»Ich auch nicht«, erwiderte Andre d'Epernon lachend. »Und ich habe weiß GOTT viele Schiffe in meinem Leben erblickt. Richard Helmstede hat die Abgaben für den Liegeplatz und die Steuern für den König ordnungsgemäß und pünktlich bezahlt, ohne zu feilschen oder zu jammern. Er ist höflich, aber verschlossen. Ich bekomme ihn kaum zu Gesicht - ich weiß nicht einmal, wo er hier in Paris abgestiegen ist und wo er sich aufhält.
Niemand aus der Gilde der Flussschiffer kann sich erklären, was er hier laden oder handeln will mit seinem gewaltigen Schiff. Es muss ihn Unsummen gekostet haben, all die Treidler zu bezahlen, die nötig gewesen sein mögen, um diese schwere Kogge die Seine gegen die Strömung hochzuziehen. Und ich weiß nicht, ob sie, sollte sie wirklich einmal beladen werden, nicht zu tiefliegt, um ihren Weg stromab bis zum Meer zu machen.
Ganz sicher muss sich Richard Helmstede eilen, denn im Spätsommer wird das Wasser des Flusses so weit fallen, dass er selbst ein leeres Schiff nicht mehr hinausbekommt. Ganz zu schweigen davon, dass er irgendwie an den Englischen und Burgundischen vorbei muss, welche die Gegend zwischen Paris und der Küste heimsuchen.« Meister Philippe hatte ihm aufmerksam zugehört. »Wisst Ihr, aus welcher Stadt dieser Richard Helmstede stammt?«, fragte er. »Aus Lübeck«, antwortete der Gildenmeister.
*
Wir wechselten noch einige höfliche Worte mit Andre d'Epernon, obwohl ich darauf brannte, aus dem Maison aux Piliers zu stürzen, über den Platz zu eilen und das geheimnisvolle Schiff zu entern wie ein sarazenischer Pirat. Doch selbst nachdem wir das Haus der Flussschiffergilde verlassen hatten, gab mir Meister Philippe eine Lektion in Geduld und Demut.
»Es ist die Zeit der Sext«, sagte er und blickte gen Himmel. »Wir wollen das Gebet nicht vergessen.«
Mir blieb nichts anderes übrig, ich musste mich fügen. Wir gingen ein paar Schritte, die Seine zu unserer Rechten, am Ufer entlang. Sehnsüchtig blickte ich auf den Wald der Masten, in dessen Mitte einer besonders groß aufragte, wie eine uralte Eiche in einem Wald dünner, schlanker Birken.
An diesem Mittag zur zwölften Stunde geschah es — ich gestehe es beschämt —, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben mit Widerwillen in das Haus GOTTES eintrat. Saint-Gervais-et-Protais war eine kleine Kirche am Ufer der Seine, doch sah man schon von weitem, dass ihre Gemeinde wohlhabend sein musste. Skulpturen der Mutter GOTTES und der Namenspatrone schmückten das Portal und ein schlanker Turm ragte hoch in den Himmel hinauf und sein kupferbeschlagenes Dach funkelte rotgolden in der Frühlingssonne.
»Es ist die Kirche der Weinhändler«, erklärte mir Philippe de Touloubre schmunzelnd, als ob er meine Gedanken erraten hatte. »Es gibt ein Sprichwort in Paris: ›Je mehr die Leute trinken, desto heller erstrahlen die Kerzen in Saint-Gervais-et-Protais‹. Falsch ist es nicht.« Und in der Tat: Im Innern flackerten Hunderte Kerzen, deren gelber und roter Lichtschein das Kirchenschiff erstrahlen ließ wie einen Märchenpalast. Ich schämte mich meines Widerwillens, bekreuzigte mich und kniete nieder, um IHM, der alles erschaffen hat, zu danken. Wir sangen drei Psalmen und hörten eine Stelle aus dem Johannes-Evangelium, die ein junger, rotgesichtiger Priester vortrug. Der Geistliche war des Lateinischen so wenig mächtig, dass ich Schwierigkeiten hatte, seine Worte zu verstehen.
Nach einem weiteren Hymnus segnete er uns und sprach das Abschlussgebet. Neben uns hatten sich nur ein paar feiste Weinhändler in die Bänke gezwängt und einige verschleierte Frauen — Witwen, vermutete ich. Ich spürte die Blicke der Gläubigen in meinem Rücken, die sich wohl ängstlich fragten, was zwei Dominikaner in Saint-Gervais-et-Protais zu suchen hatten.
Endlich durften wir uns erheben und die Kirche verlassen. Mir schien es eine Ewigkeit gedauert zu haben, doch selbstverständlich war es nur eine ganz gewöhnliche Sext.
»Und nun: Klar zum Entern des Schiffes!«, sagte Philippe de Touloubre spöttisch.
