Als sie nickte, trieb Turalyon sein Pferd durch die enge Lücke und erschlug einen Orc, der ihm folgte. Alleria war so nah bei ihm, dass ihr Bein an seines stieß. Dann schlossen sich die Tore hinter ihnen.
„Ah, gut, Alleria. Du hast uns Turalyon gerade rechtzeitig zurückgebracht.“
Turalyon wandte sich dem Sprecher zu. Er lächelte, als er Khadgar erkannte, und sie fielen sich in die Arme. Turalyon hatte seinen Freund vermisst. Er hatte sich sehr an ihn gewöhnt und mochte den Magier, seit sie zusammen im Zweiten Krieg gekämpft hatten. Es wäre nur schöner gewesen, hätten sie sich unter erfreulicheren Umständen wiedergesehen. Alleria nickte dem Magier kurz zu.
„Ich bin so schnell gekommen, wie es ging“, sagte Turalyon. Er erblickte den Mann neben Khadgar und lächelte erleichtert. „Danath“, grüßte er seinen Stellvertreter. „Ich bin froh, dich hier sicher zu sehen.“ Er sah sich um. „Aber... wo sind deine Männer?“
„Tot“, entgegnete Danath knapp.
„Beim Licht... alle?“, flüsterte Turalyon. Danath hatte die Hälfte der Krieger aus Sturmwind mitgenommen.
Danath biss sich auf die Unterlippe. „Die Orcs hatten für uns eine nette, kleine Falle aufgebaut, als wir ins Tal kamen. Sie töteten meine Jungs, bevor sie reagieren konnten.“ Danaths Stimme brach.
„Meine Jungs“ hatte er sie genannt. Turalyon erkannte, dass sich Danath für ihren Tod verantwortlich fühlte. „Sie haben sich geopfert, damit ich hierher kommen und Khadgar vor der nahenden Horde warnen konnte.“
„Sie haben das Richtige getan. Und du auch“, versicherte Turalyon seinem Freund und Untergebenen. „Es ist schrecklich, Männer unter seinem Kommando zu verlieren, aber Nethergarde zu warnen, besaß oberste Priorität.“ Er furchte die Stirn. „Khadgar... wir müssen herausfinden, warum sie uns jetzt attackieren.“
„Das ist offensichtlich. Sie müssen an uns vorbei, wenn sie nach Azeroth wollen“, antwortete Khadgar.
Aber Turalyon schüttelte den Kopf. „Nein, das ist unlogisch. Denk mal nach. Sie sind nicht zahlreich genug, um diese Festung einzunehmen, und das wissen sie auch. Ich möchte wetten, dass das hier nicht die ganze Horde ist. Aber wo ist dann der Rest? Warum greifen sie nur mit einem Teil ihrer Armee an?“
Khadgars weiße Brauen zogen sich über seinen jungen Augen zusammen. „Das ist ein exzellentes Argument.“
„Ich weiß, wie wir es herausfinden“, sagte Danath knapp. „Bringt mir einen Orc, und dann hole ich aus ihm heraus, was er weiß.“
Die Art, wie er es sagte und dabei aggressiv sein Kinn vorstreckte, ließ Turalyon zurückweichen. Er sah in Danaths Gesicht das Spiegelbild von Allerias Hass auf die Orcs. Trotz all ihrer Brutalität, trotz all des Schmerzes und der Schäden, die die Orcs auf dieser Welt angerichtet hatten, bedauerte er doch jeden Gefangenen, den sich Danath Trollbann zur Befragung vornahm. Er hoffte nur, dass der Orc schnell reden würde. Zu seinem eigenen Wohl – und dem ihren.
Danath wartete auf seine Zustimmung. Turalyon nickte zögernd und wandte sich Alleria zu. Aber bevor er etwas sagen konnte, war sie zu einem der Türme geeilt. Sie musste etwas tun, irgendetwas. Alleria gab den Befehl nach unten weiter, wartete auf die Antwort und grinste dann wild.
„Es wird nicht lange dauern“, sagte sie. Turalyon vermutete, dass sie selbst hinunterklettern würde. Stattdessen blieb die Elfe, wo sie war, legte einen Pfeil auf ihren langen, eleganten Bogen auf, zielte und nahm den Kampf von dem hoch gelegenen Ort auf.
Alleria behielt recht. Keine drei Minuten später rief jemand von draußen: „Wir haben einen!“
Die großen Tore wurden wieder geöffnet. Zwei von Turalyons Männer ritten hindurch. Zwischen ihnen hing ein beinahe besinnungsloser Orc. Sie warfen ihn dem General vor die Füße. Blut bedeckte den grünen Kopf, und die Augen waren geschlossen. Er rührte sich nicht, als er zu Boden fiel.
„Ein Orc, noch lebendig“, berichtete einer der Männer. „Er hat ganz schön was am Kopf abbekommen, aber er wird es überstehen. Zumindest eine Weile.“
Turalyon nickte und entließ sie. Beide Männer salutierten, bevor sie ihre Pferde herumrissen und sich wieder in die Schlacht stürzten.
