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„Erzmagier oder nicht, du bist uns keine Hilfe, wenn du vor Hunger oder Müdigkeit umfällst“, hatte sein Freund gesagt. Das war ein guter Ratschlag gewesen, und deshalb war Khadgar hierhergekommen und hatte brav den Eintopf gelöffelt, den ihm jemand hinstellte.

Daran konnte er sich noch erinnern – und dann musste er eingeschlafen sein. Er träumte, und der Traum war bittersüß. Weil er darin wieder jung war.

Er wandte sein glatt rasiertes Gesicht dem Nachthimmel zu und badete es im Mondlicht. Der Wind fuhr durch sein Haar, das bis auf eine einzelne Strähne schwarz schimmerte. Er hob seine Hände, wunderte sich, wie jung und stark sie wirkten, so ganz ohne Gicht und Altersflecken. Wie ein Riese durchstreifte er Lordaeron, jeder Schritt brachte ihn etliche Meilen voran, und sein Kopf stieß an die Wolken. Es war Nacht, dennoch bewegte er sich sicher und ohne zu zögern, seine Füße kannten den Weg.

Khadgar war in Richtung Dalaran unterwegs, watete mit einem einzigen Schritt durch den See und erreichte die Stadt der Magier. Trotz der späten Stunde strahlte Licht aus einem Raum der Violetten Zitadelle, und Khadgar richtete seine volle Aufmerksamkeit darauf. Er glitt nach oben und wurde kleiner, als er den Raum erreichte.

Als seine Füße auf dem Balkon landeten, hatte er wieder seine normale Größe. Die Tür stand offen, und er trat ein. Dabei schob er die dünnen Vorhänge beiseite, die vom Mondlicht angezogene Insekten draußen hielten.

„Sei willkommen, Khadgar. Komm herein.“

Khadgar war nicht überrascht, Antonidas hier zu sehen. Er erkannte die Privatgemächer des Anführers der Kirin Tor. Er setzte sich auf den ihm angebotenen Stuhl und nahm ein Glas Wein von dem Magier an. Es amüsierte ihn, dass Antonidas mit seinem gerade ergrauenden, langen braunen Bart jetzt älter als er aussah. Normalerweise hielten Fremde Khadgar für den Älteren, wegen seines schneeweißen Bartes – obwohl er mehrere Jahrzehnte jünger war als Antonidas.

„Danke“, sagte Khadgar leise, nachdem beide einen Moment lang den Wein gekostet hatten. Er wies auf sein jungenhaftes Gesicht und seinen kräftigen jungen Körper. „Dafür.“

Antonidas wirkte ein wenig unbehaglich. „Ich wollte es dir so angenehm wie möglich machen.“

„Ich habe es vermisst, jung zu sein. Ich bereue nichts... Medivh musste schließlich aufgehalten werden... und meistens stört es mich nicht. Aber manchmal... vermisse ich es doch.“

„Ich weiß.“

Khadgar wechselte das Thema. „Ich vermute mal, dass dies kein gewöhnlicher Traum ist.“

Antonidas schüttelte den Kopf. „Nein, unglücklicherweise nicht. Ich habe besorgniserregende Neuigkeiten. Die schwarzen Drachen haben sich mit der Horde verbündet.“

Es erforderte große Selbstbeherrschung, sich nicht zu verschlucken. „Die schwarzen Drachen?“, wiederholte Khadgar. „Aber was ist mit den roten? Die beiden Rassen sind Todfeinde.“

Sein Gastgeber zuckte mit den Achseln. „Sie wurden schon seit einiger Zeit nicht mehr gesehen. Vielleicht haben sie sich der Kontrolle durch die Horde entzogen?“ Er schaute düster. „Aber die Orcs haben neue Verbündete gefunden, und diesmal offensichtlich freiwillige Helfer.“

Khadgar schüttelte den Kopf. „Und sie kommen nach Nethergarde?“

„Das wissen wir nicht“, gestand Antonidas ein. „Vielleicht. Sie waren bereits hier und auch in Alterac.“ Sein Stirnrunzeln verwandelte sich in ein finsteres Grübeln. „Sie haben das Auge von Dalaran gestohlen, Khadgar.“

„Das Auge?“ Khadgar wusste genau, was für ein Schlag das für Dalaran war. „Aber was will die Horde damit?“

„Das weiß ich nicht. Doch sie waren hier, um es zu stehlen“, bestätigte Antonidas. „Eine Handvoll Todesritter ist durch unsere Verteidigungszauber geschlüpft, nahm es und benutzte die Drachen zur Flucht. Drachen, die kurz danach die Wachen der Allianz in Alterac töteten. Zweifelsfrei geschah das auf Befehl des Verräters Perenolde.“