Ich wurde rot, verbarg mein Gesicht im Dunkel meiner Kapuze und versuchte, würdevoll dahinzuschreiten, wie es sich geziemte. »Verzeiht Meister. Es kommt mich hart an, meine Leidenschaft für dieses Rätsel zu zügeln«, antwortete ich demütig. Philippe de Touloubre lachte. »So lange es nur diese Leidenschaft ist, will ich dir gerne vergeben«, erwiderte der Inquisitor. An der Place de Greve betraten wir die hölzernen Kais, die Fingern gleich in den Strom ragten. Ihre dicken Planken zitterten unter den Schritten unzähliger Träger, die, mit Säcken und Kisten beladen, unablässig von den Pinassen zu den Lagerhäusern und zurückliefen. Doch die Männer machten uns respektvoll Platz, als wir uns der geheimnisvollen Kogge näherten. Der Segler lag am größten Kai ganz außen, nur ein paar Schritte stromauf überspannte der Grand Pont den Fluss.
Eine wenig vertrauenswürdig aussehende Planke führte vom Kai aus die vor uns aufragende Bordwand hinauf. Philippe de Touloubre schien dies nichts auszumachen. Mit energischen Schritten betrat er das Schiff. Ich schalt mich einen kleingläubigen Narren und tat es ihm nach. Während ich mit zittrigen Beinen den kaum schulterbreiten Laufsteg entlangging, erkannte ich, dass am Bug der Kogge ihr Name in verblassenden weißen Buchstaben prangte: Ich betrat die »Kreuz der Trave«.
Auf dem Deck roch es nach nassem Holz, nach Salz und Teer und gepökelten Fischen. Ich sah mich um: Vorne ruhten zwei mächtige, schwarze Anker auf den Planken, in der Mitte ragte der Mast hoch auf. An ihm war die Rah festgebunden, an der das Segel zusammengerollt war. Mast und Rah zusammen glichen mir einem Galgen für Riesen und mich schauderte. Am Heck ragte ein Kastell in die Höhe, eine Art quadratisches Haus aus grob zurechtgehauenen Brettern. Quer vor dem Kastell lag eine Winde in mächtigen Verankerungen. Raue Hanfseile führten von ihr zur Rah, als wären es die Fäden eines gigantischen Spinnennetzes. Im Kastell standen ein paar Fässer und Kisten zu beiden Seiten der mit zwei Stricken festgezurrten schweren Ruderpinne.
Alles machte einen von den Gezeiten und dem Wetter geprüften, doch gepflegten Eindruck - zumindest auf mich, der ich nicht einmal den Rhein mit einem Kahn überquert hatte, geschweige denn zur See gefahren war. Doch ich konnte die Kogge mit jenen Pinassen vergleichen, die ich vom Kölner Rheinhafen her kannte - und mit jenen, die neben der »Kreuz der Trave« vertäut waren. Verglichen mit diesen Booten wirkte die Kogge wie ein zwar älterer, doch ehrwürdiger Ritter inmitten einer Versammlung unsolider kleiner Marketender.
Wir erblickten zunächst jedoch niemanden. Im ganzen Hafen von Paris, der vor Geschäftigkeit summte, schien ausgerechnet das größte Schiff von allen so ausgestorben zu sein wie ein Friedhof. »Ist jemand an Bord?«, rief Philippe de Touloubre.
Da tauchte ein roter Haarschopf an der Luke zum Schiffsbauch auf: Ein vierschrötiger Mann in seinen Dreißigern kam polternd eine Leiter hochgeklettert. Sein Gesicht war oberhalb seines dichten, roten Bartes von Wind, Salz und Sonne dunkel gebrannt, doch seine Augen waren ungewöhnlich hellblau - so als wären sie aus Glas und ganz ohne Tiefe. Gekleidet war er in ein dunkles Wams aus Leder und hellen Beinkleidern, die allerdings viele Flecken unbestimmbarer Farbe verunstalteten.
Ich sah, dass er wütend war und einen Fluch auf den Lippen trug. Wahrscheinlich hatten wir ihn unsanft aus einem Mittagsschlummer geweckt. Doch als er unseren Habit sah, schluckte er schnell und verbeugte sich beflissentlich.
»Ich bin Gernot, Steuermann auf der ›Kreuz der Trave‹«, sagte er und machte eine unbeholfen wirkende, einladende Geste. Sein Französisch war schauderhaft.
Meister Philippe grüßte ihn mit einem lateinischen Segenswunsch, dann wandte er sich an mich. »Du wirst übersetzen müssen, fürchte ich. Mein Deutsch ist nicht besser als sein Französisch und ich glaube nicht, dass wir uns auf Latein unterhalten können.« So wandte ich mich denn an den Steuermann und entbot ihm einen Gruß in seiner Heimatsprache.