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»Es ist erst elf Uhr vormittags.«

Sie nickte. »Du hast recht. Du hast völlig recht, Bill. Es ist zu früh für einen Drink, und um die Wahrheit zu gestehen, ich würde nicht daran denken, wenn ich nicht feiern wollte, dass du hergekommen bist. Du bist der einzige in der ganzen Welt, der mich um elf Uhr vormittags zu einem Drink veranlassen könnte.«

Fräser sah bedrückt zu, wie Catherine zum Getränkeschrank schwankte und für sich einen großen und für ihn einen kleineren Drink einschenkte.

»Magst du griechischen Kognak?« fragte sie, während sie ihm sein Glas brachte. »Früher habe ich ihn verabscheut, aber man gewöhnt sich daran.«

Fräser nahm sein Glas und stellte es ab. »Wo ist Larry?« fragte er ruhig.

»Larry? Oh, der gute alte Larry fliegt irgendwo in der Gegend herum. Er arbeitet für den reichsten Mann der Welt. Demiris gehört alles, sogar Larry.«

Er sah sie prüfend an. »Weiß Larry, dass du trinkst?«

Catherine stellte heftig ihr Glas hin und blieb schwankend vor ihm stehen. »Was meinst du damit, ob Larry weiß, dass ich trinke?« entgegnete sie empört. »Wer sagt, dass ich trinke? Nur weil ich das Wiedersehen mit einem alten Freund feiern will, brauchst du noch nicht über mich herzufallen.«

»Catherine«, begann er, »ich bin ...«

»Glaubst du, du kannst hier hereinkommen und mich beschuldigen, ein Trunkenbold zu sein?«

»Es tut mir leid, Catherine«, sagte Fräser bedrückt. »Ich glaube, du brauchst Hilfe.«

»Da irrst du dich aber«, entgegnete sie schroff. »Ich brauche keine Hilfe. Und weißt du, warum? Weil ich – weil ich, weil ich selbst ...« Sie suchte nach einem Wort und gab es schließlich auf. »Ich brauche keine Hilfe.«

Fräser blickte sie an. »Ich muss jetzt zu einer Besprechung«, sagte er. »Willst du mit mir zu Abend essen?«

»Ja.« Sie nickte.

»Gut, ich hole dich um acht Uhr ab.«

Catherine sah Bill Fräser nach, als er ging. Dann ging sie langsam ins Schlafzimmer, öffnete die Tür zum Kleiderschrank und starrte in den Spiegel an der Rückseite der Tür. Sie stand starr da, war unfähig zu glauben, was sie vor sich sah, überzeugt, dass der Spiegel ihr einen furchtbaren Streich spielte. Innerlich war sie noch das hübsche kleine, von ihrem Vater angebetete Mädchen, noch das junge College-Girl, das mit Ron Peterson in einem Motelzimmer stand und ihn sagen hörte: »Mein Gott, Cathy, du bist das verdammt Schönste, das ich je zu Gesicht bekommen habe.« Und Bill Fräser hielt sie in seinen Armen und sagte: »Du bist so schön, Catherine.« Und Larry sagte: »Bleibe so schön, Cathy, du bist überwältigend.« Und sie blickte in den Spiegel und krächzte laut: »Wer ist das?«, und die elende, formlose Frau im Spiegel begann zu weinen, hoffnungslose, leere Tränen, die ihr über das verkommene, aufgequollene Gesicht liefen. Stunden später klingelte es an der Tür. Sie hörte Bill Fräsers Stimme rufen: »Catherine, Catherine, bist du da?«, und dann klingelte es wieder, und schließlich verstummte die Stimme, und das Klingeln hörte auf, und Catherine war allein mit der Fremden im Spiegel.

Um neun Uhr am folgenden Morgen nahm Catherine ein Taxi zur Patission-Straße. Der Arzt hieß Nikodes und war ein großer stämmiger Mann mit einer weißen zottigen Mähne, einem klugen Gesicht mit freundlichen Augen und gelassenem, zwanglosem Benehmen.

Eine Schwester führte Catherine in sein Sprechzimmer, und Dr. Nikodes deutete auf einen Stuhl. »Setzen Sie sich, Mrs. Douglas.«

Catherine setzte sich, nervös und angespannt, und versuchte, das Zittern ihres Körpers zu unterdrücken.

»Und was ist Ihr Problem?«

Sie setzte zur Antwort an und brach dann hilflos ab. Mein Gott, dachte sie, wie soll ich anfangen? »Ich brauche Hilfe«, brachte sie schließlich heraus. Ihre Stimme klang trocken und krächzend, und sie gierte nach einem Drink.

Der Arzt lehnte sich in seinem Sessel zurück und betrachtete sie. »Wie alt sind Sie?«

»Achtundzwanzig.« Sie beobachtete sein Gesicht, als sie sprach. Er versuchte, seinen Schock zu verbergen, aber sie durchschaute ihn und war auf eine perverse Weise erfreut.

