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Aber wie konnte ich das tun? Ich musste herausfinden, was das war …

Ein Beinhaus, dachte ich. Eine behelfsmäßige Grabstätte …

Es waren überwiegend Skelette, die in der obszönen, tropfenden Kaverne aufgeschichtet lagen, ganze Stapel von ihnen. Einige hatten noch immer Kleidungsfetzen an sich, die die Auswirkung der menschlichen Verwesung überstanden hatten. Die Knochenhaufen am entfernten Ende schienen die ältesten zu sein, während jene auf dem Weg dorthin – nordwestlich, schätzte ich – vor jüngerer Zeit angelegt worden waren. Zur Mitte hin sah ich weniger Skelette, dafür mehr mumifizierte Körper. Das war ein ausgewachsener Hügel aus menschlichen Leichen, den die Vorsehung für angebracht hielt, mir vor Augen zu führen; Hunderte, mindestens, hatte man hier abgelegt, anstatt sie auf einem anständigen Friedhof zu begraben. Warum? Diese Frage machte mir zu schaffen. Wer könnte dafür verantwortlich sein? Die von der Zeit geleerten Augen der Schädel schienen mich zu beobachten, als ich den Rand der widerlichen Aufschüttung entlangschritt, und als ich schließlich an deren Ende ankam, wäre ich inmitten des Gestanks und der gottlosen Anspielung beinahe kollabiert.

Die hier – Dutzende von ihnen – waren offensichtlich die jüngsten Neuzugänge der Grabstätte, und während die meisten der anderen Leichen mehr oder weniger »ganz« gewesen waren, erforderte der Zustand der Bestandteile des verwesenden, aufgedunsenen Haufens wenig Spekulation hinsichtlich der Herkunft.

Was vorrangig den grausigen Haufen aus mit verrottendem Fleisch bedeckten Knochen und Schädeln und von Würmern durchlöcherten Körpern beherrschte, waren die Überreste zergliedeter menschlicher Wesen, denen die Arme ab den Ellenbogen und die Beine unterhalb der Knie fehlten. Stofffetzen lagen wie willkürlich hingeworfene Flaggen zwischen den gestapelten Leibern herum. Ich sah zu viele Koffer und Reisetaschen. In der Nähe befand sich eine kleinere, Krankheiten verbreitende Ansammlung aus abgetrennten Armen und Beinen.

Ein Keller voller Leichen, ein Ablageplatz für Mordopfer, wurde mir klar. Ich wusste nicht, wie lange es diesen Ort schon gab, und ich wollte es auch gar nicht wissen.

Ein schlurfendes Geräusch in der Ferne bewirkte, dass ich die Augen aufriss und die Taschenlampe ausschaltete. Vorsichtig ging ich zurück und betete, nicht hinzufallen, denn der unverkennbare Klang von Schritten – und ein geheimnisvolleres, ununterbrochenes knirschendes Geräusch – schienen auf dem Weg zu der Grabstätte zu sein. Aber von wo?, wollte ich wissen. Der Weg, auf dem ich gekommen war, lag hinter mir, wohingegen die Geräusche von vorn kamen. Ich duckte mich hinter einen Stapel halb mumifizierter Leichen, gerade als ein tanzender Lichtschein zu sehen war.

Noch ein Eingang, erkannte ich, von einem weiteren dieser stygischen Tunnel. Ich versteckte mich und verhielt mich so still wie die Leichen um mich herum, als schließlich das Licht einer Öllaterne aufflackerte und der Eindringling aus einem bisher noch nicht gesehenen Zugang auftauchte. Die Gestalt schob eine hölzerne Schubkarre vor sich her, in der sich der erwartete Inhalt befand: der nackte, an den Stümpfen bandagierte Torso des unglücklichen Opfers, das nach der Operation in Dr. Anstruthers Schreckenssuite gestorben war. Seine halben Gliedmaßen wackelten bei jeder Bewegung der Schubkarre, und auf seinem toten Bauch lagen mehrere Sätze abgetrennter Gliedmaßen sowie einige Koffer. Dann hielt die Karre an, und die Laterne wurde auf den Boden gestellt. Die Koffer wurden als Erstes auf den Haufen geschmissen, dann die Gliedmaßen und schließlich, begleitet von einem leisen Grunzen, auch der Torso. Bei dem Eindringling selbst konnte ich nur den Körperbau eines Mannes feststellen, und ich konnte sehen, dass er sich kein Taschentuch vor Mund und Nase hielt. Wie er den Gestank ertragen konnte, war mir ein Rätsel … bis er die Laterne wieder aufnahm und das flackernde Licht sein Gesicht offenbarte.

