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»Träume«, wiederholte sie und nickte, als ob sie immer noch mit ihrem imaginären Gesprächspartner telefoniere.

»Was ist so falsch daran, Träume zu haben?«

Ihre grünen Augen fokussierten ihn ernst. »Es sind deine Träume, über die du hier sprichst, mein Freund. Deine Träume, nicht meine.«

Jack schlug mit der Faust auf die Theke und verschüttete dabei sein Bier. »Na gut, verdammt! Es ist mein Traum! Aber wie zum Teufel soll ich dir deine Wünsche erfüllen, wenn ich sie noch nicht einmal kenne, verdammter Mist!«

Die Schlafzimmertür fiel krachend ins Schloss. Putz rieselte von der Decke. Jack saß alleine in der Küche und starrte sein übergeschwapptes Bier an. Wieder verkackt, dachte er mit einer Bitterkeit, die ihm inzwischen schon vertraut vorkam. Wieder verkackt. Jetzt bleiben mir noch zwei Möglichkeiten, nämlich entweder die Sache mit dem Country Club abzuschreiben oder gleich die Scheidung einzureichen.

Er saß immer noch so da, als sich die Tür wieder öffnete. Für einen Moment dachte er schon, es sei Maggie, die zurückgekommen war, um ihm zu sagen, dass es ihr leidtat. Doch es war Randy, der mit zerzausten Haaren und verquollenen Augen hineinschlurfte. Er trug seinen geliebten »A-Team«-Schlafanzug und hielt das schreckliche beigefarbene, geschlechtslose Ding in der Hand, das eine Feministenfreundin von Maggie für ihn gestrickt hatte, weil es in keiner Weise diskriminierend war.

Randy nannte es Waffel, da es die Oberflächenstruktur einer Waffel aufwies. Für Jack war es die Kackwurst.

»Wie geht’s dir, Großer?«, erkundigte sich Jack bei Randy und hob ihn auf die Theke.

»Du und Mom, ihr habt mich aufgeweckt!«, beklagte sich Randy.

»Oje, da haben wir wohl etwas zu laut gesungen«, sagte Jack.

Randy schüttelte den Kopf. »Ihr habt euch gestritten.«

»Nee. Es war kein Streit, sondern eher eine Art Diskussion.«

»Mami hat die Tür abgeschlossen und als ich durchs Schlüsselloch geschaut habe, hat sie sich Lockenwickler reingedreht.«

Jack seufzte. »Also gut, Officer, ich gestehe: Es war ein Streit.«

»Worum ging es denn diesmal?« Für einen neunjährigen Jungen war Randy ganz schön abgeklärt.

»Ach, ich weiß nicht. Dies und das. Das Übliche. Einfach zwei Erwachsene, die nicht in der Lage sind, zu etwas anderem als dem Wetter die gleiche Meinung zu vertreten und friedlich miteinander umzugehen. Wir sind uns nicht einig, ob das Universum eine Donut-Form hat und wenn ja, wo sich die Marmelade befindet. Deine Mutter und ich, wir können über alles Mögliche streiten.«

Jack schwieg einen Moment, trank einen Schluck Bier und fragte dann: »Randy, würdest du gerne von hier wegziehen?«

Randy presste die Kackwurst enger an sich und runzelte die Stirn.

»Meinst du woanders hinziehen?«

»Klar. Zum Beispiel – keine Ahnung – in den Wald vielleicht.«

»In den Wald?«

Jack nickte eifrig. »Genau, in den Wald. Du klingst schon fast wie deine Mutter. Ich sage ›Wald‹ und dann sagt sie ›Wald?‹ und dann sage ich ›Wald‹. So geht’s dann endlos weiter bis zum Sankt Nimmerleinstag.«

Randy starrte ihn entgeistert an. Schließlich erlaubte sich Jack ein Grinsen und sagte: »Weißt du was, Randy? Ich werde dir die Schätze des Waldes zeigen.«

Es regnete immer noch, als Jack am nächsten Morgen zu Reed Muffler & Tire neben der Wisconsin Cuneo Press auf der West Good Hope Road einbog. Er stellte den Wagen auf dem Parkplatz mit dem RESERVIERT-Schild ab und eilte über den von Pfützen übersäten Betonboden zur Reparaturwerkstatt. Seine Mechaniker sahen aus, als hätten sie alle Hände voll zu tun. Auf den Hebebühnen standen zwei Autos, deren Auspuffsystem ausgetauscht werden sollte, während in der Reifenmontagehalle das laute Kreischen von Bohrern und das ohrenbetäubende Knallen widerhallte, das beim Aufpumpen von Reifen unvermeidlich war.

