Dann hörte ich Papier rascheln. Major Lampret zitierte offenbar aus einem Dokument:
»›Der Gefreite Commongold wurde an mehreren aufeinanderfolgenden Sonntagen dabei beobachtet, auf dem Exerzierplatz hinter dem Versammlungszelt zu Soldaten gesprochen zu haben. Bei diesen Gelegenheiten redete er ungehemmt und in nicht geziemender Weise über die Heilige Schrift und andere Dinge, die in den Zuständigkeitsbereich des Dominions fallen.‹ Ist das korrekt?«
JULIAN (weniger laut, fraglos überrascht durch den schriftlich festgehaltenen Tatbestand): »Mehr oder weniger ja; bis auf …«
LAMPRET: »Haben Sie beispielsweise versucht, diesen Männern einzureden, es gebe keinen Beweis für einen göttlichen Schöpfungsakt, und der Garten Eden sei ein mythischer Ort?«
JULIAN (nach längerer Pause): »Vielleicht habe ich den Schöpfungsbericht mit anderen Mythologien verglichen …«
LAMPRET (wieder ablesend): »›Der Gefreite Commongold behauptete weiterhin, die Vertreibung des ersten Mannes und der ersten Frau aus dem Garten Eden könne auch auf unkonventionelle Weise verstanden werden. Er bekannte sich zu der Ansicht, der Hauptvorzug von Eden sei die relative Abwesenheit Gottes gewesen, der das erste Menschenpaar nach seinem Ebenbild erschaffen habe, um es dann ungestört seinem unschuldigen Treiben zu überlassen. Der Gefreite Commongold unterstellte auch, der Baum der Erkenntnis und seine verbotenen Früchte seien ein übler Scherz der Schlange gewesen, die den Garten ganz für sich alleine haben wollte; und Adam und Eva seien wahrscheinlich durch eine List daraus vertrieben worden, als Gott nicht hingeschaut habe, denn Gott, so der Gefreite, sei eine unverbesserlich unaufmerksame Gottheit, nach den Sünden und Gräueln zu urteilen, die sie ungestraft lasse.‹«
JULIAN (mit noch leiserer Stimme, da er inzwischen begriffen haben musste, dass Lampret einen Informanten in der Truppe hatte und dass es womöglich nicht bei einer Rüge bleiben würde): »Das war doch nur Spaß, Major Lampret. Wirklich nichts weiter als ein kurzweiliges Paradox.«
LAMPRET: »Kurzweilig für wen?« (Räuspern) »›Der Gefreite Commongold ließ ferner durchblicken, das Dominion, wiewohl es behaupte mit der Autorität der Heiligen Schrift zu sprechen, rede eher mit der Zunge der Schlange und säe ohne Not Furcht und Scham, wo vorher keine gewesen seien.‹ Haben Sie das tatsächlich gesagt?«
JULIAN: »Vermutlich ja … oder etwas, das man dafür gehalten hat.«
LAMPRET: »Der Bericht ist lang und eingehend. Er zitiert Apostasien, zu grotesk und zu zahlreich, um sie vorzulesen, gekrönt von Ihrer enthusiastischen Billigung der Alten und Ihrem diskreditierten Bekenntnis zur Evolutionstheorie. Muss ich noch mehr sagen?«
JULIAN: »Nein, natürlich nicht.«
LAMPRET: »Haben Sie auch nur den leisesten Zweifel, dass Ihre Auslassungen eine erhebliche Verletzung nicht nur des Anstands, sondern auch der klar verfassten Verhaltensregeln für Soldaten sind?«
JULIAN: »Keinen Zweifel, Sir.«
LAMPRET: »Sehen Sie ein, dass es eine fundamentale Aufgabe des Dominion of Jesus Christ ist, zu verhindern, dass gefährliche oder falsche religiöse Vorstellungen unter den Leichtgläubigen in Umlauf gebracht werden?«
JULIAN: »Und ob, Sir.«
LAMPRET (mit urplötzlich heiterem Tonfall): »Es ist nicht meine Aufgabe, Infanteristen grundlos ins Gebet zu nehmen. Ich habe mit Ihren Kommandeuren gesprochen, und alle sagen, Sie seien ein fähiger Soldat und unverzichtbar im Gefecht, soweit Sie sich bewähren durften. Manche meinen sogar, Sie hätten Führungsqualitäten, wenn Ihre Blauäugigkeit und Arroganz erst einmal abzublättern beginnt. Und die Männer scheinen Sie zu mögen — wenn sie Ihre Ideen mit Verachtung strafen würden, hätten wir uns nicht zu unterhalten brauchen, hab ich Recht?«
JULIAN: »Ja, Sir.«
LAMPRET: »Kommen wir zur Sache. Die atheistischen Lektionen müssen aufhören. Haben wir uns verstanden?«
