Es war dann eine recht einseitige Auseinandersetzung, die ich damit beendete, daß ich mein Bettzeug nahm und in Michaels Zelt umzog. Dort konnte ich kein Licht machen, denn es war kein richtiges englisches Zelt, sondern nicht viel mehr als eine dünne Plane, die mir nicht einmal erlaubte, aufrecht zu stehen.
Ich mochte noch immer nicht daran glauben, daß Michael mich verlassen haben sollte, und beschloß, das Zelt zu durchsuchen in der Hoffnung, irgendeinen Hinweis zu finden. Michaels geringe Besitztümer waren nicht mehr da, doch ich fand im Sand begraben einen metallenen Gegenstand, den ich im Mondlicht als sein Kreuz erkannte. Ein Stück der Kette war daran, also war sie wohl abgerissen worden.
Dieses Kreuz war Michaels einziges Wertstück und ein Amulett gegen alles Böse; also hätte er es niemals freiwillig zurückgelassen. Und die Kette mußte während eines Kampfes abgerissen worden sein. Ich suchte nach weiteren Beweisen, fand aber nichts mehr.
Die Zeit verging sehr schnell, weil ich mich so in diese mysteriöse Sache vertieft hatte. Da hörte ich von draußen ein Geräusch. Ich legte mich platt auf den Boden, hob eine Zeltkante an und spähte hinaus.
Nichts war zu sehen, nicht einmal die Eingänge zu den Gräbern. Das war also ungünstig, denn ich wollte ja Evelyn beistehen können, falls sie von der Mumie angegriffen wurde; wenn ich ehrlich war, so glaubte ich nicht, daß sie hinter mir her war. Ich kroch also aus dem Zelt zum Ende eines niederen Felsrückens und schaute mich vorsichtig um.
Fast hätte ich aufgeschrien, denn nur ein paar Schritte entfernt sah ich das Ding, direkt hinter dem Felsrücken. Wir behaupten alle, nicht abergläubisch zu sein, da wir einem aufgeklärten Zeitalter entstammen, aber tief innen wimmerte ich doch. Es war auch ein schrecklicher Anblick.
In diesen Breiten läßt die klare, trockene Luft jeden Umriß deutlich hervortreten, doch das Mondlicht kann auch trügen. Helle Gegenstände nehmen eine bläßlich grüne Farbe an, die an Knollenblätterpilze erinnert, und so sah auch die Mumie aus, die aus sich heraus ein wenig zu leuchten schien. Die bandagierten Hände glichen den Stummeln von Leprakranken, und sie waren wie zur Anrufung eines Gottes erhoben. Sie hatte mir den Rücken zugewandt; der Kopf war leicht nach rückwärts geneigt, als schauten die augenlosen Höhlen zum Sims.
Evelyn mußte nun gleich das Grab verlassen und dem Sims folgen. Vier starke Männer lagen in der Nähe auf Lauer. Und da tauchte auch schon ihr Licht unter dem Eingang der Grabkammer auf. Sie schaute zu den Sternen hinauf, und ich wußte, daß sie nun ihren ganzen Mut zusammennahm. Sie konnte die Mumie nicht sehen, denn in dem Augenblick, da sie aus der Kammer trat, war das
Ding am Fuß der Klippe hinter einem Felsen verschwunden.
Ich habe vorher erwähnt, daß vier starke Männer warteten, doch dessen konnte ich nicht so völlig sicher sein. Wenn Emerson auch über mich immer schnieft, so bin ich doch keine dumme Person, denn ich hatte mir bereits etwas überlegt, das auch meinen intelligenteren Lesern schon eingefallen sein mußte. Mein Gehirn arbeitete also fieberhaft.
Walter hatte fest und steif behauptet, Mohammed habe das Dorf nicht verlassen, als uns die Mumie besuchte. Und ich mußte, wenn auch ungern, Emerson darin beipflichten, daß ein solches Komplott von dem Ägypter kaum zu erwarten sei. Mohammed war für solche Überlegungen viel zu wenig intelligent, sie entsprachen eher europäisch-romantischen Vorstellungen.
Wenn also Mohammed nicht die Mumie war, wer dann? Ein bestimmter Name hatte sich in meinem Kopf eingenistet, denn dahinter steckte nicht nur eine fruchtbare, wenn auch oberflächliche Intelligenz, sondern auch ein bizarrer Sinn für Humor.
