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Leydecker kehrte die Handflächen nach oben und zuckte die Achseln. »Wenn, dann jedenfalls nicht mit einer Schere oder einem anderen scharfen Gegenstand. Sie wies keinerlei Verletzungen auf.«

Das zumindest war eine Erleichterung.

»Andererseits ist es möglich, bei der Ausführung eines Verbrechens jemanden zu Tode zu erschrecken - besonders jemanden, der alt und krank ist«, sagte Leydecker. »Wie auch immer, es wird einfacher zu erklären sein, wenn Sie mich einfach erzählen lassen, was ich weiß. Es wird nicht lange dauern, glauben Sie mir.«

»Natürlich. Entschuldigen Sie.«

»Möchten Sie etwas Komisches hören? Als ich den Meldebogen der Notrufannahme 911 gelesen habe, mußte ich zuerst an Sie denken.«

»Wegen der Schlaflosigkeit, richtig?« fragte Ralph. Seine Stimme klang gelassen.

»Und weil der Anrufer behauptete, er hätte diese Männer aus seinem Wohnzimmerfenster gesehen. Ihr Wohnzimmer geht doch auf die Harris Avenue hinaus, oder nicht?«

»Ja.«

»Hm-hmm. Ich wollte mir sogar das Band anhören, aber dann fiel mir ein, daß Sie heute vorbeikommen wollten... und daß Sie wieder durchschlafen. Das stimmt doch, oder nicht?«

Ohne einen Augenblick zu zögern oder zu überlegen, setzte Ralph die Brücke in Brand, die er gerade überquert hatte. »Nun, ich schlafe nicht so gut wie mit sechzehn, als ich nach der Schule zwei Jobs hatte, da will ich Ihnen nichts vormachen, aber wenn ich der Mann war, der gestern nacht 911 angerufen hat, dann muß ich es im Schlaf getan haben.«

»Das habe ich mir auch gedacht. Und außerdem, wenn Sie auf der Straße etwas Ungewöhnliches gesehen hätten, weshalb hätten Sie den Anruf anonym machen sollen?«

»Ich weiß nicht«, sagte Ralph und dachte: Aber angenommen, es war etwas mehr als ungewöhnlich, John? Angenommen, es war vollkommen unmöglich? Ich meine, wir reden hier von kleinen kahlköpfigen Ärzten aus dem Weltraum und leuchtenden Fußabdrücken und Auren, die nur ich sehen kann. Beziehungsweise die nur Ed Deepneau und ich sehen können.

»Ich auch nicht«, sagte Leydecker. »Ihr Haus hat Fenster zur Harris Avenue raus, richtig, aber das haben rund drei Dutzend andere auch... und daß der Anrufer gesagt hat, er hätte sich drinnen aufgehalten, heißt ja noch lange nicht, daß es so war, oder?«

»Wohl nicht. Vor dem Red Apple steht eine Telefonzelle, von der er angerufen haben könnte, und beim Spirituosenladen ist auch eine. Und zwei im Strawford Park, wenn sie funktionieren.«

»Tatsächlich sind es vier im Park, und die funktionieren alle. Wir haben es überprüft.«

»Warum sollte er nicht sagen, von wo er angerufen hat?«

»Höchstwahrscheinlich weil alles andere auch gelogen war. Wie auch immer, Donna Hagen sagte, der Mann hätte sich sehr jung und selbstsicher angehört.« Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, zuckte er zusammen und schlug sich mit der Hand auf die Stirn. »Das war nicht so gemeint, Ralph. Bitte entschuldigen Sie.«

»Schon gut - der Gedanke, daß ich mich wie ein pensionierter alter Furz anhöre, ist nicht gerade neu für mich. Ich bin ein pensionierter alter Furz. Nur weiter.«

»Chris Nell kümmerte sich um den Anruf - er war der erste am Tatort. Sie erinnern sich, er war auch dabei, als wir Ed festgenommen haben.«

»Ich erinnere mich an den Namen.«

»Hm-hmm. Steve Utterback nahm den Notruf als diensthabender Detective entgegen. Er ist ein guter Mann.«

Der mit der Strickmütze, dachte Ralph.

