»Comstock«, wiederholte Calyxa. »Verschwörung.«
Julian fuhr aus seinem brütenden Schweigen und sagte: »Stimmt alles, Calyxa, und Adam kann nichts dafür, dass er dir bis jetzt nichts erzählt hat. Eigentlich wollte ich noch ein paar Jahre ›Commongold‹ heißen. Aber ›Commongold‹ ist aufgeflogen. Der Präsident ist mein Onkel, ja, und er ist mir nicht gerade wohlgesinnt.«
»Und jetzt, wo alle Welt erfährt, wer du wirklich bist?«
»Die Szene im Bahnhof wird rasch die Runde machen, so ist die Stadt nun mal …«
»Und dann wird dein Onkel versuchen, dich zu töten?«
Mrs. Comstocks Miene versteinerte bei diesen ungeschminkten Worten, doch Julian lächelte traurig.
»Davon gehe ich aus.«
»Mordlustige Verwandte sind ein Fluch«, nickte Calyxa wie jemand, der mitreden kann. »Du tust mir leid, Julian.«
Die Plüschkarosse folgte einer breiten Straße, von der ich später erfuhr, dass sie Broadway hieß, dann bogen wir ab und fuhren durch einen vornehmen Distrikt mit antiken Häusern, deren Steinfassaden entweder erhalten oder mit authentischem Material restauriert worden waren. Ich sah mich um, als wir ausstiegen, und alles, was ich sah — eine von Bäumen gesäumte Straße; blühende Gärten; Glasfenster, die wie Juwelen blitzten —, sprach von Aristokratie und Besitz, und das nicht zurückhaltend, sondern vollmundig. Wir hielten vor einem herrschaftlichen Haus mit rotbrauner Sandsteinfassade. Dann ging es über eine schnurgerade Außentreppe in den Empfangsraum, wo eine kleine Armee von Hausangestellten die zurückkehrende Mrs. Comstock begrüßte und ihren Sohn bestaunte. Mrs. Comstock klatschte in die Hände und sagte barsch: »Wir haben Gäste — Zimmer für Mr. und Mrs. Hazzard und Mr. Godwin, bitte, und sollte Julians Wohnung nicht in Ordnung sein, dann muss sie akzeptabel hergerichtet werden. Aber nur für eine Nacht. Morgen ziehen wir nach Edenvale um.«
Ich sah Julian fragend an, und er klärte mich leise auf: Edenvale war der Landsitz der Familie oben am Hudson River.
Einige Hausangestellte ließen es sich nicht nehmen, Julian persönlich zu begrüßen. Sie schienen ihn aus früheren Zeiten in bester Erinnerung zu haben und waren freudig überrascht von seiner Ankunft, da es (wie ich später erfuhr) unwidersprochene Gerüchte von seinem Tod gegeben hatte. Julian freute sich über diese alten Bekannten; doch Mrs. Comstock war ungehalten und scheuchte die Bediensteten zu ihren Aufgaben; wir verlegten unseren Aufenthalt in einen riesigen Salon. Ein Mädchen mit weißer Schürze brachte eisgekühlte Drinks. Vermutlich war diese Art von Gastfreundschaft unter Aristokraten gang und gäbe, und ich gab mir Mühe, sie so zu akzeptieren, als wäre ich daran gewöhnt, obwohl ich solchen Luxus noch nie erlebt hatte; auch die Häuser der Duncans und Crowleys in Williams Ford waren rustikale Refugien im Vergleich zur Maß- und Zügellosigkeit von Manhattan, sofern das hier exemplarisch für diesen Stadtteil von New York war.
Calyxa verfolgte alles mit einer peinlichen, weil unverhohlenen Skepsis und musterte das Dienstmädchen, als wolle sie es in Parmentierismus unterweisen, wovon ich inständig hoffte, dass sie es bleiben ließ.
»Ich glaube, ich verstehe jetzt die groben Umrisse des Missgeschicks«, sagte Julian, als wir uns den sagenhaft gepolsterten Sesseln überließen. »Irgendwie müssen meine Kriegserlebnisse hier in Umlauf gebracht worden sein … aber ich wüsste wirklich nicht, wie.«
Ich biss die Zähne zusammen, sagte aber nichts. Noch nichts — erst musste sich mein Verdacht erhärten.