Die größte Frage war dabei die nach dem Motiv. Warum sollte Lucas, Lord Ellesmere, seine Base auf so absurde Art erschrecken wollen? Oder wollte er mir Angst einjagen? Ich konnte mir nur vorstellen, daß Lucas Evelyn so zu ängstigen versuchte, daß sie bei ihm Schutz suchte und Ägypten verließ. Er war aber nicht gescheit genug, zu erkennen, daß ein solcher Plan nicht gelingen konnte.
Ich hielt also Lucas für den Schurken, und ich wollte auch, daß er's war: ein gefährliches Krokodil, das dem Liebsten seiner Geliebten auflauerte, um selbst ihr Herz zu gewinnen. Der Instinkt einer Frau, finde ich, liegt immer richtiger als die Logik. Deshalb wartete ich ja auch so gespannt, ob Lucas zu Evelyns Rettung herbeieilen würde.
Evelyn folgte dem Pfad, der sie aus der Sicherheit wegführte, und ich bangte ehrlich um sie. Sie spielte die Gleichmütige. Als sie an Walters und seines Bruders Quartier vorüberging, warf sie nur schnell einen Blick auf den Eingang; dann straffte sie die Schultern und lief weiter.
Endlich hatte sie den Sand erreicht. Ginge sie hier weiter, so käme sie viel zu nahe an der Mumie vorüber. Vielleicht hatten die Männer noch gar nichts gesehen, und die Absichten dieser Kreatur kannte ich ja auch nicht.
Evelyn ging auf den Steinblock zu, hinter dem die Mumie versteckt lag. Doch sie war nicht mehr da! Während ich Evelyn mit den Augen verfolgt hatte, mußte sie davongehuscht sein. Wo war sie jetzt? Und wo waren unsere mutigen Verteidiger? In der tiefen Stille hörte ich mein Herz heftig pochen.
Dann bemerkte ich am Fuß des Pfades eine Bewegung, direkt zwischen Evelyn und dem Sims. Sie konnte sich also nicht in die Sicherheit zurückziehen. Die Spannung war unerträglich, und ich erhob mich langsam. In diesem Moment trat die Mumie in offenes Gelände heraus und stieß ein tiefes, stöhnendes Knurren aus, das Evelyn herumwirbeln ließ.
Drei Schritte war sie von dem Monster entfernt, mehr nicht. Evelyn griff sich an die Kehle und schwankte. Ich sprang auf, trat leider auf den Saum meines Kleides und lag der Länge nach auf der Nase. Und so sah ich, wie die Mumie sich Evelyn näherte. Sie schien vor Angst gelähmt zu sein. Ich wäre in einem solchen Fall längst davonge-rannt, und ich schäme mich nicht, das zuzugeben.
Da schrie ich. Evelyn stand noch immer wie versteinert da, und das Ding kam ihr immer näher. Und in diesem Moment kam die Rettung. Walter rannte in großen Sprüngen vom Grab her, warf sich vom Felsrand des Sim-ses und fiel den Sandhang hinab. Gleichzeitig verließ Lucas seine Deckung hinter einem Steinhaufen. Ich war unbeschreiblich erleichtert. Er schrie und zog seine Pistole.
Die Mumie blieb stehen, wandte den Kopf von einer Seite zur anderen und schien zu überlegen, was jetzt zu tun sei. Ich versuchte meine Röcke zu raffen, um zu Evelyn zu rennen, doch ein Schrei von Lucas hielt mich auf. Er wollte nicht, daß ich in die Schußlinie geriete. Aber Lucas wollte nur drohen und nicht schießen. Ich bewunderte ihn wegen seiner Ruhe.
Langsam trat Lucas vor, der augenlose Kopf folgte seiner Bewegung. Die Kreatur tat einen gräßlichen, jammernden Schrei. Das war zuviel für Evelyn. Sie sank zusammen. Die Mumie stöhnte heftig und humpelte auf sie zu.
Ich war überzeugt, daß unter den Bandagen der Mumie nicht Mohammed stecken konnte. Diese Leute hatten einen heiligen Respekt vor Schußwaffen, und als ich das dachte, schoß Lucas. Der Donner hallte durch die Nachtstille.
Die Mumie zuckte zurück, eine verbundene Hand legte sich auf die Brust. Ich hielt den Atem an. Nein, sie fiel nicht! Sie jammerte und knurrte nur, bewegte sich aber weiter vorwärts. Lucas schoß noch einmal, diesmal aus einer Entfernung von etwa zwanzig Schritten. Wieder legte sich eine verbundene Hand auf die Stelle, wo die Kugel getroffen haben mußte, aber das Ungeheuer bewegte sich noch immer weiter vorwärts.