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Robert Silverberg

In der Gruppe

Für Murray war es eine ruhelose Zeit. Er verbrachte den Morgen mit Sandfischen am Strand von Acapulco. Als es Mittag zu werden schien, versetzte er sich nach Nairobi, um im ›Three Bells‹ Hammelcurry zu essen. In Nairobi war es nicht Mittag, aber in jenen Zeiten hatte jedes Restaurant, in dem zu essen sich lohnte, rund um die Uhr geöffnet. Am späten Nachmittag machte er, subjektiv gesehen, Pause in Marseille für Pastis mit Wasser, und um die psychologische Dämmerung herum kehrte er zurück nach Kalifornien. Seine innere Uhr war auf pazifische Zeit eingestellt, so daß die Wirklichkeit mit der Stimmung übereinstimmte: Es wurde Nacht. San Francisco glitzerte wie ein Juwelenhaufen an der Bucht. Er hatte heute abend Gruppe. Er brachte Kay auf den Bildschirm und sagte: »Komm heute zu mir, ja?«

»Wozu?«

»Was wohl? Gruppe.«

Sie lag in einer betauten Laube junger Sequoien, dreihundert Meilen küstenaufwärts von ihm. Kaskaden lockeren milchweißen Haars fielen über ihren schlanken, nackten, honigfarbenen Körper. Ein vielkarätiger Glitzerstein funkelte betrügerisch zwischen ihren makellosen kleinen Brüsten. Während er sie ansah, spürte er, wie seine Hände sich verzweifelt zu Fäusten ballten, wie seine Nägel sich ins Fleisch gruben. Er liebte sie über jedes Maß hinaus. Die Heftigkeit seiner Liebe überwältigte ihn und brachte ihn in Verlegenheit.

»Du möchtest heute abend Gruppe machen?« fragte sie.

»Du und ich?« Es klang nicht erfreut.

»Warum nicht? Nähe macht mehr Spaß als Fernsein.«

»In der Gruppe gibt es kein Fernsein. Was bedeutet bloße körperliche Nähe zwischen mir und dir? Sie ist irrelevant. Überholt.«

»Du fehlst mir.«

»Du bist ja bei mir«, betonte sie.

»Ich möchte dich berühren. Ich möchte dich einatmen. Ich möchte dich schmecken.«

»Dann taste Berührung. Taste Geruch. Taste alles, was du willst.«

»Ich habe schon alle Sinneskanäle offen«, sagte Murray. »Ich werde von köstlichen Empfindungen überflutet. Es ist trotzdem nicht dasselbe. Es genügt nicht, Kay.«

Sie stand auf und ging zum Ozean. Sein Blick verfolgte sie auf dem Bildschirm. Er hörte die Brandung.

»Ich möchte dich unmittelbar neben mir, wenn heute abend die Gruppe beginnt«, sagte er. »Hör zu, wenn du nicht herkommen willst, komme ich zu dir.«

»Du bist auf langweilige Art hartnäckig.«

Er schnitt eine Grimasse.

»Ich kann mir nicht helfen. Ich bin gerne nah bei dir.«

»Du hast viele altmodische Einstellungen, Murray.« Ihre Stimme klang so kühl. »Ist dir das klar?«

»Es ist mir klar, daß meine Gefühlsantriebe sehr stark sind. Das ist alles. Ist das eine so große Sünde?« Vorsicht, Murray. Ein schwerer taktischer Fehler eben. Das ganze Gespräch wohl ein großer Fehler. Er ging große Risiken bei ihr ein, wenn er zu stark drängte, wenn er so früh zuviel von seiner verrückten Romantik zeigte. Seine Besessenheit von ihr, sein unmöglicher neuer Besitzertrieb, seine seltsame, ich-getriebene Ausschließlichkeit. Seine Liebe. Ja; seine Liebe. Sie hatte natürlich völlig recht. Er war im Grunde altmodisch. Er suhlte sich in emotionellem Atavismus. Du-und-ich-Unfug. Ich, ich, mein, mein. Dieser Widerwille, sie in der Gruppe ganz mit den anderen zu teilen. So, als habe er einen besonderen Anspruch. Unter der Oberfläche war er reinstes neunzehntes Jahrhundert. Das hatte er eben erst entdeckt, und es war eine Überraschung für ihn gewesen. Seine kranken, archaischen Phantasien einmal beiseite, es gab keinen Grund für sie beide, während der Gruppe nebeneinander im selben Zimmer zu sein, es sei denn, sie wären die beiden gewesen, die einander liebten, und nach dem Kopulierungsplan standen Nate und Serena heute auf dem Programm. Hör auf damit, Murray. Aber er konnte nicht aufhören. In ihr steinernes Schweigen hinein sagte er: »Na gut, aber dann laß mich wenigstens einen inneren Intersex-Anschluß für dich und mich einrichten. Damit ich fühlen kann, was du fühlst, wenn Nate und Serena dabei sind.«

»Warum dieses verzweifelte Bedürfnis, in meinen Kopf einzudringen?« fragte sie.

