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Ich starrte in mein Glas. Es war nicht ausgeschlossen, daß Dworkin auch heute noch am Leben war. Er hatte mir zur Flucht aus den Verliesen von Amber verholfen – wie lange war das jetzt her? Ich hatte bisher niemandem davon erzählt und gedachte es auch jetzt nicht zu tun. Zum einen war Dworkin ziemlich verrückt – offenbar einer der Gründe, warum Vater ihn eingesperrt hatte. Zum anderen hatte er Kräfte zur Schau gestellt, die ich nicht verstand – und das hatte mich zu der Überzeugung gebracht, daß er ziemlich gefährlich sein konnte. Allerdings war er mir durchaus freundlich gesonnen gewesen, obwohl ich mir keine große Mühe gegeben hatte, mich bei ihm einzuschmeicheln. Wenn er noch irgendwo existierte, mochte ich bei einiger Geduld ganz gut mit ihm auskommen.

Aus diesem Grunde hatte ich die ganze Episode als mögliche Geheimwaffe für mich behalten. Und jetzt sah ich keinen Grund, diesen Entschluß zu ändern.

»Brand ist ziemlich oft mit Dworkin zusammen gewesen«, bestätigte ich, als mir klar wurde, worauf er hinauswollte. »Er interessierte sich für diese Dinge.«

»Genau«, erwiderte Random. »Und er wußte offensichtlich mehr darüber als wir übrigen – sonst hätte er die Kontaktaufnahme ohne Trumpf nicht geschafft.«

»Du meinst, er hat sich mit Außenseitern verbündet, ihnen den Weg bereitet und dann feststellen müssen, daß sie ihn nicht mehr brauchten – und in die Gefangenschaft schickten?«

»Nicht unbedingt. Allerdings wäre das eine Möglichkeit. Ich will aber auf eine andere Variante hinaus – wobei ich nicht abstreite, daß ich für ihn eingenommen bin: ich glaube, er kannte sich mit dem Thema ausreichend aus, um zu erkennen, sobald jemand mit den Trümpfen, dem Muster oder den Schatten unmittelbar um Amber etwas Ungewöhnliches anstellte. Doch dabei beging er einen Fehler. Vielleicht unterschätzte er den Bösewicht und forderte ihn direkt heraus, anstatt sich mit Vater oder Dworkin in Verbindung zu setzen. Was dann? Der ehemalige Verbündete überwältigte ihn und setzte ihn in den Turm gefangen. Entweder hatte er eine so hohe Meinung von Brand, daß er ihn nicht töten wollte, wenn es nicht unbedingt erforderlich war, oder er glaubte ihn eines Tages noch brauchen zu können.«

»Aus deinem Munde hört sich auch diese Version glaubhaft an«, sagte ich und hätte am liebsten hinzugefügt: »Und paßt natürlich hübsch zu deiner Geschichte«, um sodann sein Pokergesicht im Auge zu behalten – doch etwas hielt mich zurück. Vor längerer Zeit, als ich mit Bleys zusammen war, hatte ich beim Herumspielen mit den Trümpfen kurz Kontakt mit Brand gehabt. Dabei hatte ich seine Notlage gespürt, seine Gefangenschaft, aber dann war die Verbindung wieder abgebrochen. Insoweit konnte Randoms Geschichte stimmen. Ich sagte also: »Wenn er uns den Schuldigen zeigen kann, müssen wir ihn schon allein deswegen zurückholen.«

»Ich hatte gehofft, daß du das sagen würdest«, erwiderte Random. »Es geht mir gegen den Strich, eine solche Sache unerledigt zu lassen.«

Ich holte die Flasche und schenkte uns nach.

»Doch ehe wir uns näher damit befassen«, sagte ich, »muß ich einen geeigneten Weg finden, die schlimme Nachricht über Caine an den Mann zu bringen. Wo steckt Flora?«

»Ich glaube, unten in der Stadt. Heute früh war sie noch hier. Ich bin sicher, ich kann sie für dich auftreiben.«

»Ja, bitte tu das. Sie ist meines Wissens die einzige, die diese Kerle gesehen hat, als sie damals in ihr Haus in Westchester stürmten. Es wäre gut, wenn sie unsere Geschichte über den unangenehmen Charakter dieser Typen insoweit unterstützen kann. Außerdem möchte ich ihr noch einige andere Fragen stellen.«

Random leerte sein Glas und stand auf.

»Also gut. Ich erledige das sofort. Wohin soll ich sie bringen?«

»Zu mir. Wenn ich nicht dort bin, wartet bitte.«

Er nickte.

Ich stand auf und begleitete ihn in den Flur.

»Hast du den Schlüssel zu diesem Zimmer?« fragte ich.

»An einem Haken drinnen.«

»Dann schließ lieber ab. Wir wollen doch nicht, daß die Sache vorzeitig ans Licht kommt.«

Er schloß ab und gab mir den Schlüssel. Ich begleitete ihn zum ersten Treppenabsatz und verabschiedete mich von ihm. Dann suchte ich meine Räume auf.

