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Ich kam mir vor wie eine zum Leben erwachte Statue, wie ein auftauender Schneemann, wie ein nachgebender Eisenträger . . . Zwei weitere Schritte . . . Drei . . . Gletscherhaft waren meine Bewegungen, doch ich, der sie steuerte, hatte die ganze Ewigkeit zur Verfügung und eine Beständigkeit des Willens, die seine Anerkennung finden würde . . .

Ich trat durch den Letzten Schleier. Ein enger Bogen folgte. Drei Schritte führten in Dunkelheit und Frieden. Sie waren die schlimmsten von allen.

Sisyphus! war mein erster Gedanke, als ich das Muster verließ. Geschafft! war mein zweiter. Und der dritte: Nie wieder!

Ich gönnte mir den Luxus einiger tiefer Atemzüge und eines kurzen Durchschütteins. Dann nahm ich das Juwel aus der Tasche und hob es in die Höhe. Ich hielt es mir vor die Augen.

Im Inneren rot – ein tiefes Kirschrot, irgendwie rauchig schimmernd. Der Edelstein schien auf dem Wege durch das Muster an Licht, an Glanz gewonnen zu haben. Ich starrte hinein, dachte an Erics Instruktionen, verglich sie mit Dingen, die mir bereits bekannt waren.

Wenn man das Muster durchschritten und diesen Punkt erreicht hat, kann man sich davon an jeden Ort versetzen lassen, den man sich vorzustellen vermag. Es genügt der Wunsch und eine Willensanstrengung. Dementsprechend dachte ich nicht ohne leise Furcht an den nächsten Schritt. Wenn die Wirkung so war wie gewöhnlich, mochte ich mich in eine ungewöhnliche Falle begeben. Doch Eric hatte den Schritt erfolgreich getan. Er war nicht in den Kern eines Juwels irgendwo in den Schatten eingeschlossen worden. Dworkin, der jene Notizen niedergelegt hatte, war ein großer Mann gewesen, und ich hatte ihm vertraut.

Ich sammelte meine Gedanken und steigerte meine Konzentration auf das Innere des Steins.

Im Kern befand sich eine verzerrte Darstellung des Musters, umgeben von flimmernden Lichtpunkten, winzigen Fackeln und Blitzen, verschiedenen Kurven und Strängen. Ich traf meine Entscheidung. Ich richtete meinen Willen aus . . .

Röte und langsame Bewegung. Als versänke ich in einem riesigen zähflüssigen Ozean. Zuerst sehr langsam. Ein Dahintreiben und Verdunkeln. All die hübschen Lichter noch weit, weit vor mir. Allmählich verstärkte sich meine spürbare Bewegung. Lichtflocken, fern, durchbrochen, immer wiederkehrend. Nun offenbar ein wenig schneller. Kein Größenvergleich möglich. Ich war ein Bewußtseinspunkt von unbestimmter Größe. Ich spürte Bewegung, ich nahm die Erscheinung wahr, der ich mich – nun fast beschleunigt – näherte. Die Röte war nahezu vergangen, wie auch der bewußte Gedanke an ein Medium. Der Widerstand ließ nach. Ich raste dahin. All dies schien nur einen winzigen Augenblick gedauert zu haben, schien noch immer den gleichen Augenblick zu beanspruchen. Das Ganze hatte etwas seltsam Zeitloses. Meine Geschwindigkeit in Bezug auf das, was nun mein Ziel zu sein schien, war enorm. Das kleine verdrehte Labyrinth wuchs an, löste sich zu etwas auf, das eine dreidimensionale Variation des Musters selbst zu sein schien. Durchsetzt von Funken aus farbigem Licht, wuchs es vor mir an, entfernt an eine bizarre Galaxis erinnernd, hingeworfen in die Mitte der ewigen Nacht, umgeben von einem schwachen Staubschimmer, dessen Bahnen aus zahlreichen funkelnden Punkten bestanden. Und das Gebilde wuchs an, oder ich schrumpfte ein, oder es rückte vor, oder ich rückte vor, und wir waren nahe, dicht beieinander, und dann füllte es den gesamten Raum aus, von oben bis unten, von hier bis dort, und meine Eigengeschwindigkeit schien noch mehr zuzunehmen, wenn das überhaupt möglich war. Ich wurde gepackt, überwältigt von dem grellen Glanz, und da war eine Lichtbahn, von der ich wußte, daß sie den Anfang bedeutete. Ich war zu nahe – hatte mich tatsächlich schon verirrt –, um die Erscheinung in ihrer Gänze noch zu begreifen, doch das Aufbäumen, das Flackern, das wilde Hin und Her jener Dinge, die ich ringsum davon sehen konnte, brachte mich auf die Frage, ob drei Dimensionen ausreichten, um die sinnverwirrenden Dinge zu erklären, denen ich mich gegenübersah. Fort von meiner galaktischen Analogie trug mich ein Winkel meines Geistes nun in das andere Extrem und ließ mich an den unendlich dimensionierten Gilbert-Raum des Subatomaren denken. Doch letztlich war dies eine Metapher der Verzweiflung. In aller Offenheit – ich verstand überhaupt nichts von alledem. Ich hatte nur das immer stärker werdende Gefühl – ausgelöst durch das Muster? Instinktiv? –, daß ich auch dieses Gewirr überwinden mußte, um jenen neuen Grad der Macht zu erringen, auf den es mir ankam.

