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Sie verbrachten die ganze Nacht mit ihren Liebesspielen, und am Morgen bat Sorel Noelle, zu ihm zu ziehen.

Noelle lebte mit Philippe Sorel ein halbes Jahr zusammen. Sie war weder glücklich noch unglücklich. Sie wusste, dass ihre Anwesenheit Sorel ekstatisch glücklich machte, aber dies spielte bei Noelle nicht die geringste Rolle. Sie betrachtete sich lediglich als Studentin, die entschlossen war, jeden Tag etwas Neues zu lernen. Er war eine Schule, auf die sie ging, ein Teilchen nur in ihrem großen Plan. Für Noelle lag nichts Persönliches in ihrer Verbindung, denn sie gab nichts von sich selbst. Diesen Fehler hatte sie zweimal gemacht, und sie würde ihn nie wieder begehen. In Noelles Gedanken war Raum nur für einen Mann, und das war Larry Douglas. Wenn Noelle an der Place des Victoires oder an einem Park oder einem Restaurant vorbeikam, wohin Larry sie geführt hatte, spürte sie, wie der Hass in ihr wieder aufstieg, und sie würgte, dass sie kaum atmen konnte. Und da war noch etwas, das sich in diesen Hass schlich, etwas, das Noelle nicht definieren konnte.

Zwei Monate nachdem Noelle zu Sorel gezogen war, bekam sie einen Anruf von Christian Barbet.

»Ich habe wieder einen Bericht für Sie«, sagte der kleine Detektiv.

»Geht es ihm gut?« fragte Noelle schnell.

Wieder hatte Barbet jenes unbehagliche Gefühl. »Ja«, sagte er.

Noelles Stimme klang erleichtert. »Ich komme gleich.«

Der Bericht bestand aus zwei Teilen. Der erste betraf Larry Douglas' militärische Laufbahn. Er hatte fünf deutsche Maschinen abgeschossen und war das erste amerikanische Flieger-As im Krieg. Er war zum Hauptmann befördert worden. Der zweite Teil des Berichtes interessierte sie mehr. Larry war in der Londoner Kriegsgesellschaft sehr beliebt geworden und hatte sich mit der Tochter eines britischen Admirals verlobt. Diesen Angaben folgte eine Liste von Mädchen, mit denen Larry schlief, von Show-Girls bis zur Frau eines Unterstaatssekretärs im Ministerium.

»Soll ich weitermachen?« fragte Barbet.

»Natürlich«, antwortete Noelle. Sie nahm einen Umschlag aus ihrer Handtasche und reichte ihn Barbet. »Rufen Sie mich an, wenn Sie weitere Nachrichten haben.«

Und draußen war sie.

Barbet blickte seufzend zur Decke: »Folie«, sagte er nachdenklich. »Folie.«

Wenn Philippe Sorel eine Ahnung gehabt hätte, was sich im Kopf Noelles abspielte, wäre er sehr erstaunt gewesen. Noelle schien ihm völlig ergeben. Sie tat alles für ihn: kochte wunderbar, kaufte ein, überwachte die Putzfrau in seiner Wohnung und war zur Umarmung bereit, wann immer ihm der Sinn danach stand. Und erbat nichts. Sorel beglückwünschte sich, eine so vollkommene Geliebte gefunden zu haben. Er nahm sie überallhin mit, und sie lernte alle seine Freunde kennen. Sie waren von ihr entzückt und meinten, Sorel sei ein Glückspilz.

Eines Abends, als sie nach der Vorstellung auswärts soupierten, sagte Noelle zu ihm: »Ich möchte Schauspielerin werden, Philippe.«

Er schüttelte den Kopf. »Weiß Gott, schön genug bist du dazu, aber ich bin mein ganzes Leben bis zum Hintern mit Schauspielerinnen liiert gewesen. Du bist anders, und ich möchte, dass du so bleibst. Ich möchte dich nicht mit anderen teilen.« Er tätschelte ihre Hand. »Geb' ich dir nicht alles, was du brauchst?«

»Doch, Philippe«, erwiderte Noelle.

Als sie an jenem Abend in die Wohnung zurückkehrten, verlangte es Sorel nach einer Umarmung. Danach war er ausgepumpt. Noch nie war Noelle so erregend gewesen, und er beglückwünschte sich, dass alles, was sie brauchte, nur die feste Führung eines Mannes war.

Am darauf folgenden Sonntag war Noelles Geburtstag, und Philippe Sorel gab ein Bankett im Maxim für sie. Er hatte sich den mit rotem Plüsch und tiefdunkler Täfelung ausgestatteten großen privaten Speisesaal im ersten Stock reservieren lassen. Noelle hatte bei der Aufstellung der Gästeliste geholfen und einen Namen ohne Wissen Philippes hinzugefügt. Es waren vierzig Personen auf der Gesellschaft. Nach dem Essen erhob sich Sorel. Er hatte eine ganze Menge Cognac und Champagner getrunken und stand ein bisschen unsicher auf den Beinen, auch seine Worte kamen etwas undeutlich heraus.

