„Braucht man nicht enorme Energien und sehr komplexe Zaubersprüche?“, fragte Danath. „Vielleicht benötigt er die Zeit, um all diese Details herauszufinden.“
„Glaube ich nicht“, sagte Khadgar. „Es ist schon kompliziert, aber ich bin mir sicher, dass er daran schon gearbeitet hat. als die anderen noch die Artefakte beschafften. Zepter, Buch und Auge.“ Er überlegte. „Und was noch? Worauf könnte er warten?“
Sie versuchten ein paar Orcs zu befragen, die sie gefangen hatten. Aber keiner konnte etwas Nützliches verraten. Es waren keine Todesritter, sondern einfache Kämpfer. Kanonenfutter, das nur eingesetzt wurde, um die Allianz zu verlangsamen, während Ner’zhul auf... ja, was eigentlich?... wartete.
Obwohl er mit leichtem Gepäck reisen musste, hatte Khadgar ein paar zusätzliche Gegenstände mitgenommen. Einen Ring, der es ihm ermöglichte, jede Sprache zu verstehen und auch selbst verstanden zu werden. Nur so hatten sie die Orcs befragen können, die lediglich ihre eigene, gutturale Sprache beherrschten. Unter den anderen Dingen waren eine Handvoll Bücher... Zauberbücher und ein Band, der einst Medivh gehört hatte.
An dem Folianten war nichts Magisches. Es handelte sich nur um Notizen über Draenor, seinen Himmel und die Kontinente. Khadgar fand es tröstlich, nachts zum Himmel aufzuschauen. Er war nur am Tag rot, und Khadgar identifizierte zum Spaß Konstellationen, während er über Ner’zhuls Rätsel nachsann. Dann, eines Nachts, verstand er es endlich, als hätten die Sterne die gesuchte Antwort. Und die hatten sie tatsächlich.
„Zepter, Buch und Auge!“, rief er Kurdran zu, als er aus seinem Lager lief.
„Häh?“, knurrte der erschrockene Zwerg. „Bist du jetzt doch noch übergeschnappt, Kumpel?“
„Hol die anderen. Wir müssen reden.“ Kurze Zeit später befanden sich die Kommandanten der einzelnen Truppen im Turm. „Turalyon... du zuerst. Geh raus und schau durch das Teleskop. Sag mir, was du siehst.“
Turalyon blickte ihn verblüfft an, gehorchte aber. Durch das Teleskop schauend, sagte er: „Ich sehe... Sterne. Wohin soll ich denn gucken?“
„Such die Konstellationen. Gruppen von Sternen.“ Khadgar war so aufgeregt, dass die Worte nur so aus ihm heraussprudelten. „Was siehst du?“
„Nun, so eine Art Quadrat. Das andere ist lang und dünn. Sonst kann ich keine Formen erkennen.“
„Nein... du bist nur nicht daran gewöhnt, darauf zu achten. Eins von Medivhs vielen Spezialgebieten war die Astronomie. Er besaß Bücher mit Sternenkarten von Konstellationen, die ich so nie gesehen habe. Konstellationen von dieser Welt.“
„Das ist ja alles schön und gut, Kumpel, aber ich gucke da nicht durch, wenn ich nicht weiß, was du eigentlich von mir willst“, knurrte Kurdran.
„Schau dir das an.“ Khadgar reichte dem Zwerg ein Buch. Turalyon blickte weiter durch das Teleskop, während Alleria, Danath und Kurdran das Buch untersuchten. „Was seht ihr?“
„Namen von Konstellationen“, sagte Danath. „Der Stab... der Foliant... und der Seher.“
„Zepter, Buch und Auge“, sagte Alleria langsam und hob ihren blonden Kopf an. Sie sah Khadgar bewundernd an. „Also... brauchte Ner’zhul diese Artefakte, weil sie mit den Konstellationen dieser Welt korrespondieren?“
„Ja... und nein“, sagte Khadgar, der seine Aufregung kaum mehr zurückhalten konnte. „Es geht um viel mehr. Einmal alle 547 Jahre gibt es eine Konstellation, die all diese Sterne betrifft. Seht ihr den rötlichen Punkt in der Mitte des Folianten? Der erscheint als erstes. In ungefähr einem Monat seht ihr einen Kometen, der durch den Stab zieht. Und beim nächsten Mondzyklus steht der Mond exakt in der Mitte des Sehers. Diesen Aufzeichnungen zufolge ist das ein ziemlich bedeutendes Ereignis.“
„Wenn Ner’zhul also Gegenstände besitzt, die mit diesen Konstellationen in Zusammenhang stehen“, sagte Turalyon langsam und schaute immer noch zu den Sternen auf, „und er die Artefakte zu einer Zeit benutzt, wenn etwas sehr Seltenes am Himmel mit diesen drei Konstellationen geschieht, verstärkt das seine Kraft, oder?“
„Wenn die Gestirne derart miteinander harmonieren und die daraus resultierende Resonanz... beim Licht, Turalyon, dann kann wahrscheinlich kein Zauber fehlschlagen, der diese Energie benutzt.“
Turalyon schaute vom Teleskop auf. „Wann?“, war alles, was er sagte.