Und darin irrte ich nicht. Meine offenkundige Geschwindigkeit veränderte sich nicht, als ich in die Erscheinung hineingewirbelt wurde. Ich wurde herumgezerrt und auf lichtblitzenden Wegen dahingeschleudert, ich flog durch substanzlose Wolken aus Glimmer und Schein. Es gab keine Zonen des Widerstands wie im echten Muster; mein Bewegungsmoment schien auszureichen, um mich hindurchzutragen. Eine blitzschnelle Tour durch die Milchstraße? Ein Ertrinkender, der durch Korallenschluchten gewirbelt wird? Ein schläfriger Spatz, der am Abend des vierten Juli über einen Jahrmarkt flattert? Dies waren meine Gedanken, als ich mir meine Passage in dieser veränderten Weise noch einmal vor Augen führte.

. . . Und hinaus, durch, über und vorbei, in einem rötlichen Licht, das mich beleuchtete, wie ich mich selbst beobachtete, während ich neben dem Muster stehend das Juwel betrachtete. Das Muster darin, in mir, alles in mir, ich darin, die Röte nachlassend, schwächer werdend, erlöschend. Dann nur noch ich, das Schmuckstück, das Muster, allein, die Verbindung zwischen Subjekt und Objekt wiederhergestellt – nur eine Oktave höher, was meines Erachtens der beste Weg ist, die Veränderung zu beschreiben. Eine gewisse Empathie gab es nun tatsächlich. Es war, als hätte ich einen neuen Sinn hinzugewonnen, eine zusätzliche Ausdrucksmöglichkeit. Es war eine seltsame Empfindung, irgendwie befriedigend.

Begierig, diese Fähigkeit auf die Probe zu stellen, sammelte ich meine Willenskräfte und befahl dem Muster, mich an einen anderen Ort zu transportieren.

Und schon stand ich in dem runden Zimmer auf dem höchsten Turm in Amber. Ich durchquerte das Zimmer und trat auf einen schmalen Balkon hinaus. Der Gegensatz machte sich stark bemerkbar, so dicht nach der übersinnlichen Reise, die hinter mir lag. Einige Sekunden lang stand ich einfach nur da und schaute hinaus.

Das Meer wies eine Vielfalt von Schraffuren auf, der Himmel war zum Teil bewölkt, es näherte sich der Abend. Die Wolken selbst waren ein Muster aus weicher Helligkeit und krassen Schatten. Der Wind wehte zur See hin, so daß ich auf den Salzgeruch vorübergehend verzichten mußte. Dunkle Vögel bildeten Punkte am Himmel, die in großer Entfernung über dem Wasser hin und her schwankten oder verharrten. Unter mir erstreckten sich die Palasthöfe und die Terrassen der Stadt bis zum Rand des Kolvir. Die Menschen auf den Straßen waren winzig, ihre Bewegungen überflüssig. Ich fühlte mich ausgesprochen allein.

Dann berührte ich das Schmuckstück und ließ ein Unwetter aufziehen.

4

Als ich zurückkehrte, warteten Random und Flora bereits in meiner Unterkunft. Randoms Blick richtete sich zuerst auf das Juwel, dann auf mein Gesicht. Ich nickte.

Dann wandte ich mich mit einer leichten Verbeugung an Flora. »Schwester«, sagte ich. »Es ist lange her, sehr lange.« Sie sah mich ein wenig verängstigt an, was mir nur recht war. Dann lächelte sie aber und ergriff meine Hand.

»Bruder«, sagte sie. »Wie ich sehe, hast du dein Wort gehalten.«

Hellgolden war ihr Haar. Sie trug es kurzgeschnitten, und in Löckchen gedreht. Ich wußte immer noch nicht, ob ich die Frisur mochte oder nicht. Sie hatte herrliches Haar, blaue Augen und ausreichend Eitelkeit, um alles aus der ihr genehmen Perspektive zu sehen. Zuweilen schien sie ausgesprochen dumm zu handeln, doch dann gab es wieder Augenblicke, da ich über ihre Entschlüsse staunte.

»Entschuldige, daß ich dich so anstarre«, sagte ich. »Doch als wir das letztemal zusammen waren, konnte ich dich nicht sehen.«