»Selbstverständlich.«
»Dann nehmen Sie das hier.« Zu meiner Verblüffung gab er mir Lucas' Pistole. Ich wehrte mich, sie zu nehmen, weil ich mit Feuerwaffen nicht umgehen könne. »Ah, dann haben Sie also doch eine Schwäche!« sagte er.
Nun stieg eindeutig ein kleines Rauchwölkchen aus der Tasche auf, in der er seine Pfeife verstaut hatte. Aber davon erwähnte ich noch immer nichts. »Ich komme auch ohne Waffe zurecht«, erwiderte ich. »Und ich bin mit Ihrem Plan einverstanden. Sie brauchen keine Angst zu haben, daß ich meine Rolle nicht richtig spiele. Gute Nacht, Emerson.«
Ich beobachtete ihn eine Weile und genoß die Lage, weil er ein so merkwürdiges Gesicht machte. »Übrigens«, fügte ich hinzu, »Ihre Tasche brennt. Ich dachte mir zwar, daß Sie Ihre Pfeife nicht ordentlich ausgeklopft haben, doch ich weiß ja, daß Sie nicht gerne einen Rat annehmen. Noch einmaclass="underline" Gute Nacht, Emerson.«
Ich sah noch, daß er wie ein Derwisch herumtanzte und mit beiden Händen auf seine Tasche schlug.
Zu meiner unbeschreiblichen Erleichterung ging es Walter am nächsten Morgen besser. Trotzdem kamen wir überein, Walter nicht zur Dahabije mitzunehmen. Es war nicht leicht, Evelyn zum Mitkommen zu überreden, doch schließlich gab sie nach, weil sie glaubte, wir würden sofort wieder zurückkehren. Wir machten uns also auf den Weg. Als ich mich umschaute, hockte Abdullah mit hochgezogenen Knien am Sims, und auf den Knien lag der Kopf mit dem Turban.
Der Weg war anstrengend, und ich atmete erleichtert auf, als ich endlich die schlaffen Segel der Philae erblickte. Sie schaukelte sanft auf dem Wasser. Daneben lag die Cleopatra, Lucas' Boot. Es war kleiner als das unsere und lange nicht so schmuck. Seine Leute waren ebenso schmutzig und ungepflegt wie ihr Schiff, vor allem aber mürrisch und gleichgültig. Unsere Mannschaft dagegen begrüßte uns voll ehrlicher Begeisterung.
Ich verstand zwar die Worte nicht, aber Emerson fragte unseren Reis auf arabisch nach Michael, doch der Reis wußte nichts von ihm. Er behauptete es wenigstens, denn ich hatte das Gefühl, er sei vielleicht nicht ganz aufrichtig. Vielleicht hielt er sogar einen beschämten, geflüchteten Michael versteckt, weil er die Spukgeschichten der Dorfbewohner gehört und geglaubt hatte. Offensichtlich wurde Emerson von ähnlichen Zweifeln geplagt. Er erfuhr aber nur, daß man Michael nicht gesehen habe.
Nun, auch Emersons zornige Ungeduld nützte nichts, denn wenn ein Ägypter nicht reden will, kann ihn nicht einmal ein Großinquisitor dazu bringen. Evelyn war inzwischen nach unten gegangen, um die aufgeschriebenen Sachen zu packen, und Lucas war auf seinem eigenen Boot. Ich stand mit Emerson auf dem Oberdeck.
»Ich muß jetzt wieder zurück«, murmelte er. »Peabo-dy, es stimmt absolut gar nichts. Die Bootsbesatzung hat mit den Dorfbewohnern geredet. Ein Mann ist schon davongelaufen, und Hassan fürchtet, die anderen nicht mehr ganz unter Kontrolle zu haben. Zugeben darf er das natürlich nicht.«
»Ich hatte gleich das Gefühl, daß etwas nicht stimmte. Sie sollten aber wirklich zu Walter zurückkehren. Gehen Sie. Ich werde schon tun, was zu tun ist. Sie können sich darauf verlassen.«
»Die Situation ist unerträglich«, stellte er erbost fest, und der Schweiß rann ihm in dicken Tropfen über das Gesicht. »Amelia, schwören Sie mir, daß Sie genau das tun, was ich gesagt habe, daß Sie kein Risiko eingehen und sich nicht verraten.«
»Ich sagte Ihnen doch schon, daß Sie sich darauf verlassen können. Oder verstehen Sie kein Englisch?«
»Guter Gott! Sie begreifen nichts. Da sind Sie weit und breit die einzige Frau, der ich ...«
Vom anderen Deckende näherte sich Lucas, die Hände in den Taschen, die Lippen zum Pfeifen gespitzt.
