Er klang wie ein an- und abschwellender Schrei, verflochten mit einem Plätschern, wie wenn Flüssigkeit verschüttet würde.
Ich fiel auf die Seite und rang verzweifelt nach Luft. Ziehende Wolken über dem Wald ließen ungnädigerweise mehr Mondlicht hindurch, genau in dem Moment, als ich aufblickte …
Das scheußlich gebaute, schaudernde Ding war irgendwie mit einem von Onderdonks Schüreisen, durch einen seiner kugelförmigen Augäpfel gerammt, an einen Baum gepflockt worden. Während der unmögliche Protestschrei leiser wurde, zuckte es krampfhaft und erzeugte dabei ein zusätzliches Geräusch ähnlich dem von flatterndem nassen Leder.
Schnelle Schritte; ein dunkler Fleck trübte meine Sicht, als ich deutlich eine Gestalt im Wald verschwinden sah.
Wer hatte mich gerettet? Mary?, überlegte ich, aber nein, wenn sie es gewesen wäre, hätte sie etwas gesagt, und keine Frau in ihrem Stadium der Schwangerschaft konnte sich derart flink bewegen. Möglicherweise hatte ein Stadtbewohner gewisse Einwände gegen die garstigen Aktionen der Stadt. Oder …
Konnte es Klein Walter gewesen sein?
Der Wahnsinn der vergangenen Minuten gab meine Sinne frei. Ich war noch immer auf einer Mission: Mary und ihren Sohn retten, für ihre Flucht sorgen aus dieser makabren, geheimen Unterweltherrschaft. Entferntes Knacken aus dem Wald sagte mir, dass mein Retter in Richtung Westen lief, über die Straße …
Zu Marys Haus …
Jetzt erholt griff ich wieder meine Pistole.
»Bringen Sie sie um«, forderte mich Zalens Kopf auf, »und dann sich selbst.«
Mit mehr als nur einem bisschen Abscheu hob ich den Kopf an den fettigen Haaren auf und …
»Wagen Sie es nicht, Morley!«
… ließ ihn in das Fass fallen, in dem Mr. Onderdonk bereits schonend gegart wurde. Als ich den Deckel wieder schloss, konnte ich gedämpft seine Vorhaltung hören: »Nichts als ein reicher Waschlappen …«
»Aber ein reicher Waschlappen weiterhin im Besitz seines Kopfes«, erwiderte ich. Dann rannte ich los – der Gestalt hinterher, die mir das Leben gerettet hatte.
Es war größtenteils blindes Vertrauen, das mich durch das nachtumwobene Dickicht und das Labyrinth aus knorrigen Bäumen leitete. Glühwürmchen erhellten stellenweise die Dunkelheit. Ich seufzte erleichtert auf, als ich endlich den flachen, finsteren Umriss von Marys überwuchertem Domizil erblickte; Kerzenlicht schimmerte schwach aus den Fenstern. Und …
Da ist er!
Vor einem dieser Fenster sah ich die obskure Gestalt, die Person, die mir das Leben gerettet hatte. Doch bevor ich auch nur einen Schritt vorwärts machen konnte, wirbelte sie herum und verschwand gewandt wie ein Waldgeist zwischen den Bäumen. Mein erster Impuls war, ihr laut hinterherzurufen, dann erinnerte ich mich an die Notwendigkeit, nicht aufzufallen. Wer wusste schon, wie viele Vollblütige in der Nähe lauerten? Auch rannte ich der Gestalt nicht nach, denn das wäre ein kompletter Umweg zu meinem Ziel. Stattdessen spähte ich durch das matt erleuchtete Fenster, vor dem die Gestalt eben gestanden hatte, und dort sah ich Marys jungen Sohn Walter auf einem armseligen Sack voller Blätter und trockenem Gras liegen und schlafen. Nur der Kerzenrest, der in einem Leuchter auf dem schmutzigen Boden stand, spendete ein wenig Licht.
Ich hatte keine Zeit zum Nachdenken; leisere und unregelmäßigere Schritte auf der Südseite des Hauses schreckten mich auf. Mit der Pistole im Anschlag ging ich hinter einem Baum in Deckung und hielt den Atem an …
Die Gestalt, die in das Mondlicht hinaustrat, war Mary …
Sie schleppte sich mühsam vorwärts; offenbar kehrte sie von dem erzwungenen Bacchanal am See zurück. Erschöpft keuchte sie auf, dann beugte sie sich über und erbrach sich. Ich eilte an ihre Seite, während sie sich quälte.
