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Auf Händen und Füßen kraxelten sie nach oben wie herumtollende Kinder, während direkt hinter ihnen die Stufen entzweibrachen, das Treppengeländer wegplatzte und die Stahlgitter an den Fenstern ratterten und schwankten.

»Ich kann nicht … ich kann nicht mehr weiter!«, keuchte Karen. »Nimm Randy an der Hand!«, befahl Jack Maggie und hievte sich Karen auf die Schulter. Der Schmerz in seinen Rippen war nahezu unerträglich, aber irgendwie schaffte er es doch, mit seiner menschlichen Last weiter die Treppen hochzustolpern, während ihm wie bei einem chinesischen Schnurrbart das Blut an den Seiten des Mundes herunterlief. Endlich erreichten sie das Ende der Treppe.

Hinter ihnen wölbten sich die Stufen mit einem erbarmungslosen Ritsch-Ratsch, Ritsch-Ratsch und der Putz bröckelte wie ein undurchdringlicher grauer Nebel von den Wänden.

Jack stellte Karen wieder auf die Füße. Dann keuchte er: »Okay … wir rennen da lang – zum anderen Ende – und dann wieder runter – werden sehen, ob wir nicht …«

»Guck mal!«, unterbrach ihn Karen kreischend und deutete auf den Gang vor ihnen.

Entschlossen und unaufhaltsam kam der Kopf von Gordon Holman, dem Zungennagler, auf sie zu. Er riss den Boden hinter sich auf wie eine Boje, die hinter einem Motorboot hergezogen wurde. Geoff leuchtete mit der Taschenlampe auf ihn und für einen Moment glänzten Gordon Holmans Augen über dem Kamm des auseinanderbrechenden Bodens. Sie waren so rot wie die Augen auf einem fotografisch misslungenen Schnappschuss einer Überraschungsparty.

Jack wandte sich um. Quintus hatte das Ende der Treppe fast erreicht. Beide Rückwege nach unten waren blockiert.

»Dort!«, sagte Jack und deutete auf die Decke. »Geoff, da oben muss doch ein Dachboden sein!«

Direkt über der Treppe zeichnete sich der kleine, rechteckige Umriss einer Falltür ab. Ein ausgefranstes Seil hing vom Haken herunter, doch als Geoff danach greifen wollte, stellte er fest, dass es knapp zehn Zentimeter zu kurz war. Er sprang hoch und berührte es, doch es gelang ihm nicht, daran zu ziehen.

Die obere Stufe brach entzwei und zerbrochene Geländerstücke polterten mit einem dumpfen Aufprall die Treppe herunter. Gordon Holmans Kopf war in dem engen Gang nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt und kam unaufhaltsam näher. Plötzlich schoss eine seiner Hände aus dem Boden und versuchte, ihn am Knöchel zu erwischen.

Jack nahm Randy auf den Arm und sagte: »Halt es fest, Randy! Halt das Seil fest!«

Randy zog am Seil, doch nichts geschah.

»Versuch es noch mal, Randy!«, brüllte Jack.

Diesmal löste sich die Falltür abrupt und eine Holzleiter knallte herunter. Doch im gleichen Moment klatschte eine glitschige Sintflut einer fauligen schwarzen Flüssigkeit auf sie herab, die so stark nach Essig roch, dass Karen würgen musste.

»Ach du Scheiße, was ist denn das?«, schrie Maggie.

»Ich weiß es nicht! Los, hoch!«, befahl Jack ihr.

»Da hoch? Ich kann nicht! Oh Gott, ich kann nicht!«

In diesem Moment stieß Geoff einen abrupten Schmerzensschrei aus. Als sie sich umdrehten, sahen sie, dass Quintus Millers Hände aus dem Linoleum gekommen waren und ihn am rechten Fußknöchel festhielten.

»Hoch!«, schrie Jack Maggie zu. »Du auch, Karen! Und nehmt Randy mit!«

Maggie schloss für eine Sekunde die Augen, dann schob sie Randy vor sich die Holzleiter hinauf. Von den Sprossen der Leiter troff die schwarze, verweste Brühe. Während die beiden Frauen mit dem Jungen hochkletterten, wollte der Schwall der unidentifizierbaren Flüssigkeit einfach nicht versiegen.

Jack trat Quintus Miller mit voller Wucht auf die Hände, doch der schien diesmal wild entschlossen, nicht loszulassen.

Geoff klammerte sich mit wild umherblickenden Augen an Jack. »Jack … hör mir gut zu – bring dich selbst in Sicherheit! Sorg nur – sorg nur dafür, dass er mich nicht opfert – lass ihn nicht – nicht das Ritual – sonst – wird er frei sein, Jack! Lass ihn nicht frei!«

Quintus zog Geoffs rechten Fuß tief in den Boden hinab. Geoff schrie auf. Aus seinem Knöchel schoss Blut. Doch dann ließ er Jack abrupt los und stieß verzweifelt hervor: »Rette – dich – Jack …«

Jack drehte sich um. Gordon Holman hatte ihn schon fast erreicht. In seinen Augen stand die Gier nach Blut. Karen verschwand die glitschige Leiter hinauf zum Dachboden.

