»Was ich meine …«
»Es reicht, dass ich hier sitzen und mit dir reden kann. Ich wollte deine Freundschaft, und nun hab ich sie — das ist meine Belohnung.«
»J’ai mes règles, espèce de bouseaux ignorant!«, sagte sie ein wenig ungehalten, und ich fasste die Worte als weitere explosive Dankesbezeugung auf. Ich erwartete nichts von ihr, ließ aber durchblicken, dass ich einen zweiten Kuss begrüßen würde … und bekam ihn und erwiderte ihn und war so glücklich wie noch nie, trotz blutiger Gewalt und halsbrecherischer Flucht über die Dächer von Montreal. So ist die Liebe in Kriegszeiten.
Ich schlief auf dem Sofa. Am Morgen weckte Calyxa mich und besah sich noch einmal meine Füße und meinte, die Verletzungen, die ich mir an den scharfen Dachziegeln zugezogen hätte, seien doch nicht so schlimm, wie sie ausgesehen hatten; sie verband die Füße neu und fügte für jeden Fuß noch eine Lage Leder als Sohle hinzu und darüber noch einen Fußwickel, so dass ich draußen gehen konnte, ohne mich neu zu verletzen. »Das müsste halten, bis wir da sind, wo wir hinwollen«, sagte sie.
Sie wollte die Bandagen durch richtiges Schuhwerk ersetzen und herausfinden, wie das gestrige Drama im Thirsty Boot ausgegangen war; sie kannte offenbar eine Adresse, die beides befriedigen würde. Um ihr Gesicht zu verbergen, falls sie einem ihrer Brüder über den Weg lief, setzte sie einen riesigen Sonnenhut auf; untergehakt traten wir in den strahlenden Morgen hinaus.
Das nächtliche Unwetter hatte die Luft geläutert, und der Sturm hatte sich in eine angenehme Brise verwandelt. Abgesehen von der Gefahr, in der wir schwebten, und meinen wehen Füßen hätte unser Spaziergang himmlisch sein können, wenn er nicht so jählings zu Ende gewesen wäre. Der Laden, eine Gerberei mit Schuhgeschäft im Souterrain, in einer Straße, die ich nicht kannte, hatte (wie alle Geschäfte) sonntags geschlossen. Calyxa pochte laut an die Tür. »Ich kenne den Besitzer«, sagte sie.
Der Mann, der aufmachte, hatte einen Bart und war nervös und hätte gestern Abend durchaus mit an Calyxas Tisch sitzen können — aufgefallen wäre er nur durch seine Kleidung, auf die er besondere Sorgfalt verwandte. Er sah Calyxa neugierig an und mich mit Abscheu und Ekel. »Emil, lass uns rein, bevor ich Wurzeln schlage«, sagte sie. Er winkte uns widerstrebend hinein.
Der Kellerraum war geschwängert mit dem Geruch von Gerbsäure und Leim, aber es waren etliche sehr hübsche Stiefel ausgestellt. »Kannst du bei meinem Freund maßnehmen?«, fragte Calyxa.
»Für dich immer«, sagte Emil gedehnt, »das weißt du, aber sicher nicht …«
»Er braucht etwas Geschmeidiges und Robustes an den Füßen. Er hat mir einen Gefallen getan und dabei seine Stiefel verloren.«
»Bekommt er die Stiefel nicht von den Herren Militärs? Tu es folle d’amener un soldat américain ici!«
»Il m’a sauvé la vie. On peut lui faire confiance. En plus, il n’est pas très intelligent. S’il te plaît, ne le tue pas — fais-le pour moi!«
Der Wortwechsel, was immer er zu bedeuten hatte, schien Emil ein wenig milder zu stimmen, und er maß meine Füße; als er damit fertig war, fahndete er unter den vorgefertigten Stiefeln nach der richtigen Größe und zeigte mir schließlich ein schönes Paar Hirschlederstiefel, wadenhoch und goldbraun.
»Das hat mit deinen barbarischen Brüdern zu tun«, sagte Emil zu Calyxa. »Ich habe gehört, was gestern Abend im Thirsty Boot passiert ist.«
Calyxa horchte auf. »Was weißt du über Job und Utty?«
»Job wurde schlimm angeschossen. Er hat viel Blut verloren, aber sein Schädel blieb heil, und soviel ich gehört habe, wird er durchkommen. Utty drohte, ein paar Leute zu erschießen, nur um Eindruck zu machen, aber Jobs Zustand hat ihn abgelenkt. Sie sind von der Taverne zur Charité — ich denke, Job ist noch da, es sei denn, er war so anständig, diese Nacht zu sterben. Mehr weiß ich nicht, nur dass die Militärpolizei da war und einen Haftbefehl für die beiden hatte.«
Sie lächelte wie bei erfreulichen Neuigkeiten; nur dass die Blakebrüder früher oder später wiederkommen würden, wütender denn je — ich hatte Angst um Calyxa.
