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Der Magier spürte, dass er an der Schulter berührt wurde. Er sah auf und erblickte Turalyon, der ihm wegzutreten bedeutete. Verwirrt gehorchte Khadgar.

„Gute Neuigkeiten“, sagte Turalyon. „Unsere Streitkräfte treiben die Horde zurück zum Dunklen Portal. Wir haben zudem von Admiral Prachtmeer gehört, dass die anderen Orc-Gruppen ebenso auf der Flucht sind. Scheinbar hat eine Gruppe Orcs, gedeckt von schwarzen Drachen, mehrere Boote aus dem Hafen von Menethil gestohlen.“

Khadgar seufzte und erinnerte sich an sein Traumgespräch mit Antonidas. „Ich vermute, der Bericht stimmt. Ich... warte. Sagtest du ,Boote’?“

„Ja. Sie sind nach Südwesten gefahren, zur Großen See.“

Khadgar fasste Turalyon an seiner Tunika. „Südwesten? Verdammt!“

„Was ist los, Khadgar?“

„Sie sind nicht auf der Flucht. Diese Boote... sie fahren zur Gruft von Sargeras! Gul’dan hat das einst versucht und ist dabei umgekommen!“

„Warum sollten die Orcs das tun? Medivh ist tot und Sargeras fort. Die Gruft ist leer.“ Seine Augen weiteten sich. „Das ist sie doch, oder?“

Plötzlich passte alles zusammen. „Sargeras ist fort“, sagte Khadgar langsam. „Aber das bedeutet nicht, dass die Gruft leer ist. Wir wissen, dass die Orcs Artefakte suchen. Was, wenn Sargeras etwas zurückgelassen hat? Die Gruft war versiegelt, sodass kein Wesen von Azeroth dort eindringen konnte. Aber die Orcs sind ja nicht von hier! Die Abwehrzauber wirken nicht gegen sie, genauso wenig, wie sie gegen Gul’dan gewirkt haben, als er... Das ist es! Das muss es sein!“

Khadgar wandte sich zu dem Todesritter um. „Warum hat Ner’zhul die Orcs in die Gruft des Sargeras geschickt?“, verlangte er zu wissen.

Gaz Soulripper lachte, der faule Atem aus seinen toten Lungen strich über Khadgars Gesicht. Der Todesritter zog sich in sich zurück und war nicht bereit, etwas zu verraten. Khadgar schaute finster. Er setzte seine Magie erneut ein, dieses Mal ohne Vorsicht, und das Licht des Spruchs wirkte, als hätte man eine Lanzenspitze durch die Stirn der Kreatur getrieben. Soulripper wand sich vor Schmerz, blieb aber stumm.

„Sag es uns!“

„Wir... sind an eurer Welt nicht interessiert!“, grunzte Soulripper, seine Hände verkrampften sich.

Khadgar machte eine leichte Bewegung mit den Fingern, und dieses Mal schrie Gaz Soulripper auf.

„Ich muss mehr als das wissen.“

„Ah!“ Das untote Wesen biss sich vor Qual auf die Lippen, die Zähne drangen mit Leichtigkeit durch das verfaulte Fleisch. „Unser Ziel... ist weitaus höher, als du dir vorstellen kannst, Mensch!“

Khadgars Herz schlug hart. Diese Halbwahrheiten, diese Hinweise... Was war wirklich los? Schweiß lief über seine Stirn, aber nicht vor Erschöpfung. Er packte fester zu, und der Todesritter zuckte.

„Khadgar...“, sagte Turalyon.

„Ich kann das beliebig lange machen, Soulripper“, sagte Khadgar. Als keine Antwort kam, hob Khadgar auch die linke Hand.

„Ein Artefakt!“, brüllte der Todesritter. „Aus der Gruft. Das Zepter des Sargeras...“

„Schon besser. Was ist damit?“

„D-damit und dem Buch von Medivh und dem Auge von Dalaran kann Ner’zhul... nein!“

Khadgar war überrascht vom Grad des Widerstands, den der Todesritter zu leisten vermochte. Er teilte Turalyons Ablehnung von Folter. Aber sie waren so nah dran...

„Was kann er damit tun? Sag es uns!“

„Er... er kann Portale von Draenor zu anderen Welten öffnen.“

Khadgar stellte die Folter augenblicklich ein. Der Todesritter fiel vorneüber und erholte sich auf dem Boden. Der Magier war einen Moment lang völlig bewegungslos, dann sah er Turalyon an. Er erkannte seinen eigenen Schrecken im Gesicht des jungen Mannes.