»Sie sind Amerikanerin?«

»Ja.«

»Sie leben in Athen?«

Sie nickte.

»Wie lange leben Sie schon hier?«

»Tausend Jahre. Wir sind vor dem Peloponnesischen Krieg hierher gezogen.«

Der Doktor lächelte. »Dieses Gefühl habe ich manchmal auch.« Er bot Catherine eine Zigarette an. Sie griff danach und versuchte, das Zittern ihrer Hände zu verbergen. Falls Dr. Nikodes es bemerkte, sagte er nichts. Er gab ihr Feuer. »Welche Art Hilfe brauchen Sie denn, Mrs. Douglas?«

Catherine sah ihn hilflos an. »Ich weiß nicht«, flüsterte sie. »Ich weiß es nicht.«

»Fühlen Sie sich krank?«

»Ich bin krank. Ich muss sehr krank sein. Ich bin hässlich geworden.« Sie wusste, dass sie nicht weinte, und doch fühlte sie, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen.

»Trinken Sie, Mrs. Douglas?« fragte der Doktor freundlich.

Catherine starrte ihn voller Panik an, fühlte sich in die Ecke gedrängt, angegriffen. »Manchmal.«

»Wie viel?«

Sie holte tief Atem. »Nicht viel. Es – es kommt darauf an.«

»Haben Sie heute schon etwas getrunken?« fragte er.

»Nein.«

Er saß da und betrachtete sie prüfend. »Sie sind in Wirklichkeit gar nicht hässlich«, sagte er sanft. »Sie haben Übergewicht, Ihr Körper ist aufgeschwemmt, und Sie haben Ihre Haut und Ihr Haar nicht gepflegt. Unter dieser Oberfläche befindet sich aber eine sehr attraktive junge Frau.«

Sie brach in Tränen aus, und er saß dabei und ließ sie sich ausweinen. Schwach vernahm Catherine durch ihr Schluchzen, dass der Summer auf dem Schreibtisch des Arztes mehrmals ertönte, aber der Doktor ignorierte ihn. Das krampfhafte Schluchzen ließ schließlich nach. Catherine zog ihr Taschentuch heraus und putzte sich die Nase. »Es tut mir leid«, entschuldigte sie sich. »Können Sie mir helfen?«

»Das hängt völlig von Ihnen ab«, erwiderte Dr. Nikodes. »Wir wissen ja nicht genau, worin Ihr Problem besteht.«

»Sehen Sie mich doch an«, hielt Catherine ihm entgegen.

Er schüttelte den Kopf. »Das ist kein Problem, Mrs. Douglas, das ist ein Symptom. Entschuldigen Sie meine Offenheit, aber wenn ich Ihnen helfen soll, müssen wir vollkommen offen miteinander sein. Wenn eine attraktive junge Frau sich so gehen lässt wie Sie, muss es einen sehr triftigen Grund dafür geben. Lebt Ihr Mann noch?«

»An Feiertagen und Wochenenden.«

Er musterte sie. »Leben Sie mit ihm zusammen?«

»Wenn er zu Hause ist.«

»Was ist er von Beruf?«

»Er ist Constantin Demiris' Privatpilot.« Sie bemerkte die Reaktion auf dem Gesicht des Arztes, aber ob er auf den Namen Demiris reagierte oder ob er von Larry etwas wusste, konnte sie nicht sagen. »Haben Sie schon mal von meinem Mann gehört?« fragte sie.

»Nein.« Aber das konnte gelogen sein. »Lieben Sie Ihren Mann, Mrs. Douglas?«

Catherine öffnete den Mund, um zu antworten, hielt aber inne. Sie wusste, dass das, was sie sagen würde, sehr wichtig war, nicht nur für den Arzt, sondern auch für sie selbst. Ja, sie liebte ihren Mann, und ja, sie hasste ihn, und ja, manchmal hatte sie eine solche Wut auf ihn, dass sie wusste, sie wäre fähig ihn zu töten, und ja, manchmal war sie von Zärtlichkeit für ihn so überwältigt, dass sie wusste, sie würde gern für ihn sterben, und wie lautete das Wort, das das alles ausdrücken konnte? Vielleicht war es Liebe. »Ja«, sagte sie.

»Liebt er Sie?«

Catherine dachte an die anderen Frauen in Larrys Leben und an seine Untreue, und sie dachte an die schreckliche Fremde im Spiegel in der vergangenen Nacht, und sie konnte Larry keinen Vorwurf machen, dass er sie nicht begehrte. Aber wer wollte sagen, was an erster Stelle stand? Hatte die Frau im Spiegel seine Untreue herbeigeführt, oder war die Frau im Spiegel die Folge seiner Untreue? Sie bemerkte, dass ihre Wangen wieder nass von Tränen waren.