„Fünfundfünfzig Tage noch. Und die Konjunktion hält drei Tage lang an.“
Turalyon und seine Leute warteten auf weitere Verstärkung und rieben ihre Kräfte allmählich auf. Immerhin wussten sie jetzt ganz genau, wie lange sie warten konnten. Und dann mussten sie angreifen, egal, wie viele Kämpfer sie bis dahin hatten.
Khadgar seufzte und sah die Waldläuferin an, die seine Sternenbetrachtung unterbrochen hatte, als er durch das Fenster zurückkletterte. „Wir sind heute einen Tag näher dran als gestern. Ich kann die Sterne nicht beschleunigen, Alleria.“
„Bald, bald. Geduld ist eine Tugend“, murmelte Alleria wütend. „Ich kann diese Sprüche langsam nicht mehr hören.“
„Für eine Elfe bist du schrecklich ungeduldig.“
„Für einen Menschen bist du ganz schön lahm. Ich will kämpfen und mich nicht hier verkriechen.“
In Khadgar kochte plötzlich die Wut hoch. „Du willst nicht kämpfen, Alleria, du willst sterben.“
Sie verstummte. „Wie meinst du das?“
„Wir haben es doch alle gesehen. Du rennst dort raus und bist wild auf Blut. Willst Rache. Du bist waghalsig. Du kämpfst schlecht, Alleria, und das sieht dir nicht ähnlich. Deshalb befielt Turalyon dir, dicht bei ihm zu bleiben oder gar nicht erst in den Kampf zu ziehen. Er hat Angst, dich zu verlieren.“
Ihr Blick war hochmütig, kalt und zornig. „Er kann mich gar nicht verlieren. Ich gehöre niemandem, außer mir selbst.“
Khadgar wusste, dass er eigentlich aufhören sollte. Doch er konnte es nicht. Er hatte sich die ganze Zeit zurückgehalten, hatte Alleria und Turalyon beobachtet, die sich offensichtlich noch liebten, aber wie wachsame Hunde umkreisten. Er konnte sich das nicht länger mit ansehen. „Du gehörst nicht mal dir selbst. Du gehörst zu den Toten. Doch das bringt sie nicht zurück, Alleria. Da ist dieser gute, freundliche, intelligente Mann, hier in dieser Festung, der dir das eine oder andere über das Leben beibringen könnte. Du solltest zur Abwechslung mal versuchen zu leben. Öffne dich etwas Seltenem und Schönem, statt die Türen hinter dir zuzuschlagen.“
Sie trat auf ihn zu, bis ihre Gesichter nur noch wenig voneinander entfernt waren. „Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden? Das geht dich nichts an! Warum interessiert es dich, wie ich mein Leben lebe?“
„Mich geht es etwas an, weil ich diese Wahl nicht habe!“
Dieses Eingeständnis war heraus, bevor er es unterdrücken konnte. Beide verstummten und schauten einander an. Ihm war die Wahrheit selbst nicht klar gewesen. Aber jetzt war sie ausgesprochen, lag offen vor ihnen. „Ich weiß, dass du unsere Leben für erschreckend kurz hältst. Unsere Jugend ist noch kürzer. Zehn Jahre, um jung und stark zu sein, nie... nie wieder danach sind wir so lebendig. Ich hatte nicht mal das. Ich wurde ein alter Mann, als ich siebzehn war, Alleria. Ich bin sogar noch jünger als Turalyon! Sieh dir mein Gesicht an. Ich bin zweiundzwanzig... aber welches zweiundzwanzigjährige Mädchen will einen so alten Mann haben?“
Er wies wütend auf sein Gesicht. Es war faltig, mit weißem Bart und weißen Haaren. Sie schnappte nach Luft und machte einen Schritt zurück. Mitleid glättete ihre Wutfalten. Khadgar war plötzlich verlegen und schaute weg.
„Ich wollte nur... nun, zusehen zu müssen, wie ihr beide etwas wegwerft, das ich nie haben werde... das stört mich einfach. Und es tut mir leid, ich hätte es nicht an dir auslassen sollen.“
„Nein... Mir tut es leid. Ich habe nicht nachgedacht.“
Die Stille lastete schwer und peinlich auf ihnen. Schließlich seufzte Khadgar: „Komm. Lass uns Turalyon und die anderen suchen. Wir müssen unsere Pläne fertigstellen. Weil... du weißt schon.“