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Am folgenden Tag erhielt Catherine einen wunderschönen Vogel aus Porzellan.

Danach traf Catherine noch zweimal mit Constantin Demiris zusammen, das eine Mal, als sie mit Larry ein Rennen besuchte, das andere Mal bei einer Weihnachtsparty, die Demiris in seiner Villa gab. Beide Male bemühte er sich sehr, Catherine gegenüber charmant zu sein. Alles in allem, fand Catherine, war Constantin Demiris eine sehr bemerkenswerte Persönlichkeit.

Im August begannen die Festspiele in Athen. Zwei Monate lang bot die Stadt Schauspiele, Ballette, Opern, Konzerte – alle fanden im Herodes Atticus, dem antiken Freilichttheater am Fuß der Akropolis, statt. Catherine sah mehrere der Aufführungen mit Larry, und wenn er fort war, ging sie mit Graf Pappas hin. Es war faszinierend, die antiken Stücke in ihrem Originalrahmen von dem Volk dargestellt zu sehen, das sie geschaffen hatte.

Eines Abends, nachdem Catherine und Graf Pappas eine Aufführung von Medea gesehen hatten, sprachen sie über Larry.

»Er ist ein interessanter Mensch«, sagte Graf Pappas. »Poly-mechanos.«

»Was heißt das?«

»Es ist schwer zu übersetzen.« Der Graf überlegte einen Augenblick. »Es bedeutet, >fruchtbar in Einfällen<.«

»Meinen Sie >einfallsreich<?«

»Ja, aber es bedeutet mehr als das. Jemand, der immer gleich eine Idee zur Hand hat, einen neuen Plan.«

»Polymechanos«, wiederholte Catherine. »Das ist mein Mann.«

Über ihnen stand ein schöner, erhabener Mond. Die Nacht war mild und lau. Sie gingen durch die Plaka zum Omonia-Platz. Als sie die Fahrbahn überquerten, kam ein Wagen um die Ecke auf sie zugerast, und der Graf riss Catherine zurück und brachte sie in Sicherheit. »Idiot!« rief er dem davonrasen-den Fahrer nach.

»Hier scheinen alle Leute so zu fahren«, sagte Catherine.

Der Graf lächelte schief. »Wissen Sie, warum? Die Griechen haben den Übergang zum Auto noch nicht geschafft. In Gedanken reiten sie immer noch auf Eseln.«

»Sie scherzen.«

»Bedauerlicherweise nicht. Wenn Sie einen Einblick in die Mentalität der Griechen haben wollen, dann lesen Sie keinen Reiseführer. Lesen Sie die alten griechischen Tragödien. Die Wahrheit ist, dass wir noch in vergangene Jahrhunderte gehören. Emotionell sind wir sehr primitiv. Wir sind von grandiosen Leidenschaften erfüllt, von tiefen Freuden und von großem Leiden, und wir haben nicht gelernt, sie mit dem Lack der Zivilisation zu überdecken.«

»Ich weiß nicht, ob das so schlecht ist«, erwiderte Catherine.

»Vielleicht nicht, aber es verzerrt die Wirklichkeit. Wenn uns Außenstehende betrachten, dann sehen sie nicht, was sie zu sehen glauben. Es ist genauso, wie wenn man einen fernen Stern betrachtet. Man sieht den Stern selbst gar nicht, sondern eine Lichtstrahlung, die vielleicht Millionen Jahre zuvor ausgesandt wurde. Genauso ist es mit uns Griechen. Sie sehen in uns die Ausstrahlung der Vergangenheit.«

Sie hatten den Platz erreicht und kamen jetzt an einer Reihe kleiner Läden vorbei, in deren Fenstern Schilder mit der Aufschrift »Wahrsagen« standen.

»Es gibt hier wohl sehr viele Wahrsager?« fragte Catherine.

»Wir sind ein höchst abergläubisches Volk.«

Catherine schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, ich glaube nicht daran.«

Sie kamen zu einer kleinen Taverne. Auf einem handgemalten Schild im Fenster stand: »MADAME PIRIS, WAHRSAGERIN«.

»Glauben Sie an Hexen?« fragte Graf Pappas.

Catherine blickte ihn an, um zu sehen, ob er scherze. »Nur zu Walpurgis.«

»Mit Hexe meine ich nicht Besenstiele und schwarze Katzen und brodelnde Kessel.«

»Sondern?«

Er deutete mit dem Kopf auf das Schild. »Madame Piris ist eine Hexe. Sie kann in der Vergangenheit und in der Zukunft lesen.«

Er sah die Skepsis auf Catherines Gesicht. »Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen«, sagte Graf Pappas. »Vor vielen Jahren war ein Mann namens Sophocles Vassily Polizeichef von Athen. Er war ein Freund von mir, und ich hatte meinen Einfluss benutzt, um ihm zu diesem Amt zu verhelfen. Vassily war ein sehr ehrenhafter Mann. Es gab Leute, die ihn korrumpieren wollten, und da er sich nicht korrumpieren ließ, beschlossen sie, ihn zu beseitigen.« Er fasste Catherine am

Arm, und sie überquerten die Straße zum Park hinüber.