„Andere... Welten?“, hauchte Turalyon, seine Stimme vor Schreck ganz leise. „Azeroth und Draenor... sind nicht die einzigen?“ Er schaute auf den Todesritter, dabei mahlten seine Kiefer, bevor er weitersprach. „Welten... und zwar mehr als nur eine. Zahllose Welten, allesamt unschuldig, die den Orcs in die Hände fallen könnten. Das Licht schütze uns.“

Khadgar nickte. „Ich weiß, es ist schwer zu glauben. Die Horde, der wir gegenübergetreten sind, war halb wahnsinnig vor Verzweiflung und Hunger. Ihre Welt stirbt, und sie mussten unsere erobern. Und jetzt öffnen sie Portale in zahllose andere Welten. Dasselbe Spiel findet von Neuem statt... immer wieder.“

Turalyon hörte die Worte seines Freundes kaum. Sie schienen wegzudriften, eingehüllt in das laute Pochen seines Herzens. Die hässliche Fratze des Todesritters verschwand ebenfalls, versank in einem langsamen, aber steten Glühen weißen Lichtes, das aus ihm herausdrang.

Turalyon brannte darauf, sein Volk, die Allianz und alles Leben auf dieser Welt vor der Verwüstung durch die unersättlichen Orcs zu beschützen. Das war schon jetzt eine enorme Aufgabe, aber was, wenn es plötzlich mehrere Welten waren? Um wie viele ging es dabei? Eine? Zwei? Zwei Millionen? Hysterie wallte in ihm auf, als er in dem weißen Raum in seinem Geist saß und an den Grenzen des Wahnsinns kratzte, um das Unbegreifliche zu verstehen.

Den Unschuldigen galt sein ganzes Bemühen. Er musste sie beschützen. Aber wie konnte er das bewerkstelligen? So viele, die...

Der Schlag seines Herzens setzte aus. Und anstelle des reinen strahlenden Lichts sah er eine Gestalt, die aus Licht bestand, nein, die das Licht selbst war. Sie schwebte und leuchtete. Schimmerte, als wäre ihre Form fest und kristallin, aber gleichzeitig weich, so unbeschreiblich weich, sanft wie eine Träne, so sanft wie Vergebung, so sanft wie Allerias bleiche Haut.

Goldene Strahlen umgaben das Wesen, und Turalyon konnte erst nicht sagen, ob sie von ihm weg oder zu ihm hin führten. Und dann begriff er, dass beides zutraf. Alles, was zählte, war dieses Wesen, und dieses Wesen war alles.

Ehrfurcht durchflutete ihn, und er versank in der Schönheit der leuchtenden Gestalt. Sie erfüllte ihn mit Hoffnung und Ruhe, als wäre er ein leeres Gefäß.

Verzweifle nicht, erklang eine glockenreine Stimme wie das Rauschen des Ozeans. Das Licht ist mit dir. Wir sind mit dir. Ganz egal, wie stark die Finsternis ist, das Licht wird sie vernichten. Egal, auf welcher Welt, egal, in welcher Kreatur, das Licht wohnt stets in der Seele. Wisse dies und schreite mit deinem freudigen Herzen voran, Turalyon.

Wie zur Antwort begann Turalyons Herz wieder zu schlagen. Er erkannte, dass es nie aufgehört hatte. Dass der vermeintlich lange Moment des Stillstands in Wahrheit nicht länger als ein Augenblinzeln gedauert hatte.

Khadgar machte Turalyon Platz, damit er sich hinsetzen konnte. Schließlich hob Turalyon den Kopf. Sein Blick war entschlossen, klar und fest.

„Wir müssen sie aufhalten“, stellte er kategorisch fest. „Wir können nicht zulassen, dass sie auf unschuldigen Welten... losschlagen. Es endet hier. Auf Azeroth. Niemand soll so leiden müssen wie wir. Darum müssen wir uns kümmern.“

Khadgar hörte, wie einige von Turalyons Männern aufgebracht murmelten.

Turalyon bekam es auch mit, und sein Gesicht verdüsterte sich. „Wenn du etwas zu sagen hast, dann sag es laut und deutlich“, befahl er. Der Soldat, mit dem er redete, tauschte mit den anderen Blicke, dann trat er vor.

„Herr Kommandant... warum lassen wir die Orcs nicht fliehen? Wenn sie neue Welten erobern wollen, dann gehen sie vielleicht weg und lassen uns in Ruhe.“

„Selbst wenn es so einfach wäre, könnten wir das nicht geschehen lassen. Versteht ihr?“, sagte Turalyon. „Wir müssen sie aufhalten. Wir können nicht unsere Welt auf Kosten ungezählter unschuldiger Leben retten!“

„Außerdem“, sagte Alleria mit klarer Stimme, als sie auf sie zukam, staubig, verschwitzt und mit Blut bespritzt, das zu dunkel war, um ihr eigenes zu sein, „wer sagt denn, dass sie nicht zurückkämen, wenn sie des Plünderns müde sind?“

Ihrem guten Gehör verdankte sie, dass sie alles mitbekommen hatte. Khadgar glaubte, dass sie ein wenig blasser als sonst war, aber auch erschreckend gefasst.