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Sie tat, als höre sie den Applaus nicht, trat mit einem Ausdruck stiller Zufriedenheit ab und kehrte zu ihrem Tisch zurück. Ich verzehrte mich danach, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, stand unversehens auf, als sie vorbeikam, wobei ich fast mein Essen vom Tisch gekippt hätte, und rief mit erstickter Stimme: »Calyxa!«

Ich muss wohl doch zu laut gewesen sein, denn sie zuckte zusammen, und es entstand eine kurze Pause im Lärmpegel, als erwarteten einige Stammgäste Handgreiflichkeiten.

»Muss ich Sie kennen?«, fragte sie, als sie ihre Fassung zurückgewonnen hatte.

»Wir sind uns Ostern begegnet. Ich war in der Kathedrale, wo Sie gesungen haben, bevor uns die deutsche Artillerie einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Erinnern Sie sich? Ich hatte mir den Kopf verletzt.«

»Oh«, sagte sie mit einem leisen Lächeln, woraufhin sich die Wachsamen unter den Gästen wieder entspannten, »der Soldat mit der kleinen Verletzung. Konnten Sie Ihr Regiment finden?«

»Ja sicher — vielen Dank.«

»Keine Ursache«, sagte sie und ging.

Ich hatte natürlich nicht erwartet, dass sie die Unterhaltung ausdehnen oder ihre Freunde meinetwegen versetzen würde. Aber diese Antwort war eine Enttäuschung.

»Die hat dich aber abblitzen lassen«, sagte Lymon Pugh und lachte in sich hinein. »Du verschwendest deine Zeit, Adam. Der Typ Frauen stellt sich nicht von jetzt auf gleich zur Verfügung. Komm mit zum Shade Tree, da hast du mehr Glück.«

»Nein.« Nicht, wenn das Ziel zum Greifen nah war.

»Tja, mach, was du willst. Ich bin verplant.«

Lymon Pugh erhob sich, nicht so sicher wie sonst, fand nach ein paar verstörten Ansätzen die Eingangstür der Taverne und ging.

Ich kam mir vor wie auf dem Präsentierteller — ich saß allein an meinem Tisch, während alle anderen mit Freunden gekommen waren; doch ich unterdrückte mein Unbehagen und bestellte eine zweite Mahlzeit, nicht um sie zu essen, sondern um mir die gute Laune der Kellnerin zu erhalten.

Calyxa schien sich bei ihren Gefährten wohlzufühlen. Von Zeit zu Zeit stiegen andere Sänger oder Musiker auf die Bühne, offenbar nach Absprache mit dem Betreiber der Taverne. Kein Sänger (ob Mann oder Frau) war so talentiert wie Calyxa, und bei keinem paarte sich das Vulgäre mit einer wie auch immer gearteten Unschuld. Calyxa unterhielt sich, wie mir schien, sehr nett mit ihren Freunden, lauter Männer und Frauen, alle so jung wie Calyxa — also in meinem Alter oder unwesentlich älter. Die Frauen waren ähnlich einfach gekleidet und zeigten ausnahmslos eine gewisse Nachlässigkeit, was ihre Frisur und andere weibliche Finessen betraf. Die Männer am Tisch katapultierten diese liebenswerte Einfachheit und Nachlässigkeit auf eine total andere Ebene und schienen geradezu stolz zu sein auf ihre ramponierten Hosen und Hanfhemden. Etliche trugen trotz der abendlichen Wärme Wollmützen, als brauchten sie etwas, woran sich in dramatischen Momenten der Unterhaltung zupfen oder rücken ließ. Ihre Gesten waren dramatisch, ihr Tonfall war knapp und eindringlich, und ihre Ansichten, obwohl ich nur ein paar Worte aufschnappen konnte, waren vehement und komplex, geradezu philosophisch.

Mir kam der entsetzliche Gedanke, Calyxa könne einen Freund, schlimmer noch einen Ehemann haben — und wenn, dann saß er vermutlich mit am Tisch. Ich wusste so wenig über sie! Ich begann sie eingehender zu beobachten.

Mir fiel auf, dass sie dann und wann einen Blick in Richtung Eingangstür warf, und dass jedes Mal, wenn sie es tat, ein Ausdruck von Angst über ihr Gesicht flog. Das war auch schon alles, was mir im Laufe einer Stunde auffiel, und ich konnte mir keinen Reim darauf machen und begann bereits die Hoffnung aufzugeben, jemals wieder ein Wort mit ihr zu wechseln, als uns eine Serie von unerwarteten Ereignissen auf überraschende Weise zusammenbrachte.