Jacks Schichtleiter Mike Karpasian hob seine ölverschmierte Hand zum Gruß und walzte dann seinen massigen Körper, der in einem Overall in Übergröße steckte, durch die Werkstatt. Mike war früher mal Profiboxer gewesen und sprach äußerst undeutlich, was bei Gesprächspartnern den Eindruck vermittelte, als wäre er nicht besonders hell im Kopf, doch unter den Angestellten war er mit Abstand der zuverlässigste und schlagfertigste.

»Was ist denn mit deinem Auto passiert?«, erkundigte sich Mike, während sein Kopf in Richtung des Kombis nickte.

»Ins Schlingern geraten und gegen einen Baum gekracht!«, erklärte Jack. »Hast du den ganzen Tag so viel zu tun?«

»Sieht ganz danach aus. Wir haben heute Morgen noch fünf weitere Termine: zwei Auspufftöpfe, die ausgetauscht werden müssen, und drei Abgasuntersuchungen. Reifen sind nicht ganz so viele zu wechseln, aber man weiß ja nie. Die Leute fangen an, sich über ihre Reifen Gedanken zu machen, sobald die Straßen rutschig werden.«

Er schniefte und fuhr dann fort: »Mein Cousin Waldo kann dir das Heck reparieren. Ihm gehört eine Karosseriewerkstatt drüben in Cudahy. Der macht dir einen Vorzugspreis.«

»Wenn er so arbeitet wie der Cousin von dir, der mir die Schrottpresse repariert hat, dann verzichte ich dankend. Ich hab jetzt vermutlich die einzige Schrottpresse in ganz Amerika, die den Müll vergrößert.«

Jack ging durch die Werkstatt ins Büro. Karen schrieb gerade Rechnungen, doch sie schaute auf, als er die Tür öffnete, und lächelte ihn an.

»Hab nicht damit gerechnet, dass du heute reinkommst!«, erklärte sie ihm. »Wolltest du nicht nach Wauwatosa?«

»Ich wollte dich sehen!«, antwortete er und schloss die Bürotür hinter sich.

Karen arbeitete nun schon seit drei Jahren für ihn. Sie war 26 Jahre alt und hatte braunes, fülliges Haar. Auf ihre püppchenhafte Art wirkte sie mit ihrem Schmollmund und ihren künstlichen Wimpern sehr attraktiv. Meistens trug sie tief ausgeschnittene Strickwesten, keinen BH und enge Miniröcke. Wenn sie lief, wackelte sie mit dem Hintern. Die männliche Kundschaft von Reed Muffler & Tire fühlte sich stark zu ihr hingezogen, doch sie hatte nur Augen für Jack.

Nicht dass sie miteinander rumgemacht hätten. Karen hatte gerade erst eine Verfügung gegen ihren zweiten Ehemann erwirkt, einen Truckerfahrer mit 140 Kilogramm Lebendgewicht namens Cecil, der ihr an zwei Stellen den Kiefer gebrochen hatte. Momentan gönnte sie sich eine »emotionale Auszeit«, wie sie es nannte, und kümmerte sich statt um Männer mit viel Hingabe um ihre Tochter aus erster Ehe, Sherry (eine Abkürzung für Sherrywine, die nichts mit dem alkoholischen Getränk zu tun hatte, wie sie stets eilig versicherte).

Karen und Jack gingen gelegentlich kurz nach Feierabend auf ein Bier in die Kneipe gegenüber. Dann sprachen sie gefühlsduselig über alles, was geschah oder eben auch nicht und das, was niemals geschehen konnte.

»Hast du dich wieder mit Maggie gezofft?«, erkundigte sie sich.

»Na ja, nicht direkt.« Jack setzte sich an seinen Schreibtisch und fuhr sich über das Gesicht. Hinter ihm hing ein Kalender mit Nacktmodels, der in eher ungewöhnlicher Weise die Vorzüge eines Niederquerschnittsreifens vom Typ HRS-71 anpries.

»Willst du einen Kaffee?«, erkundigte sich Karen. »Du siehst aus, als könntest du dringend einen gebrauchen.«

Jack schüttelte den Kopf. »Ich brauche eher einen Jack Daniel’s und ein Bier zum Nachspülen.«

»Na, so schlimm kann das Leben doch gar nicht sein«, entgegnete Karen und zog ihren pinken Cardigan aus Angorawolle ein Stück herunter, wodurch neben noch mehr Dekolleté auch eine vergoldete Halskette sichtbar wurde, auf deren Anhänger ihr Name stand.

»Ich weiß nicht«, antwortete Jack. »Vielleicht doch. Also stell dir mal vor, du hättest gerade etwas entdeckt, das genau das ist, was du immer gesucht hast, auch wenn dir das vorher gar nicht klar war. Aber du kannst es einfach nicht bekommen. Jedenfalls nicht, ohne alles andere in deinem Leben zu verlieren!«