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»Glauben Sie wirklich?«, fragte er aufgeregt.

»Natürlich, wenn du dabeibleibst und immer fleißig übst. Wenn du älter bist, musst du mit einem richtigen Bogen trainieren, aber ein so vorsichtiger Junge wie du braucht gewiss nicht mehr lange darauf warten.«

»Meine Mom sagt, ich bekomme einen richtigen Bogen, wenn sie genug Geld verdient, um einen zu kaufen. Aber ich darf ihn nur benutzen, wenn sie zusieht.«

»Das ist ein guter Ratschlag, mein Sohn. ›Ehre deine Mutter‹, wie es in der Bibel steht.«

»Sind Sie hier, um … sie zu sehen?«, erkundige er sich. »Sie ist noch bei der Arbeit.«

Ich wollte den Jungen nicht anlügen, konnte ihm aber auch nicht verraten, dass ich hier in der Nähe einen Verfolger gejagt hatte. »Nein, Walter, ich habe nur einen Spaziergang in der Natur gemacht, als ich zufällig auf dich und dieses Haus gestoßen bin. Diese Wälder sind eine wahre Wohltat für mich, da ich die meiste Zeit in der Stadt verbringe, in Providence.«

»Oh. Ich laufe auch oft durch den Wald, Sir.« Er deutete hinter das Haus. »Da vorne ist ein schöner Weg, der durch den Wald hindurch bis zur Stadt führt. Da lang geht meine Mom jeden Tag zur Arbeit.«

»Danke für diesen Tipp, junger Mann«, schwärmte ich. »Bestimmt werde ich auf diesem Weg zurückgehen. Aber verrate mir doch mal, warum du hier draußen ganz alleine bist? Du hast doch sicher Brüder und Schwestern, die alt genug sind, dass du mit ihnen spielen kannst.«

Seine Augen wirkten auf einmal leer, als hätte ich ihm eine schwierige Frage gestellt. »Ich muss jetzt gehen und meinem Opa helfen, Sir.«

»Natürlich. Du bist ein guter Junge, dass du deinem Großvater beistehst.« Mehr konnte ich nicht sagen, da ich das Gefühl hatte, er würde auf der Stelle weglaufen, wenn ich ihn mit meiner vorigen Frage weiter bedrängen würde. Aber mir schoss durch den Kopf: Mary hat noch sieben weitere Kinder. Sind die alle in dem Haus? »Aber bevor du gehst, Walter, möchte ich dir etwas schenken.« Vermutlich überschritt ich damit einige Grenzen, aber ich konnte nicht widerstehen. »Und ich bin mir sicher, dass dir deine Mutter und dein Großvater geraten haben, von Fremden nichts anzunehmen, aber wir beide sind ja keine Fremden, nicht wahr?«

»Nein, nicht wirklich, Mr. Foster«, erwiderte er und schien gespannt auf das erwähnte Geschenk zu sein.

»Ich möchte, dass du das hier nimmst und dir einen besseren Bogen kaufst«, sagte ich und reichte ihm eine Zehndollarnote. »Und wäre es nicht nett, wenn du von dem, was dann noch übrig ist, deiner Mutter ein paar Blumen kaufst?«

»Oh, ja, Sir, das wäre es!«, rief er freudig aus.

»Und wenn deine Mutter fragt, woher du das Geld hast, dann sagst du einfach,von ihrem Freund, Mr. Morley.«

»Danke, Sir. Vielen Dank!«

»Gern geschehen, Walter. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.«

Ich lächelte, als er zu dem flachen Haus stürmte, eine kaum erkennbare Tür öffnete und im Inneren verschwand.

Was konnte es schon schaden? Ich hoffte nur, dem Jungen eine Freude gemacht zu haben. Während ich mich auf die Suche nach dem Weg hinter dem Haus machte, kam ich in der einen Richtung nicht weiter … und mir gingen weitere Fragen durch den Kopf. Wo genau waren die anderen Kinder? Und warum hatte Walter meine Frage nicht beantworten wollen?

Ich ging um das Haus herum auf die Lichtung zu, behielt dabei jedoch die Fenster im Auge. Das letzte Fenster, das ich vor Erreichen der Lichtung passierte, war fast vollständig mit Efeu bedeckt.

Was konnte ich zu meiner Rechtfertigung sagen, falls mich der Stiefvater erwischte, während ich hindurchsah?

Und dennoch blickte ich durch das Fenster, dachte nicht an mögliche Konsequenzen, und warum ich es tat, werde ich wohl niemals wissen.

Ich weiß nur, dass ich wünsche, ich hätte es nicht getan.

