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»Ich habe sie auswendig gelernt«, entgegnete Noelle.

Er starrte sie ungläubig an. Es war unmöglich dass sie die gesamte Rolle in nur drei Tagen gelernt haben konnte.

»Bist du bereit, mich anzuhören?« fragte sie.

Armand Gautier blieb keine andere Wahl. »Natürlich«, sagte er. Er deutete auf die Mitte des Zimmers. »Das ist deine Bühne. Das Publikum ist hier.« Er setzte sich auf eine große bequeme Polsterbank.

Noelle begann. Gautier fühlte, dass er eine Gänsehaut bekam, sein ihm eigenes Symptom, wenn er auf wirkliche Begabung stieß. Natürlich war Noelle nicht erfahren. Weit davon entfernt. Ihre Unerfahrenheit schimmerte durch jede Bewegung und Geste. Aber sie hatte etwas, was viel mehr war als bloße Sachkenntnis: Sie hatte eine seltene Ehrlichkeit, ein natürliches Talent, die jeder Zeile neue Bedeutung und neue Farbe gaben.

Als Noelle den Monolog beendete, sagte Gautier herzlich: »Ich glaube, eines Tages wirst du eine bedeutende Schauspielerin werden, Noelle. Im Ernst. Ich werde dich zu Georges Faber, dem besten Schauspiellehrer in ganz Frankreich, schicken. Wenn du mit ihm arbeitest«

»Nein.«

Er sah sie erstaunt an. Es war wieder dasselbe sanfte »Nein«. Bestimmt und endgültig.

»Was soll das heißen?« fragte Gautier einigermaßen verwirrt. »Faber nimmt nur die größten Schauspieler an. Er wird dich nur nehmen, weil ich es ihm sage.«

»Ich werde mit dir arbeiten«, sagte Noelle.

Gautier spürte, wie Zorn in ihm aufstieg. »Ich gebe niemandem Unterricht«, fuhr er sie an. »Ich bin kein Lehrer. Ich bin Regisseur von Berufsschauspielern. Wenn du mal eine Berufsschauspielerin bist, wirst du unter meiner Regie spielen.« Er bemühte sich, den Zorn in seiner Stimme zu unterdrücken. »Verstehst du mich?«

Noelle nickte. »Ja, ich verstehe, Armand.«

»Also gut.«

Beschwichtigt schloss er Noelle in die Arme und erhielt einen herzlichen Kuss von ihr. Jetzt wusste er, dass er sich unnötig Sorgen gemacht hatte. Sie war wie alle anderen Frauen, sie brauchte eine starke Hand. Er würde kein Problem mehr mit ihr haben.

Ihre Umarmungen in jener Nacht übertrafen alles bisher dagewesenen, möglicherweise, dachte Gautier, wegen der zusätzlichen Aufregung durch den leichten Streit, den sie gehabt hatten.

In der Nacht hatte er zu ihr gesagt: »Du kannst wirklich eine wunderbare Schauspielerin werden. Ich werde sehr stolz auf dich sein.«

»Danke, Armand«, flüsterte sie.

Am nächsten Morgen machte Noelle das Frühstück, und Gautier ging dann ins Theater. Als er Noelle im Laufe des Tages anrief, meldete sie sich nicht, und als er abends nach Hause kam, war sie nicht da. Gautier wartete auf sie, und als sie nicht erschien, lag er die ganze Nacht wach und machte sich Sorgen, ob sie vielleicht einen Unfall gehabt hatte. Er rief Noelle in ihrer Wohnung an, aber auch hier meldete sich niemand. Er schickte ein Telegramm, das als unzustellbar zurückkam, und als er nach den Proben bei ihr vorbeifuhr, läutete er vergebens.

In der folgenden Woche war Gautier rasend. Die Proben wurden zu Schlachtfeldern. Er schrie alle Schauspieler an und brachte sie derart außer Fassung, dass der Intendant vorschlug, die Probe abzubrechen, und Gautier willigte ein. Nachdem die Schauspieler gegangen waren, saß er allein auf der Bühne und versuchte zu ergründen, was ihm geschehen war. Er sagte sich, Noelle sei bloß eine von vielen Frauen, eine minderwertige, ehrgeizige Blondine mit dem Herzen eines Ladenmädchens, das ein Star werden wollte. Er verunglimpfte sie in jeder erdenklichen Weise, aber am Ende wusste er, dass es keinen Zweck hatte. Er musste sie haben. In jener Nacht wanderte er durch die Straßen von Paris, betrank sich in kleinen Bars, wo man ihn nicht kannte. Er versuchte, sich Möglichkeiten auszudenken, Noelle zu erreichen, aber es war nutzlos. Es gab niemanden, mit dem er auch nur über sie reden konnte, außer Philippe Sorel, und das kam natürlich nicht in Frage.