Aus dem Safe nahm ich das Juwel des Geschicks, ein Rubinschmuckstück, das Vater und Eric die Wetterkontrolle rings um Amber ermöglicht hatte. Vor seinem Tode hatte mir Eric gesagt, was ich tun mußte, um das Juwel auf mich einzustimmen. Bis jetzt hatte ich noch keine Zeit gehabt, diesen Anweisungen zu folgen, und eigentlich fehlte mir die Zeit immer noch. Doch während meines Gesprächs mit Random war ich zu dem Schluß gekommen, daß ich mir die Zeit einfach nehmen mußte. Ich hatte Dworkins Notizen in der Nähe von Erics Kamin unter einem Stein gefunden. Auch das hatte er mir in seinen letzten Minuten verraten. Ich hätte gern gewußt, wie diese Notizen überhaupt in seinen Besitz gekommen waren, denn sie waren unvollständig. Ich nahm sie aus dem hinteren Teil des Safes und blätterte sie noch einmal durch. Sie entsprachen Erics Anweisungen hinsichtlich der Einstimmung auf das Juwel.

Doch sie ließen erkennen, daß der Edelstein auch noch anders genutzt werden konnte, daß die Kontrolle meteorologischer Erscheinungen eine fast nebensächliche, wenn auch spektakuläre Auswirkung eines Komplexes von Prinzipien war, der dem Muster, den Trümpfen und der physikalischen Integrität des eigentlichen Amber abseits der Schatten zugrunde lag. Leider wurden keine Details aufgeführt. Doch je mehr ich mein Gedächtnis durchforschte, desto realer erschien mir die Grundlage für eine solche Vermutung. Vater hatte das Juwel nur selten getragen; und obwohl er es als Wetterveränderer bezeichnet hatte, war bei den Gelegenheiten, da er das Schmuckstück vorgeführt hatte, das Wetter nicht immer spürbar anders geworden. Und er hatte den Stein oft auf seinen kleinen Reisen mitgenommen. Ich war also gewillt zu glauben, daß tatsächlich mehr dahinter steckte. Eric hatte wahrscheinlich ähnliche Vermutungen gehegt, doch auch er war nicht in der Lage gewesen, die anderen Anwendungsarten herauszufinden. Er hatte lediglich die offensichtlichen Fähigkeiten des Juwels ausgenutzt, als Bleys und ich Amber angriffen; und er hatte es letzte Woche auf gleiche Weise eingesetzt, als die Wesen der schwarzen Straße ihren Angriff wagten. Beidemale hatte ihm das Juwel gut gedient, wenn es ihm auch nicht das Leben hatte retten können. Nun war es ratsam, sich die volle Gewalt über das Juwel zu verschaffen, sagte ich mir. Jeder kleine zusätzliche Vorteil war wichtig. Und es war gut, wenn man sich das Ding tragen sah. Besonders jetzt.

Ich legte die Notizen in den Safe zurück und steckte das Juwel in die Tasche. Dann begab ich mich in die untere Etage des Palastes. Wieder verlieh mir die Umgebung der riesigen Säle das Gefühl, als wäre ich niemals fort gewesen. Dies war mein Zuhause, hier wollte ich leben. Von nun an war ich der Behüter der Stadt. Ich trug nicht die Krone, doch waren die Probleme des Herrschers die meinen geworden. Das war wirklich ironisch. Ich war zurückgekehrt, um den Thron zu beanspruchen, um Eric die Krone zu entreißen, ich wollte den Ruhm, ich wollte herrschen. Doch plötzlich wankte der Boden unter unseren Füßen. Wir hatten ziemlich schnell erkannt, daß sich Eric nicht richtig verhalten hatte. Wenn er Vater wirklich umgebracht hatte, besaß er keinen Anspruch auf die Krone. Wenn nicht, hatte er voreilig gehandelt. Wie dem auch sei – die Krönung hatte nur dazu gedient, sein bereits aufgeblasenes Selbstgefühl weiter zu stärken. Ich selbst, ich strebte nach der Krone und wußte, daß ich ihre Last tragen konnte. Doch es wäre nun ebenso unsinnig gewesen, den Thron zu besteigen, während meine Truppen noch in Amber lagerten, während der Verdacht, Caine ermordet zu haben, in Kürze auf mich fallen würde, während sich mir zugleich die ersten Anzeichen für eine fantastische Verschwörung offenbarten und im übrigen nach wie vor die Möglichkeit bestand, daß Vater noch lebte. Wir hatten seit seinem Verschwinden wohl mehrfach in Verbindung gestanden, und bei einer dieser Gelegenheiten, vor Jahren, hatte er sich mit meiner Thronbesteigung einverstanden erklärt. Doch in der Stadt gab es soviel Lug und Trug, daß ich nicht mehr wußte, was ich glauben sollte. Vater hatte nicht abgedankt. Außerdem hatte ich eine Kopfverletzung erlitten und war mir meiner eigenen Wünsche nur zu klar bewußt. Der Verstand ist ein seltsames Ding. Ich traute nicht mal mir selbst. War es denkbar, daß ich die ganze Sache selbst eingefädelt hatte? Seither war viel geschehen. Der Preis für das Leben als Amberianer ist vermutlich der perverse Umstand, daß man sich selbst nicht mehr trauen kann. Ich überlegte, was Freud wohl darüber gesagt hätte. Es war ihm zwar nicht gelungen, meine Amnesie zu durchbrechen, doch er hatte einige erstaunlich präzise Vermutungen über meinen Vater angestellt – wie er gewesen war, wie unsere Beziehung ausgesehen hatte. Das war mir damals gar nicht so bewußt geworden. Ich wünschte, ich könnte noch ein Gespräch mit dem genialen Gelehrten der Schattenwelt führen.