Durch das verschmierte Fensterglas blickte ich in ein kleines Zimmer mit einer bescheidenen Feuerstelle, neben der noch ein Holzofen stand, sowie einigen Möbeln, die man nur als behelfsmäßig beschreiben konnte. Irgendwie beeindruckte es mich, wie sie ihre ärmliche Situation verbessert hatten, in dem sie Dinge – wie Schachteln, Kisten und lose Ziegelsteine – zu alternativen Zwecken wiederverwendeten. Mehrere Kisten bildeten beispielsweise die Grundlage für ein Bett und offensichtlich übernahm ein großer Leinensack voller getrockneter Blätter die Aufgabe einer Matratze, über die man übliche Laken gelegt hatte. In einem Schrank standen nicht etwa Trinkgläser, sondern benutzte Blechdosen, die demselben Zweck dienten. Ein Tisch, dessen Platte aus hölzernen Wandpaneelen unterschiedlicher Länge bestand, besaß Beine aus dicken Baumstämmen. Dieser Einblick in ihr Elend schmerzte mich … und ich kalkulierte bereits, wie sehr mein Wohlstand in der Lage wäre, dieser armen, aber funktionierenden Familie zu helfen.

Ich duckte mich, als eine Tür im Inneren geöffnet wurde. Zuerst war nur der junge Walter zu sehen, dann folgte eine zusammengesunkene Gestalt, die von einem klappernden Geräusch begleitet wurde. Nur das wenige Tageslicht, das durch die kleinen Fenster hineinfiel, spendete ein wenig Licht. Als ich blinzelte, glaubte ich zu erkennen, dass die Gestalt an Krücken ging, und obwohl sie sich durch einen dunklen Bereich bewegte, erkannte ich langes, graues Haar, was mir sagte, dass es sich nur um Marys Stiefvater handeln konnte; Walter half ihm, zu dem behelfsmäßigen Bett zu gelangen.

Ein seltsames, protestierendes Geräusch erklang, als er das Bett endlich erreicht und sich unter großen Schwierigkeiten hineingelegt hatte. Ich konnte so gut wie nichts im Detail erkennen, aber das große Ausmaß seiner Gebrechen – eine massive Form der Arthritis, mutmaßte ich – war anhand seiner gebeugten Gliedmaßen völlig klar. Fehlten an der Hand, die ein Stück Karton aufhob, um sich damit Luft zuzufächeln, etwa … einige Finger?

»Hier hast du etwas Wasser, Opa«, sagte Walter und brachte ihm eine der Blechdosen. Aus dem mir zu Verfügung stehenden Blickwinkel sah ich nur, dass Walter die Dose vorsichtig anwinkelte, damit er daraus trinken konnte. Bei dem überlauten Schluckgeräusch zog ich die Augenbrauen hoch.

»Ähm, Opa«, setzte Walter an. »Da draußen war ein Mann. Er ist ein Freund von Mom, und sein Name ist Foster Morley …«

Die schrecklich gelähmte Gestalt schien sich aufzusetzen, und währenddessen sah ich eine tragisch unnatürliche Verdrehung ihres Rückgrats. Aber es waren Walters Worte, die seine Bewegung ausgelöst hatten.

»Und er … er hat mir das hier gegeben.« Der Junge zögerte, dann zeigte er den Zehndollarschein. »Damit ich Mom ein paar Blumen kaufe.«

Die Reaktion des Stiefvaters auf diese Information werde ich nie im Leben vergessen.

Er kam schlingernd hoch, wodurch sich sein Rücken noch weiter durchbog, streckte eine deutlich deformierte Hand aus und stieß dann einen Laut in einer Sprache aus, die ich noch nie zuvor gehört hatte: ein hohes, fast schon gequält klingendes Kreischen, vermischt mit einem tiefen Knurren, das sich zu einem meiner Ansicht nach verrückten lauter und leiser werdenden Quieken vereinte und von einem Klang begleitet wurde, der sich anhörte, als würde Flüssigkeit verspritzt.

Die Plötzlichkeit – und Unweltlichkeit – des lautstarken Widerspruchs traf mich fast schon körperlich, als hätte man mir einen Ball gegen die Brust geschlagen. Ich taumelte rückwärts, behielt das Stück Fenster jedoch weiterhin im Auge, und alles, was ich sagen kann, über, was ich denke, was ich sah, ist Folgendes:

Etwas schoss aus den Schatten hervor, die diesen schwachen Mann umgaben. Was dieses Etwas war, kann ich nicht akkurat beschreiben. Es konnte ein Stück Seil oder auch eine Peitsche gewesen sein, das mit klar erkennbarer Bosheit auf den Jungen zuflog. Ich kann nur sagen: Es erinnerte mich an eine Peitsche.