Eine Woche nach Noelles Verschwinden kam Armand Gautier um vier Uhr morgens betrunken nach Hause, öffnete die Tür und ging ins Wohnzimmer. Alle Lichter waren an. Noelle saß in einen Sessel gekuschelt da, in einen seiner Hausmäntel gekleidet, und las ein Buch. Als er eintrat, blickte sie auf und lächelte.

»Hallo, Armand.«

Gautier starrte sie an, sein Herz hüpfte, ein Gefühl unendlicher Erleichterung und des Glücks durchflutete ihn. Er sagte: »Morgen beginnen wir mit der Arbeit.«

Catherine

Washington 1940

Washington, D. C., war die erregendste Stadt, die Catherine Alexander je gesehen hatte. Immer hatte sie Chicago für den Kern gehalten, aber Washington war eine Offenbarung. Hier war das Herz Amerikas, das pulsierende Zentrum der Macht. Zuerst war Catherine von der Vielzahl der Uniformen auf den Straßen verwirrt: Armee, Marine-Luftwaffe, Marineinfanteriekorps. Zum ersten Mal fühlte Catherine die grimmige Möglichkeit eines Krieges als Realität.

In Washington war die unmittelbare Nähe des Krieges überall zu spüren. Es war die Stadt, in der der Krieg, wenn er ausbräche, beginnen würde. Hier würde er erklärt, mobilisiert und geführt werden. Es war die Stadt, die das Schicksal der Welt in der Hand hielt. Und sie, Catherine Alexander, würde ein Teil davon sein.

Sie war zu Susie Roberts gezogen, die in einem hellen und lustigen Apartment im vierten Stock mit einem ziemlich geräumigen Wohnzimmer, zwei anschließenden kleinen Schlafzimmern, einem winzigen Bad und einer Kochnische wohnte. Susie hatte sich offenbar gefreut, sie zu sehen. Ihre ersten Worte waren:

»Beeil dich, pack deine Sachen aus und dämpfe dein bestes Kleid auf. Du hast eine Dinner-Verabredung heute Abend.«

Catherine blinzelte. »Was ist in dich gefahren?«

»Cathy, in Washington sind es die Mädchen, die die schwarzen Verabredungsbüchelchen führen. Diese Stadt wimmelt von einsamen Männern, es ist ein Jammer.«

An jenem ersten Abend aßen sie im Willard Hotel. Susies Partner war ein Kongressmann aus Indiana, und Catherines Partner war ein Lobbyist aus Oregon, und beide Männer waren ohne ihre Frauen in der Stadt. Nach dem Dinner gingen sie in den Washington Country Club tanzen. Catherine hatte gehofft, der Lobbyist könnte ihr vielleicht zu einem Job verhelfen. Statt dessen wurden ihr ein Wagen und ein eigenes Apartment angeboten, was sie dankend ablehnte.

Susie nahm ihren Kongressmann in die Wohnung mit, und Catherine ging zu Bett. Kurze Zeit später hörte sie sie in Susies Schlafzimmer gehen, und die Sprungfedermatratze begann zu quietschen. Catherine stülpte sich das Kopfkissen über den Kopf, um das Geräusch zu ersticken, aber es war unmöglich. Sie stellte sich Susie mit ihrem Partner in wilden, leidenschaftlichen Umarmungen vor. Als Catherine am anderen Morgen zum Frühstück aufstand, war Susie schon auf, sah blendend und fröhlich aus und machte sich fertig, zur Arbeit zu fahren. Catherine forschte nach verräterischen Fältchen und anderen Anzeichen von Ausschweifung bei Susie, aber da war nichts. Sie sah im Gegenteil strahlend aus, ihr Teint war absolut einwandfrei. Mein Gott, dachte Catherine, sie ist ein weiblicher Dorian Gray. Eines Tages kommt sie herein, sieht großartig ans, und ich sehe wie hundertundzehn aus.

Ein paar Tage später sagte Susie beim Frühstück: »He, ich hörte von einer frei werdenden Stelle, das könnte dich vielleicht interessieren. Eines der Mädchen auf der Party gestern Abend sagte, sie gebe ihre Stellung auf und kehre nach Texas zurück. Gott allein weiß, weshalb jemand, der Texas entwischt ist, wieder dahin zurückgehen möchte. Ich entsinne mich, vor ein paar Jahren war ich in Amarillo und ...«

»Wo arbeitet sie?« unterbrach Catherine.

»Wer?«

»Das Mädchen«, sagte Catherine geduldig.

»Ach so. Sie arbeitet bei Bill Fräser. Er hat die Public Relati-ons im State Department unter sich. Newsweek hat letzten Monat einen Artikel über ihn gebracht. Es soll eine ruhige runde Sache sein. Ich hörte erst gestern Abend davon, wenn du also gleich hingehst, müsstest du eigentlich allen anderen Mädchen zuvorkommen.«