Geoff schenkte Jack ein gequältes Grinsen und schüttelte steif den Kopf. Dann stieß er sich mit aller Kraft nach hinten und zur Seite. Er fiel über das Geländer. Blut spritzte ihm aus dem zermahlenen Fuß. Dann stürzte er die zwei Stockwerke bis zum Fuß der Treppe in die Tiefe. Jack hörte ein schrecklich schmatzendes Geräusch, als er aufkam.

Am liebsten hätte er auf der Stelle aufgegeben und es Geoff gleichgetan. Tränen der Wut und der Verzweiflung liefen ihm die Wangen hinunter. Er wandte sich um und rammte Gordon Holman den Fuß mitten ins Gesicht. Dann griff er nach der glitschigen, stinkenden Leiter und kletterte schnell hinauf zum Dachboden.

Was sich dort oben abspielte, war so entsetzlich, dass es sich Jack nicht einmal in seinen schlimmsten Albträumen ausgemalt hätte. Der Dachboden erstreckte sich über die gesamte Länge von The Oaks, die Türme am anderen Ende ausgenommen. Erhellt wurde er nur von Maggies Taschenlampe und den Blitzen, die gelegentlich durch die winzigen, oben abgerundeten Fenster hereindrangen. Der Lärm, den der direkt über ihren Köpfen auf die hölzernen Schindeln trommelnde Regen machte, war ohrenbetäubend. Er wurde begleitet vom Wasser, das aus den kaputten Regenrinnen heraussprudelte, und dem ewigen Tröpfel-plopp-tröpfel des Wassers, das sich seinen Weg durch die maroden Dichtungsbleche bahnte.

In der Mitte des Dachbodens standen vor Entsetzen wie gelähmt Maggie, Karen und Randy. Auf dem Boden türmten sich verrottende menschliche Überreste. Einige waren mumifiziert, sodass sie knirschten, wenn man darauftrat, andere noch nicht ganz so alt, aber doch im flüssigen Stadium des fortgeschrittenen Zerfalls. Die Luft konnte man kaum atmen. Etliche Liter Essig waren auf die Körper geschüttet worden – vermutlich, um ihren Gestank zu übertünchen. Jack nahm an, dass Essig das Einzige war, was Quintus in dem seit Ewigkeiten leer stehenden Irrenhaus gefunden hatte – doch die Kombination aus der beißenden Flüssigkeit und menschlicher Verwesung raubte einem schier die Sinne.

Jack watete über den glitschigen Boden. In der schlammigen Brühe sah er eine Tüte oder einen Sack liegen und bückte sich danach. Im Licht von Maggies Taschenlampe las er, was auf dem fleckigen Etikett stand: Gale McReady, University of Wisconsin La Crosse. Er ließ es zu Boden fallen. »Seht ihr, was Quintus hier getan hat?«, fragte er mit vor Entsetzen ganz heiserer Stimme. »Er hat bereits 800 Leben ausgelöscht, wenigstens beinahe. In den letzten 60 Jahren tötete er alle, die The Oaks aufsuchten – Landstreicher, Anhalter – alle, die hier draußen eine Panne hatten, das Haus besetzen oder sich einfach nur umsehen wollten. Vermutlich hat er einige von ihnen mit seinem kleinen, grau-weißen Kind eigens angelockt. Dem kleinen, grau-weißen Kind, das nichts weiter als eine Zeitung ist.«

Jack versuchte zu schlucken, zu atmen, doch es gelang ihm nicht. »Er ist dazu tatsächlich in der Lage, wisst ihr? Papier zu zerreißen, ohne es auch nur anzurühren, Dinge zu bewegen. So hat er mich dazu gebracht, nach The Oaks zu kommen. Es war die einzige Möglichkeit, mich zu erreichen.«

Jack sah sich um und weinte vor Trauer und Ekel, sodass es ihm fast die Sicht vernebelte. »Er muss verdammt nah dran gewesen sein, 800 Leben auszulöschen … vielleicht haben es die anderen Verrückten mitbekommen, vielleicht auch nicht. Doch Quintus selbst – Herrgott, schaut euch an, was er getan hat! Quintus stand kurz davor, in die reale Welt auszubrechen. Das ist der einzige Grund, weshalb er mich nicht ebenfalls getötet hat. Das ist der einzige Grund, weshalb ich nicht auch hier oben auf dem Boden liege. Jemand musste losgeschickt werden, um Pater Bell zu suchen. Irgendein armer, gutgläubiger Trottel.«