Die Stiefel waren teuer, auch dann noch, als Emil sich zu einem Rabatt bewegen ließ. So viel Geld wollte ich eigentlich nicht ausgeben — ich sparte schließlich für eine Schreibmaschine —, wollte mich aber vor Calyxa nicht blamieren und brauchte die Stiefel; also zahlte ich das Lösegeld.
Und es sollte mir nicht leidtun. Die Hirschlederstiefel waren Balsam für meine Füße. Noch nie hatten mir Stiefel so gutgetan. Die Männer meiner Kompanie würden neidisch sein, mich verspotten und einen eitlen Fatzken nennen, aber ich wollte das klaglos ertragen, denn die Stiefel waren himmlisch bequem und erinnerten mich an Calyxa.
Wir wanderten noch ein bisschen weiter, doch der Tag schritt rasch voran, und ich musste ins Lager zurück. Wir trennten uns an der großen Eisenbrücke. Calyxa fragte, ob ich nächstes Wochenende wiederkomme. Ich würde alles daransetzen, sie wiederzusehen, sofern die militärische Situation es zulasse, versprach ich. Und dass ich bis dahin ohne Unterlass an sie denken wolle.
»Hoffentlich kommst du.«
»Ich komme.«
»Und vergiss die Pistole nicht«, sagte sie; dann küsste sie mich wieder und wieder.
7
Ich hielt mein Versprechen und kam diesen Sommer viele Male nach Montreal zurück und lernte Calyxa näher kennen und die Stadt, in der sie lebte. Ich will den Leser nicht mit der Beschreibung all dieser Begegnungen langweilen (manche waren ohnehin zu intim, um hier Eingang zu finden), will aber sagen, dass wir nicht weiter von den Blakebrüdern belästigt wurden — jedenfalls nicht diesen Sommer.
Das Lagerleben war eine Zeit lang unbeschwert. Meine Füße heilten rasch dank leichter Arbeit und jener Stiefel aus geschmeidigem Hirschleder. Die deutschen Ausfälle wurden seltener, und die einzigen Kampfhandlungen in der Gegend fanden vorerst zwischen unseren Spähtrupps und ein paar feindlichen Vorposten statt. Vom Saguenay-Feldzug hörte man nur Widersprüchliches: ein großer Sieg — eine große Niederlage — viele Mitteleuropäer getötet — viele Amerikaner fanden ein frühes Grab —, aber nichts konnte bestätigt werden, weil der Nachrichtenverkehr so schleppend war und der Führungsstab so abgeneigt, Informationen mit den einfachen Soldaten zu teilen. Doch um das Erntedankfest herum bekamen wir einen deutlichen Hinweis, dass es nicht gut stand um die amerikanische Sache. Ein neues Regiment aus Einberufenen und Rekruten traf im Lager ein — weiche, naive Pächterjungs, wie ich sie jetzt sah, die meisten von den Landgütern und Eigentumsfarmen in Maine oder Vermont. Sie waren im Eilverfahren darauf vorbereitet worden, bei Montreal in Garnison zu liegen und die hiesige Abwehr zu unterstützen; dadurch wurden diejenigen von uns, die Kampferfahrung hatten, entlastet, um an einem Winterfeldzug teilzunehmen — von allen militärischen Unternehmungen das Gefürchtetste.
»Das ist nicht die Handschrift von Galligasken«, sagte Sam, als unsere Befehle verkündet wurden. »Das kommt direkt aus dem Regierungspalast. Das riecht nach Deklan Comstock. Die Nachricht einer Niederlage hat ihn derart aufgebracht, dass er alle Streitkräfte in eine strategisch absurde Vergeltungsmaßnahme schickt — ich mache jede Wette.«
Befehl war Befehl. Wir packten unseren Tornister, schulterten das Pittsburgh-Gewehr, eine ganze Division von uns, und wurden zum Hafen gekarrt, wo wir in Dampfschiffe verladen wurden, die uns den Sankt Lorenz hinunter zum Saguenay River bringen sollten. Es blieb keine Zeit, um Calyxa Lebewohl zu sagen, also schrieb ich ein paar hastige Zeilen auf Feldpostpapier und steckte sie am Kai in den Briefkasten: Ich müsse für unbestimmte Zeit an die Front, ich würde sie lieben und ständig an sie denken und hoffe, ihre Brüder würden sie nicht aufspüren und umbringen. Sie solle gut auf sich aufpassen.