„Dann schauen wir mal, was wir hier haben“, bemerkte Danath. Er fesselte dem Orc die Hände und Füße mit einem dicken Seil. Dann schüttete er dem Monster Wasser über das Gesicht. Es wachte auf, verzog das Gesicht, furchte die Stirn und begann zu knurren, als es die Fesseln bemerkte.
„Warum greift ihr uns jetzt an?“, fragte Danath und beugte sich über den Orc. „Warum greift ihr Nethergarde an, obwohl ihr nicht in voller Stärke seid?“
„Ich gebe dir gleich Stärke“, brüllte der Orc-Krieger und kämpfte gegen die Fesseln an. Aber sie hielten.
„Ich glaube, du verstehst nicht richtig“, sagte Danath langsam, zog seinen Dolch und bewegte ihn direkt vor dem Gesicht des Orcs. „Ich habe dir eine Frage gestellt. Du solltest besser antworten. Warum greift ihr Nethergarde jetzt an? Warum wartet ihr nicht, bis der Rest der Horde eintrifft?“
Blut und Spucke trafen Danaths Züge. Er sprang überrascht zurück und wischte sich langsam über das Gesicht. „Ich habe keine Lust auf Spielchen“, knurrte er und beugte sich mit dem Dolch vor.
„Warte!“, befahl Turalyon. Er verabscheute Folter, und er vermutete, dass, selbst wenn er Danath erlaubte weiterzumachen, der Orc nichts sagen würde. Orcs waren fast unempfindlich gegen Schmerzen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass er ohnmächtig wurde oder starb, war groß. „Es gibt vielleicht einen anderen Weg, das herauszufinden.“
Danath verharrte. Er spürte Allerias Blick auf sich. Sie war wütend und wollte die Kreatur verletzt sehen. Aber das würde nichts helfen.
Turalyon schloss die Augen und verlangsamte seinen Atem. Er griff nach dem stillen, tiefen Kraftreservoir in sich, dem Zentrum, wo, ganz gleich, was ihm durch den Kopf ging, Frieden herrschte. Er spürte ein Prickeln auf seiner Haut, als das Licht antwortete, ihm seine Kraft und seine unbeschreibliche Gnade lieh. Er hörte, wie seine Freunde nach Luft schnappten und der Gefangene einen erschreckten Schrei ausstieß.
Turalyon atmete tief ein. Er öffnete die Augen und sah das vertraute Leuchten über seinen Händen und Armen. Danath und Khadgar sahen ihn an, ihre Augen waren vor Schreck geweitet. Und der Orc war nur ein zusammengekrümmtes, wimmerndes Knäuel zu seinen Füßen.
Als Turalyon sprach, war seine Stimme völlig ruhig und kontrolliert. Es gab keinen Platz für Hass oder Wut. Nicht, wenn man völlig im Licht wandelte.
„Nun, beim Heiligen Licht, wirst du unsere Fragen wahrheitsgemäß beantworten“, intonierte Turalyon und legte dem Orc die Hand auf die Stirn. Plötzlich blitzte etwas auf. Er spürte, wie ein Funke übersprang. Der Orc schrie, und als Turalyon seine Hand entfernte, befand sich auf der Stirn der Grünhaut wie eingebrannt ein dunkler Abdruck. Der Orc zitterte und weinte. Turalyon hoffte, dass er ihn nicht unnötig verletzt hatte.
„Warum greift ihr jetzt an?“, fragte er erneut.
„Um... um euch abzulenken“, schluchzte der Orc. „Von den Diebstählen.“ Zuerst hatte er hartnäckig geschwiegen, doch jetzt konnte der Orc gar nicht schnell genug reden. „Ner’zhul braucht etwas. Artefakte. Er befahl uns, die Allianz hier zu beschäftigen, damit sie nicht merkt, was vorgeht.“
Khadgar strich sich durch den Bart. Er hatte sich schneller als Danath erholt, der immer noch den jungen Paladin anstarrte. Turalyon blickte auf, um nach Alleria zu sehen, die ihn ebenfalls mit gespanntem Unglauben ansah. Als ihre Blicke sich trafen, wurde sie verlegen und schaute weg.
„Ein einfacher Plan, aber einfache Pläne sind oft die besten“, bemerkte Khadgar. „Obwohl, welche Artefakte? Und wozu braucht er etwas von unserer Welt und nicht von seiner eigenen?“
Der Orc schüttelte den Kopf und zitterte. „Er weiß es nicht“, sagte Turalyon. „Er würde es verraten, wenn er es wüsste.“ Unter dem Einfluss des Lichts konnte der Orc nicht lügen.
Die Tore öffneten sich gerade so weit, dass zwei Elfen sich durchzwängen konnten, dann schlossen sie sich wieder. Turalyon sah auf. Seine Augen verengten sich, als er erkannte, dass sie völlig erschöpft waren. „Was gibt’s Neues?“