»Oh Foster!«, schluchzte sie. »Ich habe gebetet, dass Sie noch am Leben sind …«
»Ihre Gebete wurden erhört«, sagte ich, half ihr auf und umarmte sie. Aber wir werden mehr als nur Gebete brauchen, fürchte ich, kam mir ein ergänzender Gedanke. Sie trug die esoterische Robe von vorhin mit der verwirrenden Stickerei am Saum. Ihr warmer, schwerer Körper bebte in meinen Armen. »Ich bin Ihret- und Ihres Sohns wegen hergekommen …«
Sie entwand sich meiner beruhigenden Umarmung. »Wir müssen ins Haus und ganz leise sein.«
»Mary, ich …«
»Pst! Sie verstehen nicht!« Sie nahm meine Hand und zog mich durch eine schmale, ungleichmäßige Tür in das armselige Haus. Völlige Dunkelheit und ein dichter Geruch nach Staub hüllten mich mit einem Mal ein; nur Marys warme Hand leitete mich noch.
Sie lotste mich in ein anderes Zimmer mit niedriger Decke, das von einer einzelnen Kerze erleuchtet wurde und in dem deutlich als provisorisch erkennbare Möbel herumstanden. Ich half ihr, sich auf eine zum Stuhl umfunktionierte Milchkiste zu setzen, und als sie endlich zu Atem gekommen war, sah sie mich mit traurigen Augen an. »Oh Foster, es tut mir so leid. Sie haben Ihr Leben in Gefahr gebracht, indem Sie hierher gekommen sind.«
»Ich bin hierher gekommen, um Sie und Ihren Sohn zu holen, Mary«, versicherte ich ihr.
Sie schlug die Hände vor ihr errötetes Gesicht. »Es gibt so vieles, das Sie nicht wissen.«
»Beruhigen Sie sich. Ich weiß jetzt alles.«
Erstaunt blickte sie auf. »Sie haben … Sie haben die Dinger gesehen?«
»Ja, vorhin am See, bei dem bedauerlichen Ritual, zu dem Sie durch die Umstände gezwungen wurden, und ebenso vor wenigen Minuten bei Onderdonk. Einer der Vollblütigen hätte mich beinahe umgebracht.«
»Dann … wissen Sie von den Vollblütigen?«
»Ich weiß alles. Ich weiß, was im ersten Stock des Hilman House vor sich geht, ich weiß von den beiden Leichenlagern in den Höhlen unterhalb der Küste. Ich weiß, warum Ihr Bruder Paul invalide ist, und ich weiß außerdem, dass Ihr Stiefvater ein Mischling zwischen deren und unserer Rasse ist und der Einzige seiner Art, dem nach dem vor ein paar Jahren angeordneten Genozid weiterzuleben erlaubt wurde.« Ich nahm ihre Hand. »Und, Mary, ich weiß, warum sie die Frauen des Kollektivs dazu zwingen, ständig schwanger zu sein. Die Neugeborenen werden nicht geopfert, sie werden für Forschungszwecke benutzt, die zum Untergang der Menschheit führen sollen. Vor einigen Stunden habe ich mit angesehen, wie Zalen den Vollblütigen einige Neugeborene überreicht hat, draußen auf der Sandbank.«
Sie schluchzte erneut auf. »Zalen? Oh mein Gott, Sie müssen mich für eine Teufelin halten, dass ich meine Babys dafür hergebe.«
»Ich denke nichts dergleichen«, stellte ich klar, »denn ich weiß auch, dass Sie in diesen perversen Dienst gezwungen werden. Wenn Sie sich weigern, dem nachzukommen, würden Sie und Ihre Familie abgeschlachtet.« Ich wurde still und drückte ihre Hand noch ein wenig fester, um sie zu beruhigen. »Mary, ich weiß auch von den servilen Diensten, die auszuüben Sie in der Vergangenheit gezwungen waren, aus Verzweiflung, unter Cyrus Zalens kuppelndem Einfluss und pornografischen Bestrebungen.«
Sie schluchzte heftig. Tränen liefen aus ihren Augen und platschten buchstäblich auf den schmutzigen Boden. »Wie kann ein moralischer Mann wie Sie es dann überhaupt ertragen, sich im gleichen Raum mit mir aufzuhalten?«