Khadgar verzog das Gesicht. „Ich frage mich, wie Perenolde das angestellt hat.“

„Noch ein Rätsel. Ich weiß, womit du dich zur Zeit alles herumschlagen musst. Aber ich dachte, du solltest es wissen.“

„Danke“, sagte Khadgar ehrlich. „Gut, dass ich das weiß.“ Er runzelte gedankenvoll die Stirn, strich sich durch den Bart und war verblüfft, dass er momentan ja nur das nackte Kinn hatte. „Und vielleicht kann ich herausfinden, warum das alles geschehen ist. Zuerst das Buch von Medivh, jetzt das Auge von Dalaran. Warum gerade diese beiden Artefakte?“ Er setzte das Weinglas auf Antonidas Tisch ab und stand widerstrebend auf. „Ich sollte zurückgehen.“

Zurückgehen, um wieder ein junger Mann im Körper eines alten zu sein. Zurückgehen, um Alleria und Turalyon zu beobachten, die ein qualvolles Drama um Ablehnung, Verletzung und Einsamkeit aufführten, obwohl doch jeder Narr sehen konnte, dass sie zusammen stärker und glücklicher wären. Zurückgehen, um Orcs zu bekämpfen und Portale zu schließen und die Last der Welt auf seinen künstlich gealterten Schultern zu tragen.

Er seufzte schwer.

„Wie du willst. Viel Glück, mein Junge.“ Antonidas wedelte mit der Hand, und Khadgar erwachte und saß am Tisch im Versammlungsraum von Nethergarde. Er war zurück in seinem alten Körper und spürte einen wehmütigen Stich, als er seine runzligen Hände und den langen, weißen Bart sah.

Khadgar erhob sich und verließ den Versammlungsraum, wie er den Traum hinter sich gelassen hatte. Er sah Turalyon und ein paar andere am Haupttor stehen. Sie umringten einen neuen Gefangenen. Die Männer blickten auf, als er sich näherte, und traten zurück. Der Erzmagier unterdrückte ein Schaudern, als er das verwesende Gesicht der einst menschlichen Kreatur und die glühenden roten Augen sah.

„Khadgar!“, rief Turalyon, als er seinen Freund bemerkte. „Ich wollte gerade jemanden nach dir schicken.“

„Ich vermute mal, du brauchst bei diesem Gefangenen meine Hilfe. Hat das Licht versagt?“

Turalyon wirkte frustriert. „Ganz im Gegenteil. Seine Reaktion darauf war derart extrem, dass ich Angst hatte, ihn zu töten. Ich dachte, dass vielleicht du...“

„Natürlich.“ Khadgar sank neben den Gefangenen und erwiderte dessen wilden Blick. „Wie heißt du, Todesritter?“

Die Kreatur zischte nur und zerrte an den Fesseln, die aber standhielten.

„Wenn du es so haben willst“, sagte Khadgar schulterzuckend. Er sammelte seine Kraft, dann bündelte er sie zu einem scharfen Strahl. Der Spruch drang leicht durch die Verteidigung der Kreatur der Horde, wie es vermutlich Turalyons Heiliges Licht auch getan hatte. Aber obwohl sich der Todesritter versteifte, setzte ihm der Schmerz nicht derart zu, um ihn am Reden hindern zu können. Und er würde reden.

„Dein Name?“

Der Todesritter starrte ihn an, Mordlust brannte in seinen Augen. Aber sein Mund öffnete sich und formte Worte. „Gaz Soulripper.“

„Gut. Nun sag mir, wie hat die Horde das Portal wieder geöffnet?“, wollte Khadgar wissen. Turalyon und die anderen versammelten sich hinter ihm.

„Ner’zhul“, antwortete er. „Ner’zhul benutzte den Schädel von Gul’dan, um den Spalt aufzuzwingen.“

„Ist das möglich?“, fragte Turalyon.

„Absolut“, antwortete Khadgar. „Langsam wird alles klar. Wir wissen, dass Gul’dan das ursprüngliche Portal gemeinsam mit Medivh errichtet hat. Es ist gut möglich, dass seine Überreste immer noch damit verbunden sind. Und deshalb könnten sie benutzt werden, um bessere Kontrolle über den Spalt zu bekommen. Ebenso wie das Buch von Medivh.“

Ner’zhul hatte Gul’dan oder zumindest den Schädel gebraucht, um den Spalt erneut zu öffnen. Und ohne den Schädel konnte Khadgar ihn nicht völlig schließen. Jetzt verstand er, warum der Spalt übrig geblieben war. Ohne die Hilfe von Gul’dans Schädel würde Khadgar ihn niemals vollständig schließen können. Und ohne das Buch würde er den passenden Zauber dafür nicht erfahren.