JULIAN: »Sir, ja, Sir.«
LAMPRET: »Sie müssen ganz damit aufhören. Und keine Verunglimpfungen mehr: nicht des Dominion of Jesus Christ on Earth und auch nicht irgendeines anderen ordnungsgemäß verfassten Arms der Regierung. Verstanden?«
JULIAN (kaum hörbar): »Ja.«
LAMPRET: »Ich hoffe, Sie meinen es ernst — im Wiederholungsfall wäre ich nicht mehr so großzügig. Und vergessen Sie nicht, Gefreiter Commongold, es ist nicht Ihre Seele, um die ich mir Sorgen mache. Ich kann nicht Ihre Gedanken kontrollieren — die finden zwischen Ihnen und Ihrem Schöpfer statt. Meinetwegen können Sie sich so viele Ketzereien ausdenken, bis Ihnen der Kopf platzt. Aber ich kann und werde mich zwischen Ihre vulgären Witze und die Integrität der Laurentischen Armee stellen. Ist das klar? Unschuldige Männer dürfen nicht in die Schlacht geschickt werden, solange ihre unsterblichen Seelen auf dem Spiel stehen, nur weil Julian Commongold unbedingt in die Hölle will.«
JULIAN: »Ich verstehe, Sir. Ich denke, wir sehen uns dort.« (Pause) »In der Schlacht natürlich.«
Ich bin oft gefragt worden, ob Julian, als wir uns kennenlernten, Atheist oder Agnostiker gewesen sei.
Ich bin kein Philosoph, geschweige denn ein Theologe, und verstehe den Unterschied nicht. Ich verbinde allerdings gewisse Vorstellungen mit beiden Arten von Ungläubigen: Der Agnostiker ist ein vernünftiger Mensch, der sich höflich weigert, einen Kniefall vor irgendeiner Gottheit oder Ikone zu tun, sofern sie nicht sein volles Vertrauen hat; der Atheist hingegen, obwohl von denselben Prinzipien beseelt, kommt mit dem Vorschlaghammer.
Der Leser mag seine eigenen Schlüsse aus Julians späterer Karriere ziehen und aus den Überzeugungen, die er dort einbrachte. Und was diese biblischen Ketzereien betrifft, so müssen sie Major Lampret neu und alarmierend vorgekommen sein; aber ich hatte sie alle schon einmal gehört — ich war ein alter Kunde und abgestumpft. Julians Geschichten hielt ich gewissermaßen für den Beleg, dass er die Bibel sehr aufmerksam gelesen hatte, auch wenn seine Interpretationen viel zu fantasievoll waren. Ich bin kein engagierter Leser der Heiligen Schrift und halte es mit den vernünftigeren Teilen dieses Buches, also der Bergpredigt zum Beispiel, während ich die verwirrenden Passagen — mit dem siebenköpfigen Ungeheuer, der Hure Babylon oder dergleichen — den Gelehrten überlasse, die Freude an solchen Knobeleien haben. Dagegen las Julian die Bibel, als sei sie eine zeitgenössische Dichtung, die offen war für Kritik und sogar Korrekturen. Einmal, als ich ihn nach dem Zweck seiner ungewöhnlichen Neuinterpretationen fragte, sagte er zu mir: »Ich hätte gerne eine bessere Bibel, Adam. Ich wünsche mir eine Bibel, in der die Früchte vom Baum der Erkenntnis den Samen der Weisheit enthalten und das Leben für die Menschen schöner machen und nicht schlimmer. Ich wünsche mir eine Bibel, in der Isaac vom Opferstein aufspringt und Abraham an die Kehle fährt, um ihn für die elende, blutige Sünde des Gehorsams zu bestrafen. Ich wünsche mir eine Bibel, in der Lazarus stirbt und darauf besteht, dass er tot ist, anstatt jedem dahergelaufenen Messias nach der Pfeife zu tanzen.«
Das war so fürchterlich, dass ich das Thema sofort fallenließ; aber seine Worte warfen ein Licht auf die Beweggründe seiner Ausschweifungen.
Kurz nachdem Julian das Zelt von Major Lampret verlassen hatte, trat ich den Rückzug aus dem Durcheinander an Kisten und Fässern an. Da Julian nicht nach Scheffersville verschifft werden sollte, hatte ich keine Eile, mein Scherflein zu der Auseinandersetzung beizusteuern, die sicher schon im Gange war. Aber Sam sollte erfahren, dass ich seiner Bitte nachgekommen war, und so trödelte ich gemächlich zu unserem Zelt zurück; ich kam an, als sich die beiden noch in den Haaren lagen.