In der Früh kam ich in den Genuss des hospitaleigenen Hygienebades — eine vorgeschriebene, von Schwestern beaufsichtigte und die männliche Würde zutiefst verletzende Tortur —, und als ich zum Bett zurückkehrte, wartete Lymon Pugh auf dem Besucherstuhl. Er war allein.
»Na«, sagte ich, »hast du Mrs. Blake und Dornwood angetroffen?«
»Ja«, sagte er mit sichtlichem Unbehagen.
»Nun mach kein Geheimnis draus! Raus damit.«
Er räusperte sich. »Diesen Theodore Dornwood konnte ich ausfindig machen. Es stimmt, was man über ihn hört, Adam. Er wohnt in einer Hütte unten an den Docks, in einem besseren Stall. Liegt in einem gelben Bett, trinkt Whisky und raucht von morgens bis abends Hanfzigaretten. Die ›Schreibmaschine‹, von der du immer redest, steht noch da und sieht ziemlich unbenutzt aus.«
»Seine schlechten Angewohnheiten gehen mich nichts an. Hat er meinen Bericht über den Saguenay-Feldzug angenommen?«
»Erst wollte er nichts von mir wissen — er ist bärbeißig, wenn er betrunken ist, und hat mich eine Syphilis-Halluzination genannt, ich sei absurd und solche Sachen. Normalerweise lasse ich mir so was nicht gefallen, aber ich habe weggehört, Adam, um deinetwillen, und als er deinen Namen hörte, wurde er ein bisschen zugänglicher. Seine ›Muse aus dem Westen‹ hat er dich genannt, was immer das heißt. Und als ich ihm das Papierbündel zeigte, da haben seine Augen richtig geleuchtet.«
Das Lob kitzelte meine Eitelkeit, und ich wollte wissen, ob Mr. Dornwood noch mehr gesagt hatte.
»Na ja, er nahm die Blätter aus der Tüte und fing an, sie zu lesen, und dann überflog er die letzten Seiten und grinste. ›Hervorragend‹, sagte er. Das sei eine hervorragende Arbeit.«
»Mehr nicht?«
»Wenn er noch etwas gesagt hat, dann nicht zu mir — er scheuchte mich weg, kein Dank, nichts. Aber dein Päckchen muss ihn aufgemuntert haben, denn beim Weggehen konnte ich hören, wie die Maschine an einem Stück geklappert hat.«
»Ich werde ihn aufsuchen, sobald ich kann«, sagte ich und war mit Lymons Rapport über Dornwoods Begeisterung zufrieden, auch wenn ich mir ein paar schmeichelhafte Einzelheiten gewünscht hätte. Dann trat ich in den bedrohlichen Schatten einer weit bedeutsameren Frage: »Und hast du den Brief zu Mrs. Blake gebracht?«
»Na ja, ich bin zu der Adresse, die draufstand.«
»Und?«
»Sie war nicht zu Hause, und zwar schon länger nicht mehr, wie ich von Nachbarn hörte. Also hab ich mich im Thirsty Boot erkundigt. Das war nicht ganz einfach, denn die Leute sind generell nicht gut zu sprechen auf amerikanische Soldaten, aber ich weiß jetzt, was aus ihr geworden ist.«
An dieser kritischen Stelle hielt er inne, als müsse er sich die Worte zurechtlegen, und ich sagte: »Nun mach schon. Egal, was es ist, raus damit!«
»Nun ja, ich habe sie gefunden, da wo sie jetzt wohnt; und ich hab ihr den Brief gegeben — das sind die wesentlichen Punkte der Geschichte.«
»Kann es auch ein bisschen mehr sein? Wie hat sie reagiert?«
»Sie hat darüber nachgedacht. Den Brief hat sie sogar zweimal gelesen. Dann meinte sie: ›Richten Sie Adam aus, ich fände seinen Vorschlag interessant …‹«
»Interessant!«
Sie hatte meinen Heiratsantrag nicht angenommen, aber sie hatte ihn auch nicht abgelehnt — an diesen Strohhalm klammerte ich mich.