Die Kellnerin, die für meinen Tisch zuständig war, stand anscheinend mit Calyxa auf vertrautem Fuß. Die beiden steckten ab und zu die Köpfe zusammen. Nach einem dieser Wortwechsel trat wieder dieser Ausdruck größter Besorgnis in Calyxas Gesicht, und sie nickte todernst zu dem, was die Kellnerin ihr zugetragen hatte.

Es musste etwas Schreckliches gewesen sein; denn Calyxa blieb zwar auf ihrem Platz, stieg aber aus der lebhaften Unterhaltung der Tischgesellschaft aus und schien düsteren Gedanken nachzuhängen. Mehrmals rief sie die Kellnerin zurück, um sich mit ihr zu beraten; und bei einer dieser Gelegenheiten sahen beide zu mir herüber, und zwar so, dass es kein Zufall sein konnte. Ich konnte mir aber die Bedeutung dieser Manöver nicht erklären.

Dass sie eine Bedeutung hatten, sollte sich bald zeigen, denn die Kellnerin kam an meinen Tisch, zog den Stuhl heraus, auf dem Lymon gesessen hatte, und setzte sich.

Ich staunte über den kühnen Vorstoß. Zum Glück übernahm sie die Führung in dem Gespräch, das nun folgte. »Sie sind ein Soldat«, sagte sie energisch, aber nicht unfreundlich.

Ich nickte.

»Und Sie haben ein Interesse an Calyxa Blake?«

Endlich wusste ich ihren Nachnamen! (Allerdings aus zweiter Hand.) Ich überlegte kurz, ob Calyxa Blake meine Absichten missverstanden und ihre Befürchtungen der Kellnerin mitgeteilt hatte. »Nur das wohlmeinendste Interesse«, sagte ich aufrichtig. »Ich war beeindruckt, als ich sie habe singen hören, das war zu Ostern in einer der größten Kirchen von Montreal. Danach habe ich sie angesprochen. Ich hatte eine Kopfverletzung. Aber sie war freundlich zu mir. Dafür möchte ich mich bei ihr bedanken — na ja, eigentlich habe ich mich schon bedankt —, und so gern ich noch mehr mit … ähm … Miss Blake …« — hoffentlich lag ich richtig mit »Miss« — »… reden möchte, würde ich mich niemals aufdrängen. Wenn ich sie mit meiner ungeschickten Begrüßung aus der Fassung gebracht habe, bitte sagen Sie ihr, dass ich einfach nur aus allen Wolken gefallen bin, als ich sie erkannte.«

Das war eine hübsche Rede, und dazu aus dem Stegreif; ich war stolz auf mich.

Die Kellnerin saß da und musterte mich nur. Dann wiederholte sie: »Sie sind ein Soldat?«

»Ja, ein Soldat. Ich komme aus Athabasca und wurde unterwegs eingezogen.«

»Heißt das, Sie tragen eine Pistole? Ihr Soldaten seid doch immer bewaffnet.«

Ich war nicht im Dienst und trug keine Uniform, aber hierzulande hatte ein amerikanischer Soldat immer und überall seine Pistole dabeizuhaben. Ich trug sie unterm Hemd um die Taille geschnallt, wo sie kaum auffiel, denn ich wollte weder warnen noch provozieren; aber sie war in Griffweite. Ich nickte. »Hat sie Angst davor?«

»Nein.«

»Haben Sie denn Angst davor?«

Sie hätte beinah gelächelt. »Eine Pistole in solchen Händen macht mir keine Angst, nein. Wie heißen Sie gleich?«

»Adam Hazzard.«

»Warten Sie hier, Adam Hazzard.«

Ich war völlig aus dem Häuschen, nickte aber gehorsam. Nachdem sie die Handvoll Gäste bedient hatte, die bereits lauter als üblich nach ihr riefen, kehrte sie zu Calyxas Tisch zurück, wo die beiden noch mehr miteinander tuschelten, während ich nicht zu erröten versuchte angesichts der ungewöhnlichen Aufmerksamkeit, die sie mir zollten.

Es dauerte keine Viertelstunde — in deren Verlauf Calyxa auf die Eingangstür starrte, als rechne sie jeden Augenblick damit, dass der Leibhaftige hereinplatze —, bis die Kellnerin zu meinem Tisch kam und flüsterte: »Sie sollen schon mal nach oben gehen, Adam Hazzard.«

Ich hatte Angst, mein Interesse an Calyxa könne zu weit ausgelegt worden sein und man habe ein Stelldichein im Sinn — nun gehörte Calyxa aber nicht zu den Frauen, die sich von jetzt auf gleich zur Verfügung stellten. Ich bekam kein Bein mehr auf den Boden, doch das Gebaren der Kellnerin drängte auf Eile, und der schwermütige Ernst in Calyxas Gesicht schien dasselbe zu tun; und so nickte ich und sagte: »Wo oben?«