»Meine Freunde«, sagte er, »wir haben alle auf das schönste Mädchen der Welt getrunken und haben ihr schöne Geburtstagsgeschenke gegeben, aber ich habe ein Geschenk für sie, das eine große Überraschung sein wird.« Sorel sah auf Noelle hinunter und strahlte. Dann wandte er sich wieder an seine Gäste: »Noelle und ich werden heiraten.«

Beifälliger Jubel erhob sich, und die Gäste umdrängten Sorel, um ihm auf den Rücken zu klopfen und der Braut Glück zu wünschen. Noelle lächelte zu den Gästen auf und murmelte ihren Dank. Ein Gast war nicht aufgestanden. Er saß an einem Tisch am anderen Ende des Raumes, rauchte eine Zigarette in einem langen Halter und betrachtete spöttisch die Szene. Noelle war sich bewusst, dass er sie während des Essens beobachtet hatte. Er war ein großer, sehr magerer Mann mit einem gespannten, grüblerischen Gesicht. Ihn schien alles, was um ihn vorging, zu belustigen, mehr als Beobachter denn als Gast.

Ihre Blicke kreuzten sich, und Noelle lächelte.

Armand Gautier war einer der ersten Regisseure Frankreichs. Er leitete das französische Repertoire-Theater, und seine Inszenierungen waren in der ganzen Welt mit Beifall aufgenommen worden.

Wenn Gautier ein Stück oder einen Film inszenierte, war dies eine beinahe sichere Erfolgsgarantie. Er stand in dem Ruf, besonders gut mit Schauspielerinnen umgehen zu können, und hatte ein halbes Dutzend bedeutende Stars kreiert.

Sorel stand neben Noelle, redete mit ihr. »Warst du überrascht, mein Liebling?« fragte er.

»Ja, Philippe«, sagte sie.

»Ich möchte, dass wir sofort heiraten. Die Hochzeit wird in meiner Villa stattfinden.«

Über seine Schulter hinweg konnte Noelle Armand Gautier sehen, der sie beobachtete, sein rätselhaftes Lächeln auf den Lippen. Dann kamen einige Freunde und zogen Philippe mit sich fort, und als Noelle sich umwandte, stand Gautier da.

»Gratuliere«, sagte er, und in seiner Stimme lag ein spöttischer Unterton. »Sie haben sich einen großen Fisch geangelt.«

»Meinen Sie?«

»Philippe Sorel ist ein großartiger Fang.«

»Für irgendeine vielleicht«, sagte Noelle gleichgültig.

Gautier sah sie erstaunt an. »Wollen Sie behaupten, Sie hätten kein Interesse daran?«

»Ich will gar nichts behaupten.«

»Viel Glück.« Er wandte sich zum Gehen.

»Monsieur Gautier ...«

Er blieb stehen.

»Könnte ich Sie heute Abend noch sehen?« fragte Noelle ruhig. »Ich möchte gerne allein mit Ihnen sprechen.«

Armand Gautier sah sie einen Augenblick an und zuckte dann die Schultern. »Wenn Sie wünschen.«

»Ich werde zu Ihnen kommen. Ist Ihnen das recht?«

»Ja, natürlich. Die Adresse ist«

»Ich kenne die Adresse. Zwölf Uhr?«

»Zwölf Uhr.«

Armand Gautier wohnte in einem eleganten alten Appartement-Haus in der Rue Marbeuf. Ein Pförtner begleitete Noelle in die Halle, und ein Liftboy brachte sie in den vierten Stock und zeigte ihr Gautiers Appartement. Noelle läutete. Einige Augenblicke später wurde die Tür von Gautier geöffnet. Er trug einen geblümten Dressinggown.

»Kommen Sie herein«, sagte er.

Noelle trat in die Wohnung. Ihr Auge war ungeübt, aber sie fühlte, dass sie mit bestem Geschmack eingerichtet war und dass die Kunstgegenstände wertvoll waren.

»Entschuldigen Sie, dass ich nicht angezogen bin«, sagte Gautier. »Aber ich habe telefoniert.«

Noelle hielt seinen Blick fest. »Sie brauchen nicht angezogen zu sein.« Sie ging zur Couch hinüber und setzte sich.

Gautier lächelte. »Das Gefühl hatte ich auch, Mademoiselle Page. Aber etwas möchte ich doch gerne wissen. Warum ausgerechnet ich? Sie sind mit einem berühmten und reichen Mann verlobt. Ich bin sicher, wenn Sie außerplanmäßige Aktivitäten suchen, könnten Sie attraktivere und bestimmt reichere und jüngere Männer finden. Was wollen Sie von mir?«