Es war Mr. Nowry, den ich nur Stunden zuvor tot im Krankenwagen gesehen hatte.

Mit welchem Trick sich das erklären ließ, darüber wollte ich gar nicht nachsinnen, aber beim ersten Anblick seines blassen Gesichts in dem Licht, wenngleich dieser nur kurz war, keuchte ich auf.

Die Gestalt erstarrte und drehte sich um. Ich erstarrte ebenso, betete und machte mich bereit, meine Pistole hervorzuholen …

Die Laterne wurde hierhin und dorthin geschwenkt, doch dank der Gnade Gottes verrieten ihre Strahlen mich nicht in meiner gehockten Stellung. Schließlich kehrte Nowry zu seiner Schubkarre zurück und verschwand auf dem Weg, den er gekommen war.

Ich wartete ganze fünf Minuten, bevor ich mich auch nur bewegte, dann stand ich auf und drehte mich um, schaltete meine Taschenlampe ein und marschierte flotten Schrittes auf meinen eigenen Ausgang zu. Doch als ich das tat, bemerkte ich wider Willen eine weitere, längliche Öffnung in der Felswand. Jawohl, ein weiterer Tunnel.

Den werde ich unter gar keinen Umständen betreten, gab ich mir die Selbstanweisung, doch bevor ich es bewusst registrierte, entsandten meine Füße mich in diesen in den Fels gehauenen Eingang. Ungeachtet all der Bitterkeit dessen, was ich bisher gesehen hatte, drängte sich mir die Frage auf, ob Lovecraft selbst sich in einen dieser Tunnel hineingewagt hatte; dann wurde mir klar, dass er es getan haben musste, denn woher sonst hätte er vergleichbare unterirdische Netzwerke in Meisterwerken wie nicht nur »Schatten über Innsmouth«, sondern auch »Das Fest«, »Der Außenseiter«, »Ratten im Gemäuer« und so weiter ableiten können. Ich befand mich nun inmitten einer Geschichte von Lovecraft, wusste allerdings, dass das obszöne Gemetzel, das im Hilman stattfand, sowie die Höhle des Schreckens beileibe keine »Geschichte« waren. Dennoch überstieg das Ausmaß meiner Neugier die Leistungsfähigkeit meiner Vernunft.

Ich musste sehen, was sich am Ende dieses Tunnels befand.

Während die hin und wieder eingeschaltete Taschenlampe mich voranführte, drang mir ein weiterer Geruch in die Nase, dankenswerterweise war es nicht der des Todes noch so übel riechend. Es war ein starker Duft mit einer bestimmten Ausprägung. Je tiefer ich in den Tunnel vordrang, desto vertrauter wurde das Odeur:

Es roch zweifellos nach Fisch.

Mir blieb die Luft weg, als der Tunnel in eine unterirdische Kammer überging, die mehrfach so lang und breit war wie die vorherige, und in dieser ruhten mehrfach so viele Leichen.

Diese hier waren allerdings irgendwie anders …

Warum kein Gestank nach Verwesung und natürlichem Verfall?, überlegte ich. Warum lediglich der Geruch nach frischem Fisch? Aber als meine Augen die Einzelheiten dessen registrierten, was meine Netzhäute erfassten, wurde mir hier noch übler als in der vorangegangenen Grabstätte.

Der Berg aus Körpern war riesig, fünf bis sieben Meter hoch und bestimmt dreißig Meter lang. Doch mein Wahrnehmungsvermögen schien sich zu verzerren, als ich diesen Morast aus aufgetürmten Leichen blinzelnd musterte. Sie … sie … sie sind nicht völlig menschlich, begriff ich. Einige mehr, andere weniger … Fast allen hatte man die Kleidung abgenommen. Ihre tote, nackte Haut schimmerte wachsweiß und unter dieser lichtdurchlässigen Blässe zeichneten sich grün geaderte Verfärbungen ab. Schwerwiegende körperliche Deformationen hatten den Löwenanteil der Leichen in abscheuliche Missbildungen verwandelt. Die meisten waren kahlköpfig, aber alle besaßen weit offene, überwiegend blaue, übermäßig vorstehende Augen. Bei näherer Inspektion entdeckte ich mal mehr, mal weniger verlängerte Hände und Füße, und zwischen den Fingern und Zehen sah ich eindeutig …