»Ich liebe dich.«

»Natürlich tust du das. Wir lieben Uns alle. Aber wenn du versuchst, eine Zweierbeziehung zu mir herzustellen, verletzt du die Gruppe.«

»Also keinen inneren Anschluß?«

»Nein.«

»Liebst du mich?«

Ein Seufzer.

»Ich liebe Uns, Murray.«

Das war nach aller Wahrscheinlichkeit das Beste, was er an diesem Abend von ihr erhalten würde. Nun gut. Nun gut. Damit würde er sich begnügen, wenn es sein mußte. Ein Brosamen hier, ein Brosamen dort. Sie lächelte, warf ihm ein freundliches Kußhändchen zu und brach den Kontakt ab. Er starrte düster auf den dunklen Bildschirm. Nun gut. Es war Zeit, sich für die Gruppe fertigzumachen. Er schaltete den lebensgroßen Schirm an der Ostseite ein und programmierte die visuellen Anschlüsse. Im Augenblick sendete die Gruppen-Zentrale das Testbild, Standaufnahmen von den Paaren für den heutigen Abend. Nate und Serena waren in der Mitte, umgeben von dem Leuchtstreifen, der sie als die Ausführenden dieses Abends auswies. Außen sah Murray Bilder von sich, von Kay, Van, Jojo, Nikki, Dirk, Conrad, Finn, Lanelle und Maria. Bruce, Klaus, Mindy und Lois waren nicht dabei. Vielleicht zu beschäftigt. Oder zu müde. Oder vielleicht befanden sie sich im Augenblick unter dem Einfluß negativer, gruppenwidriger Strömungen. Man brauchte nicht jeden Abend an der Gruppe teilzunehmen, wenn man sich nicht hineinzufühlen vermochte. Murray kam in der Woche durchschnittlich auf vier Abende. Nur die echten Bullen wie Dirk oder Nate nahmen immer an allen sieben teil. Auch Jojo. Lanelle, Nikki — die ganz heißen Damen, wie er sie nannte.

Er öffnete den Hörkanal. »Hier ist Murray«, sagte er. »Ich fange an zu synchronisieren.«

Die Gruppen-Zentrale lieferte ein klares A ohne Schwankungen für die Einstellung. Er stellte seinen Empfänger darauf ein.

»Du bist bei 432«, sagte die Zentrale. »Noch etwas höher. So. So. Ja, richtig. 440.« Die Töne stimmten genau überein. Er war akustisch synchronisiert. Als nächstes die Feineinstellung der Optik. Das Testbild verschwand, und der Bildschirm zeigte nur noch Nate, nackt, einen großen, selbstsicheren Mann mit kantigem Kinn und dichter, schwarzer Behaarung von den Oberschenkeln bis zur Kehle. Er grinste, verbeugte sich, stellte sich in Positur. Murray drehte an den Knöpfen, bis es praktisch unmöglich war, Nates dreidimensionale holographische Projektion von dem echten Nate in seinem Schlafzimmer in San Diego, Hunderte von Meilen entfernt, zu unterscheiden. Murray befaßte sich pedantisch genau mit diesen Einstellungen. Jede merkbare Abweichung von der Wirklichkeitsannäherung dämpfte den Genuß, den ihm die Gruppe verschaffte. Einige Augenblicke lang beobachtete er Nate, der federnd hin- und herging, um seine überschüssige Energie loszuwerden und sich auf die Vorführungsebene einzustellen, ein winziges Verzerrungselement schlich sich an den Rändern des Bildes ein, und Murray gab die Korrekturen gleich auch an die Zentrale durch, bis alles genau übereinstimmte.

Als nächstes kam die Haupt-Gehirnwellenverstärkung, die Daten im emotionellen Bereich übermittelte: endokrine Zuführungen, Neuraleinstellung, Epithelwahrnehmung, erogene Steigerung. Sorgfältig programmierte Murray alles ein. Zuerst empfing er nur einen vagen, undifferenzierten Eindruck formloser Hintergrundtätigkeit, aber dann wurden Nates besondere geistige Emanationen klarer, wie Figuren, die sich aus einem komplizierten orientalischen Teppichmuster herausschälen: Gereiztheit, Eifer, Geilheit, Wachheit, Intensität. Eine Empfindung von Nates enormer maskuliner Kraft setzte sich durch. In diesem Stadium des Abends besaß Murray noch ein klares Bewußtsein von eigener Identität gegenüber Nate, aber das würde sich bald ändern.

»Fertig«, meldete Murray. »Warte Gruppen-Einschaltung ab.«