»Interessant, meinte sie, aber im Moment leider nicht praktikabel.«
»Nicht praktikabel!«
»Ich glaube, es liegt an dem Ort, wo sie sich zurzeit aufhält.«
Ich musste daran denken, dass ihre niederträchtigen Brüder vorgehabt hatten, sie an ein Bordell zu verkaufen, und wurde von der Vorstellung gegeißelt, sie könnten ihren Plan wahrgemacht haben. »Lymon, ich bin stark genug für die Wahrheit — wo, um Himmels willen, ist sie, dass sie nicht einfach herkommt und mit mir redet?«
Lymon wurde rot und senkte den Blick. »Na ja …«
»Lymon, sag es!«
»Sie ist — bitte, trage es mit Fassung, Adam — sie ist im Gefängnis.«
Ich organisierte eine Zusammenkunft von Sam, Julian, Lymon und mir, um ungeachtet der Hausordnung des Soldiers’ Rest eine Strategie zu entwerfen. Gegen den Protest der Krankenschwestern trafen wir uns in Julians Zimmer und kamen schnell überein, dass wir Calyxa befreien mussten; mein Vorschlag, sofort das Hospital zu verlassen und das Gefängnis zu stürmen, wurde allerdings abgeschmettert. Es sei unklug, sagte Sam, ein Ziel anzugreifen, bevor man verlässliche Informationen über seine Stärken und Schwächen und die Gemütslage seiner Verteidiger eingeholt habe. Ich musste ihm Recht geben; andererseits war es eine Zumutung, müßig herumzusitzen, während Calyxa ihrer Freiheit beraubt war.
Sam war inzwischen so gesund wie Lymon, und beide erklärten sich bereit, das Gefängnis auszukundschaften. Ich würde unterdessen hier bei Julian bleiben, der zwar noch nicht auf dem Damm, aber trotzdem lebhaft an unserem Coup interessiert war.
Zum Abschluss unseres Treffens schüttelte ich allen Beteiligten die Hand — ich war zutiefst gerührt und musste ganz schön schlucken. »Einmal Freunde zu haben, die meinetwegen — trotz grundverschiedener gesellschaftlicher Stellung — Kopf und Kragen riskieren, hätte ich mir nie träumen lassen. Ihr sollt wissen, dass ich im umgekehrten Fall dasselbe für euch tun würde.«
»Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben«, sagte Sam. »Noch ist nichts erreicht.«
Sam war genauso gerührt, ich war mir sicher.
Als Sam und Lymon fort waren, blieb ich noch eine Zeit lang bei Julian sitzen. Julian kam mir gebrechlicher vor, als mir lieb war. Seine Haut war kalkweiß und klebte förmlich an den Wangenknochen, er hatte viel Gewicht verloren, und stämmig war er nie gewesen. Irgendetwas an seinen Augen schien mir anders als früher — als hätten sie eine unerfreuliche Erkenntnis aufgenommen, die ihre Farbe stumpfer gemacht hatte. Vielleicht lag es an der Cholera oder am Krieg im Allgemeinen und an dem ganzen Sterben, das er gesehen hatte. Es machte mich nervös, und ich bedankte mich wieder für seine Gefälligkeit, wobei ich mit ihm redete, als sei er ein Aristokrat und ich ein Pächterjunge … was wir natürlich waren; aber das hatte nie eine Rolle gespielt zwischen uns.
»Beruhige dich, Adam«, sagte er. »Ich weiß doch, wie gern du diese Frau aus Montreal hast.«
»Mehr als gern«, vertraute ich ihm an, und dass ich sie heiraten wolle.
Er grinste. »Wenn das so ist, müssen wir sie erst recht aus dem Kerker befreien! Unvorstellbar, dass mein bester Freund eine Inhaftierte heiratet.«
»Zieh mich nicht auf damit, Julian — das ertrag ich nicht. Ich liebe sie so sehr, dass ich meine Gefühle nicht beschreiben kann, ohne rot zu werden.«
»Es muss herrlich sein, so für eine Frau zu empfinden«, meinte Julian versöhnlich.
»Ist es auch; aber es herrscht nicht nur eitel Sonnenschein. Bestimmt läuft dir eines Tages die Richtige über den Weg, und du empfindest dasselbe, was ich für Calyxa empfinde.«
Ich glaube, er war froh über meine Worte, denn er sah beiseite und lächelte. »Nichts ist unmöglich«, hörte ich ihn sagen.
Der »Zapfenstreich« stand kurz bevor, und die Schwestern rückten in Truppenstärke an, um unserer Unterhaltung ein Ende zu machen. Ich sagte Julian, er brauche seinen Schlaf. »Du auch, Adam«, erwiderte er. »Du musst nicht die ganze Nacht wachliegen und grübeln. Schlafe zuversichtlich — das ist ein Befehl.«