geräusch plötzlich hellwach machte. Emerson konnte von seiner Türseite aus zum Simsende und zum Kochzelt schauen, während ich auf Evelyns Grab sehen konnte. Nichts war zu sehen, aber Emerson streckte die Hand aus, und ich trat neben ihn.

Dann stand das Ding plötzlich da, bewegungslos und blaß, aber nicht am Sims, sondern am unteren Hang. Der Mond schien hell, und wir konnten uns nicht irren. Ich sah sogar das Muster der gewickelten Bandagen auf der Brust. Der Kopf war ganz mit Stoff umwickelt. Da drehte das Ding den Kopf. Emersons Hand legte sich auf meinen Mund; er hatte richtig erraten, daß ich beinahe gestöhnt hätte. Und die Mumie schien - nein, die konnte gar nichts gehört haben, wenn sich auch ihr Kopf in unsere Richtung drehte.

In einer drohenden Gebärde hob sie den rechten Arm. Emerson ließ mich abrupt los und tat einen Satz auf den Sims hinaus. Ich folgte ihm auf den Fersen. Ich rutschte mit den losgetretenen Kieseln, und Emerson stolperte und flog der Länge nach hin.

Die Mumie war in voller Flucht. Ich wußte, daß ich sie nicht erreichen konnte und - ganz ehrlich - ich hatte auch keine Lust, es zu tun. Ich lief zu Emerson und half ihm auf. Michael rief mir vom Sims aus etwas zu, und ich befahl ihm, bei Evelyn zu bleiben, die Mumie sei schon davongelaufen und nicht mehr einzuholen.

Warum, fragte Emerson, als wir wenig später wieder im Grab saßen und das Ereignis durchsprachen, warum glaubte ich, dieses Ding wolle mehr als uns nur ein bißchen ängstigen?

Nun, ich wußte ja auch nicht mehr als er. Fest stand nur, daß es Mohammed gelungen sein mußte, Walter und Abdullah an der Nase herumzuführen, wenn die Mumie ungehindert bis zu uns gelangen konnte.

»Sollten wir nicht nach ihnen suchen?« fragte Evelyn. »Es könnte ihnen doch etwas zugestoßen sein.«

»Nein, nicht zwei Männern. Nein, Miß Evelyn, Walter ist absolut sicher. Vielleicht warten die beiden noch immer beim Dorf auf Mohammed und sehen ihn, wenn er zurückkommt. Wir würden nur sinn- und zwecklos in der Dunkelheit herumwandern, wollten wir die beiden jetzt suchen.«

Es war merkwürdig - Emerson hatte Evelyn mit dem Vornamen angesprochen. Nun ja, die Merkwürdigkeit der Situation hatte das Eis der Formalität gebrochen. Ich hatte Walter ja auch schon öfter mit seinem Taufnamen angesprochen. Ich mochte den jungen Mann, und mir war, als hätte ich ihn schon lange gekannt.

Bei Emerson war es ein bißchen anders. Er war manchmal so frech und ungeduldig zu mir, daß ich keine Lust zu freundschaftlicheren Beziehungen hatte.

Es war schon Morgen, als die beiden Wächter aus dem Dorf zurückkehrten, und beide schworen, niemand habe während der Nacht das Dorf verlassen. Walter hatte persönlich von einem unbequemen Sitz in der Astgabel eines Baumes aus die Hütte des Bürgermeisters beobachtet. Mohammed konnte also nicht Mumie gespielt haben.

7. Kapitel

Niemand von uns versuchte mit Walter und Abdullah deshalb zu streiten. Niemand hielt ihnen auch vor, Mohammed habe sie übertölpelt. Plötzlich sprang Emerson auf und lief weg. Ich wußte sofort, wohin er wollte und was er dort finden würde. Ich folgte ihm langsam, und als ich ihn einholte, stand er neben dem Holzgerüst, welches das gemalte Pflaster geschützt hatte. Die Malerei war verschwunden, teilweise herausgebrochen, teilweise völlig vernichtet. Also hatte ich ganz umsonst soviel und so angestrengt gearbeitet. Doch das war nicht mein erster Gedanke. Mich traf es viel tiefer, daß so viel Schönheit so sinnlos zerstört worden war. Instinktiv griff ich nach Emersons Hand, und er nahm die meine. So standen wir eine Weile mit ineinandergelegten Händen da, bis es ihm zu Bewußtsein kam; dann warf er meine Hand förmlich weg. Er sah sehr bekümmert und noch viel hagerer aus als sonst.