»Eines Tages kam Vassily zu mir und sagte mir, man trachte ihm nach dem Leben. Er war ein sehr mutiger Mann, aber da die Bedrohung von einem mächtigen und rücksichtslosen Bandenchef kam, beunruhigte sie ihn. Detektive wurden mit der Beobachtung des Bandenchefs beauftragt, aber Vassily hatte trotzdem die dunkle Vorahnung, dass er nicht mehr lange leben würde. Er kam also zu mir.«

Catherine hörte fasziniert zu. »Was haben Sie getan?« fragte sie.

»Ich habe ihm geraten, Madame Piris aufzusuchen.« Er schwieg, seine Gedanken wanderten rastlos in einem dunklen Bereich der Vergangenheit.

»Ging er zu ihr?« fragte Catherine schließlich.

»Wie bitte? Ah, ja. Sie sagte Vassily, dass der Tod ihn unerwartet und schnell treffen werde, und warnte ihn vor Löwen zur Mittagszeit. Es gibt in Griechenland keine Löwen, außer ein paar alten zahnlosen im Zoo und den steinernen, die Sie auf Delos gesehen haben.«

Catherine nahm die Spannung in Pappas' Stimme wahr, während er weiter sprach.

»Vassily ging in den Zoo, um persönlich die Käfige zu überprüfen und um sich zu vergewissern, dass die Löwen sicher eingesperrt waren, und ließ Nachforschungen nach allen wilden Tieren anstellen, die in letzter Zeit nach Athen gebracht worden waren. Es gab keine.

Eine Woche verging, nichts geschah, und Vassily kam zu der Ansicht, dass die alte Hexe sich geirrt habe und er ein abergläubischer Narr sei, weil er auf sie gehört hatte. Am Sonnabend morgen ging ich zum Polizeipräsidium, um ihn abzuholen. Es war der vierte Geburtstag seines Sohnes, und wir wollten zur Feier des Tages eine Bootsfahrt nach Kyron unternehmen.

Ich fuhr vor dem Präsidium vor, gerade als die Glocke vom

Rathaus zwölf schlug. Als ich den Eingang erreichte, ereignete sich im Innern des Gebäudes eine ungeheure Explosion. Ich rannte zu Vassilys Dienstzimmer.« Seine Stimme klang hoch und gezwungen. »Von dem Büro war nichts übrig geblieben – und auch von Vassily nicht.«

»Wie entsetzlich«, murmelte Catherine.

Sie gingen eine Weile schweigend weiter. »Aber die Hexe hatte sich getäuscht, nicht wahr?« fragte Catherine. »Er kam nicht durch einen Löwen um?«

»Das ist es ja gerade. Die Polizei rekonstruierte, was geschehen war. Wie gesagt, es war der vierte Geburtstag des Jungen. Vassilys Schreibtisch war von Geschenken überhäuft, die er seinem Sohn mitbringen wollte. Jemand hatte noch ein Geburtstagsgeschenk gebracht. Es war ein Spielzeug, das er auf Vassilys Schreibtisch gelegt hatte.«

Catherine spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. »Einen Spielzeuglöwen.«

Graf Pappas nickte. »Ja. >Hüten Sie sich vor Löwen zur Mittagszeit^«

Catherine schauderte. »Mich überläuft es kalt.«

Er blickte verständnisvoll auf sie hinab. »Madame Piris ist keine Wahrsagerin, zu der man zum Spaß gehen sollte.«

Sie hatten den Park durchquert und die Piräus-Straße erreicht. Ein freies Taxi kam vorbei. Der Graf winkte es heran, und zehn Minuten später war Catherine wieder in ihrer Wohnung.

Während sie sich auszog, erzählte sie Larry die Geschichte, und dabei überkamen sie wieder kalte Schauder. Larry drückte sie fest an sich und umarmte sie, aber es dauerte lange, bis Catherine einschlafen konnte.

Noelle und Catherine

Athen 1946

Wäre Noelle Page nicht gewesen, hätte Larry Douglas keine Sorgen gehabt. Er war da, wo er sein wollte, tat das, was er tun wollte. Ihm gefielen seine Aufgabe, die Menschen, mit denen er zusammenkam, und der Mann, für den er arbeitete. Sein Privatleben war in gleicher Weise befriedigend. Wenn er nicht flog, verbrachte er einen großen Teil seiner Zeit mit Catherine. Da Larrys Arbeitszeit aber so wechselhaft war, wusste Catherine nicht immer, wo er sich gerade aufhielt, und Larry fand zahllose Gelegenheiten, seine eigenen Wege zu gehen. Mit Graf Pappas und Paul Metaxas, seinem Kopiloten, besuchte er Parties, von denen sich zahlreiche zu Orgien auswuchsen. Griechische Frauen sind leidenschaftlich und feurig. Er hatte eine neue Bekanntschaft gemacht, Helena, eine Stewardess, die bei Demiris angestellt war, und als sie fern von Athen einen Zwischenaufenthalt hatten, teilten sie und Larry das Hotelzimmer. Ja, Larry Douglas war der Überzeugung, dass sein Leben im großen ganzen perfekt sei.