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Da begann der Karo-Bube plötzlich zu mir zu sprechen.

Ja, so hat es begonnen. Ich war ohnehin in einer ziemlich verrückten Stimmung. Ich hatte gerade ein paar gute Spiele durchgebracht und war noch irgendwie in Fahrt. Außerdem war ich erschöpft von einem langen Flug während des Tages und hatte in der Nacht davor nicht besonders viel geschlafen. Ich habe mir später überlegt, daß es wohl unser geistiger Appell in Verbindung mit den Trümpfen gewesen sein muß, der mich etwas sehen ließ, sobald mich jemand zu erreichen versuchte, während ich Spielkarten in der Hand hielt – irgendwelche Spielkarten. Normalerweise empfangen wir solche Nachricht mit leeren Händen – es sei denn, der Anruf geht von uns aus. Vielleicht lag es an meinem Unterbewußtsein, das damals irgendwie erschöpft war und das sich in jenem Augenblick rein gewohnheitsmäßig der vorhandenen Requisiten bediente. Später jedoch hatte ich Grund, mir das alles noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher.

Der Bube sagte: »Random.« Dann verschwamm sein Gesicht, und er sagte: »Hilf mir!« Allmählich begann ich zu spüren, welche Persönlichkeit dahintersteckte, doch der Eindruck war nur vage. Der ganze Impuls war sehr schwach. Schließlich formte sich das Gesicht von neuem, und ich erkannte, daß ich recht gehabt hatte. Es war Brand. Er sah ziemlich übel aus und schien irgendwo festgebunden oder angekettet zu sein. »Hilf mir!« sagte er noch einmal.

»Ich bin hier«, sagte ich. »Was ist los?«

». . . Gefangener . . .«, sagte er, und dann noch etwas, das ich nicht verstehen konnte.

»Wo?« wollte ich wissen.

Daraufhin schüttelte er den Kopf. »Kann dich nicht holen«, sagte er. »Ich habe keine Trümpfe und bin zu schwach. Du mußt auf dem langen Wege kommen . . .«

Ich fragte ihn nicht, wie er die Verbindung ohne meinen Trumpf hergestellt hatte. Es schien mir wichtiger, seinen Aufenthaltsort zu erfahren. Ich fragte ihn, wie ich ihn ausfindig machen könnte.

»Schau genau her«, sagte er. »Erinnere dich an jede Einzelheit. Vielleicht kann ich dir das Bild nur einmal durchgeben. Und bring deine Waffen mit . . .«

Dann sah ich die Landschaft – über seine Schulter, eingerahmt von einem Fenster, über einer Befestigung – ich weiß es nicht genau. Es war ein Ort, weit von Amber entfernt, in einer Gegend, wo die Schatten verrückt zu spielen beginnen. Weiter entfernt, als mir lieb ist. Eine öde Welt, mit unruhig wechselnden Farben. Flammenzuckend. Ein sonnenloser Tag. Felsen, die wie Segelschiffe über das Land glitten. Brand in einer Art Turm – ein winziger Punkt der Stabilität in einer fließenden Szene. Ich erinnerte mich hinterher ganz deutlich daran, wie er es von mir verlangt hatte. Und ich erinnerte mich an das Geschöpf, das sich um den Fuß des Turms geringelt hatte. Ein prismatisch schimmerndes Gebilde. Offenbar eine Art Wachwesen – zu hell, um die Umrisse zu erkennen, um die wahre Größe zu erraten. Dann verging alles, wie ausgeknipst. Und ich saß da und starrte auf den Karo-Buben, und die Burschen auf der anderen Seite des Tisches wußten nicht, ob sie sich über mein langes Schweigen aufregen oder sich Sorgen machen sollten, daß ich womöglich einen Anfall erlitten hatte.

Ich brachte mein Spiel durch und ging nach Hause. Später lag ich ausgestreckt auf meinem Bett, rauchte eine Zigarette und überlegte. Als ich Amber verlassen hatte, war Brand noch dort gewesen. Als ich mich jedoch später nach ihm erkundigte, wußte niemand so recht, wo er steckte. Er hatte eine seiner melancholischen Phasen gehabt, hatte sich eines Tages daraus gelöst und war fortgeritten. Und das war alles. Keine Nachrichten – gut oder schlecht. Er reagierte einfach nicht, er teilte nichts über sich mit.

Ich versuchte das Problem von allen Seiten zu beleuchten. Brand war schlau, verdammt schlau. Vermutlich der intelligenteste in der Familie. Er steckte in der Klemme und hatte mich gerufen. Eric und Gérard waren kämpferischer veranlagt als ich und hätten sich über das Abenteuer bestimmt gefreut. Caine wäre vermutlich aus Neugier losgezogen; Julian, um sich über uns andere zu erheben und bei Vater Pluspunkte zu sammeln. Brand hätte sich auch – und das wäre das einfachste gewesen – direkt an Vater wenden können. Vater hätte dann schon die nötigen Schritte unternommen. Doch er hatte sich mit mir in Verbindung gesetzt. Warum?

Mir kam der Gedanke, daß vielleicht einer oder mehrere Brüder für seine Lage verantwortlich waren. Wenn Vater ihn beispielsweise offen begünstigt hatte . . . Nun ja. Du weißt, wie so etwas geht. Eliminiere das Eindeutige. Wenn er zu Vater gekrochen wäre, hätte er wie ein Schwächling ausgesehen.

Ich unterdrückte also meinen Impuls, Verstärkung zu holen. Er hatte mich gerufen, und es war durchaus möglich, daß ich seinen Tod besiegelte, wenn ich in Amber bekanntwerden ließ, daß er seinen Notruf durchbekommen hatte. Also gut. Was war für mich dabei zu gewinnen?

Wenn es um die Nachfolge ging und er wirklich der erste Anwärter war, konnte es mir nur nützen, bei ihm in Gunst zu stehen. Und wenn nicht . . . Dann gab es alle möglichen anderen Möglichkeiten. Vielleicht war er auf dem Rückweg auf etwas gestoßen, etwas, das zu wissen sich lohnen mochte. Neugierig stimmte mich auch die Methode, mit der er die Trümpfe umgangen hatte. Gewissermaßen war es also die Neugier, die mich dazu trieb, den Versuch der Rettung allein zu unternehmen.

Ich staubte meine Trümpfe ab und versuchte mich mit ihm in Verbindung zu setzen. Doch ich erhielt keine Antwort. Ich schlief mich erst einmal aus und versuchte es am nächsten Tag noch einmal. Wieder nichts. Also gut – längeres Warten hatte keinen Sinn mehr.