»Die Dame lag tot im Bett, aber Spuren von Gewaltanwendung waren nicht zu sehen. Und es war offensichtlich auch nichts mitgenommen worden, obwohl alte Damen wie May Locher normalerweise nicht viel besitzen, was sich mitzunehmen lohnt

- keinen Videorecorder, keine große teure Stereoanlage, nichts dergleichen. Aber sie hatte einen dieser Böse Waves und zwei oder drei hübsche Schmuckstücke. Was nicht heißen soll, daß es keinen Schmuck gegeben hat, der nicht genauso hübsch oder hübscher gewesen wäre, aber -«

»Aber warum sollte ein Einbrecher einiges und nicht alles nehmen?«

»Genau. Interessanter ist, daß die Eingangstür - wo die beiden Männer laut dem Anrufer angeblich herausgekommen sind -von innen verschlossen war. Und nicht nur mit einem Türschloß, sondern mit Riegel und Kette. Dasselbe übrigens an der Hintertür. Wenn also der Anrufer nicht gelogen hat und May Locher tot war, als die beiden Männer gegangen sind, wer hat dann die Türen abgesperrt?«

Vielleicht war es der Scharlachrote König, dachte Ralph... und hätte es zu seinem Entsetzen fast laut ausgesprochen.

»Ich weiß nicht, was ist mit den Fenstern?«

»Geschlossen. Riegel nach unten. Und falls sich das für Sie noch nicht genug nach Agatha Christie anhört, Steve sagt, daß die Sturmläden geschlossen waren. Ein Nachbar hat gesagt, sie hat erst letzte Woche einen Jungen dafür bezahlt, daß er sie anbringt.«

»Klar, das ha., öie«, sagte Ralph. »Pat Monroe, der auch die Zeitung austrägt. Jetzt fällt mir wieder ein, ich habe ihn dabei gesehen.«

»Kriminalroman-Quatsch«, sagte Leydecker, aber Ralph glaubte, er hätte Susan Day in Null Komma nichts gegen May Locher getauscht. »Der vorläufige Autopsiebericht kam, kurz bevor ich ins Gerichtsgebäude aufgebrochen bin, um Sie in Empfang zu nehmen. Ich konnte einen Blick darauf werfen. Myocardial hier, Thrombose da... letztlich läuft es auf Herzstillstand hinaus. Wir behandeln den Anruf bei 911 im Augenblick als schlechten Scherz - wir bekommen andauernd welche, wie andere Städte auch - und die Todesursache der Dame als durch das Emphysem ausgelösten Herzanfall.«

»Mit anderen Worten, ein bloßer Zufall.« Diese Schlußfolgerung ersparte ihm vielleicht eine Menge Ärger - das heißt, wenn sie akzeptiert wurde -, aber Ralph konnte in seiner eigenen Stimme Zweifel hören.

»Ja, mir gefällt es auch nicht. Und Steve ebensowenig, darum wurde das Haus abgeriegelt. Die staatliche Spurensicherung wird es von unten bis oben durchsuchen, wahrscheinlich fangen sie morgen früh schon an. Derweil ist Mrs. Locher zu einer gründlicheren pathologischen Untersuchung nach Augusta gereist. Wer weiß, was dabei rauskommt? Manchmal kommt nämlich etwas dabei heraus. Sie würden staunen.«

»Kann schon sein«, sagte Ralph.

Leydecker warf den Zahnstocher in den Müll, schien einen Augenblick finster zu brüten, dann strahlte er. »He, vielleicht bringe ich einen von den Bürohengsten dazu, daß er den Anruf als Scherz zu den Akten nimmt. Oder ich könnte ihn vorbeibringen und Ihnen vorspielen. Vielleicht erkennen Sie die Stimme. Wer weiß? Man hat schon Pferde kotzen sehen.«

»Das ist wohl wahr«, sagte Ralph mit nervösem Lächeln.

»Wie auch immer, es ist Utterbacks Fall. Kommen Sie, ich bringe Sie hinaus.«

Auf dem Flur betrachtete Leydecker Ralph noch einmal mit einem abschätzenden Blick. Dabei fühlte sich Ralph wesentlich unbehaglicher, weil er keine Ahnung hatte, was der Blick bedeuten sollte. Die Aura war wieder verschwunden.

Er versuchte ein Lächeln, das einen gekünstelten Eindruck hinterließ. »Hängt mir etwas aus der Nase, das nicht hingehört?«

»Nee. Ich staune nur, wie gut Sie aussehen, wenn man bedenkt, was Sie gestern durchgemacht haben. Und verglichen damit, wie Sie vergangenen Sommer ausgesehen haben... wenn Honigwaben das fertigbringen, werde ich mir einen ganzen Bienenstock zulegen.«

Ralph lachte, als wäre das das Komischste, das er je gehört hatte.

1:42 Uhr, Dienstagmorgen.

Ralph saß in seinem Ohrensessel und sah zu, wie Ringe aus feinem Dunst um die Straßenlaternen kreisten. Weiter oben in der Straße hingen die Absperrbänder der Polizei niedergeschlagen vor May Lochers Haus.