Emerson warf mir noch einen durchbohrenden Blick zu, drehte sich wortlos um und kletterte die Leiter zum Unterdeck hinab. Ich folgte ihm, weil ich Lucas jetzt nicht ertragen konnte, doch er war schon verschwunden. Dafür stieß ich dann im Gang, an dem die Kabinen lagen, mit Evelyn zusammen, denn ich hatte nicht aufgepaßt, weil mir auch zum Pfeifen zumute war.
»Amelia, ich habe Emerson gerade gesehen, er hat sich ohne uns auf den Rückweg gemacht!« rief Evelyn bestürzt. »Bitte, halt ihn auf, ich muß doch zurück zum Lager!« Evelyn versuchte an mir vorbeizukommen, doch ich hielt sie auf und lehnte mich schwer gegen sie.
»Ach, mir ist so schrecklich elend«, klagte ich. »Vielleicht sollte ich mich hinlegen.«
Evelyn half mir fürsorglich, wie erwartet, in meine Ka-bine und öffnete mir das Kleid; ich tat sehr schwach, ob Evelyn mir nun glaubte oder nicht. Sie hielt mir das Riechsalz so nahe unter die Nase, daß ich einen Niesanfall bekam. »Halt, halt!« stöhnte ich. »Mir fliegt sonst der Kopf weg!«
»Aber jetzt geht es dir schon wieder besser«, stellte Evelyn fest. »Das war deine alte Stimme. Kann ich dich einen Moment allein lassen? Ich will nur Mr. Emerson nachlaufen und ihm sagen, er solle doch warten.«
Ich ließ mich stöhnend auf das Kissen zurückfallen. »Evelyn, ich kann nicht gehen ... Ich muß hierbleiben ... Wenn du meinst ..., du mußt gehen, dann geh nur ... Ich will dich nicht ... aufhalten.«
Ich kam mir wie ein Judas vor, als ich Evelyn durch halbgeschlossene Lider beobachtete. Fast wurde ich schwach, aber ich konnte Emerson nicht so grausam enttäuschen, nachdem er, dieser arrogante Weiberfeind, mir gesagt hatte, ich sei weit und breit die einzige Frau, der er . Ich mußte mich jetzt zwischen Evelyn und Emerson oder zwischen Evelyn und meinen eigenen Grundsätzen entscheiden; ich mußte also Evelyn betrügen - zu ihrem eigenen Besten.
Es war eine schwere Prüfung für mich, ihren Kampf zu beobachten. Sie rang die Hände, bis die Knöchel weiß hervortraten, und ihre Stimme war voll Resignation. »Natürlich bleibe ich bei dir, Amelia. Eine ruhige Nacht wird dir guttun.«
»Ganz gewiß«, murmelte ich, und dabei hatte das arme Mädchen keine Ahnung, welche Nacht ich erwartete.
Ich hätte im Bett bleiben und alle Nahrung verweigern sollen, doch allmählich wurde ich von einem wütenden Hunger geplagt. Als die Dämmerung anbrach, fühlte ich mich sicher, denn nicht einmal Evelyn würde den Rückweg bei Nacht zurücklegen wollen. Ich sagte, mir gehe es besser, und ein wenig Nahrung würde mir sicher nicht schaden. Ich mußte mich beherrschen, daß ich nicht die herrlichen Sachen, mit denen der Koch sich selbst übertroffen hatte, gierig in mich hineinschaufelte.
Lucas hatte ein paar Flaschen Champagner mitgebracht. Er war im Abendanzug, der ihm ausgezeichnet stand, zumal er sehr tief gebräunt war. Wir speisten auf dem Oberdeck, und der Sternenhimmel über uns war schöner als jedes Palastdach. Mich überkam ein Gefühl der Unwirklichkeit. Die vergangene Woche schien es gar nicht gegeben zu haben. Das Boot schwankte leicht, die Wellchen klatschten an die Bootswand, die Männer unten sangen leise ihre wehmütigen Melodien oder unterhielten sich gedämpften Tones; es roch nach Fluß, nach Nachtwind, Kohlenofen und Wüste. Der Zauber des Abends nahm mich ganz und gar gefangen.
Lucas trank wieder einmal zuviel, wenn er, und das muß ich zugeben, auch ganz deutlich sprach und keine fahrigen Bewegungen machte. Nur seine Augen glänzten immer greller, je mehr er trank, und seine Reden wurden immer fantastischer. Einmal kündigte er an, er werde sofort zum Lager zurückkehren, um die Mumie nicht zu versäumen, und im nächsten Augenblick lachte er schallend über diese Geschichte, über die Brüder Emerson und ihr schäbiges Leben, über die Widersinnigkeit, nur nach zerbrochenen Scherben im Sand graben zu wollen, und dann kündigte er an, daß er selbst nach Luxor und dem glorreichen Theben weiterreisen wollte.