»Du warst in den Zeitungen«, bestätigte Mrs. Comstock. »Unter deinem Pseudonym.«
»Ich?«
Mrs. Comstock ließ das Dienstmädchen rufen. »Barbara, du weißt doch, mir kommen keine billigen Zeitungen ins Haus …«
»Natürlich nicht«, sagte Barbara.
»Und ich weiß, wie sehr man sich daran hält. Keine Ausflüchte — die Zeit drängt. Geh in die Küche und sieh nach, ob du etwas ausreichend Niveauloses zum Thema ›Julian Commongold‹ findest? Weißt du, was ich meine?«
»Ja! Der Koch liest sie uns laut vor«, sagte Barbara, errötete bei dem Eingeständnis und eilte davon.
Sie brachte uns eine alte Ausgabe des Spark und ein schlecht gebundenes Druckerzeugnis. Diese Kostproben des urbanen Journalismus wanderten von Hand zu Hand.
Der Spark enthielt die neuesten Nachrichten von der Saguenay-Front, einschließlich der Erbeutung eines chinesischen Geschützes! Es handelte sich um eine gekürzte Darstellung von Julians Heldentaten vor Chicoutimi, verfasst von einem Theodore Dornwood, dem berühmten Frontberichterstatter des Saguenay-Feldzuges.
Schlimmer noch war das Heft, fast ein dünnes Buch, eine Zusammenstellung von Mr. Dornwoods Berichten unter dem Titel Die Abenteuer des Captain Commongold, eines jugendlichen Helden am Saguenay. Das Heft sei ein Renner und werde an allen Straßenecken verkauft, meinte das Dienstmädchen.
Julian und Sam erklärten Mrs. Comstock, Dornwood sei ein Halunke, der während des ganzen Feldzuges allen Verführungen Montreals erlegen sei und sich alle seine Geschichten aufgrund von Gerüchten aus den Fingern gesogen habe.
Ich dagegen sah mir das Heft genauer an und war hernach am Boden zerstört. Ich beichtete auf der Stelle — was sonst hätte ich tun sollen? »Dornwood gibt sich als Autor aus«, sagte ich mit schwankender Stimme. »Aber der Text … na ja … also der ist hauptsächlich von mir.«
Es heißt, für jeden strebsamen Schriftsteller sei es eine höchst wohltuende Erfahrung, seine Ergüsse zum ersten Mal gedruckt zu sehen. Meine diesbezügliche Erfahrung muss zu den Ausnahmen gehören, die diese Regel bestätigen.
Der Umschlag zeigte eine Radierung, auf der »Julian Commongold« (dargestellt als wild entschlossener junger Mann mit durchdringendem Blick und makelloser Uniform) rittlings auf dem Puffer einer deutschen Lok saß und eine amerikanische Fahne schwenkte, die um Längen größer war als die tatsächlich benutzte, derweil zahllose Soldaten angesichts eines chinesischen Geschützes jubelten, das angeblich so groß war wie der Schornstein eines Eisenhüttenwerks. Offenbar erwartete man nicht nur von Journalisten, sondern auch von Künstlern, im Zweifelsfall zu dramatisieren, und dieser Künstler hatte nicht damit gespart. Mrs. Comstock nahm das Heft von mir entgegen und betrachtete es aus Armeslänge, während so etwas wie Ekel an ihren Zügen zupfte.
»Hast du diese Dinge wirklich getan, Julian?«, fragte sie.
»In einer etwas abgespeckteren Version.«
Sie wandte sich an Sam. »Und das ist deine Vorgehensweise, ihn vor Unbill zu schützen?«
Sam sah aus wie das schlechte Gewissen persönlich, aber er sagte: »Julian ist ein junger Mann mit einem eigenen Kopf, Emily — ich meine, Mrs. Comstock —, und er hört nicht immer auf Ratschläge.«
»Er hätte ums Leben kommen können.«
»Er wäre es beinahe — und das nicht nur einmal. Wenn du — wenn Sie mir das als Versagen anrechnen, bitte.« Er schilderte die Umstände unserer Flucht von Williams Ford und unsere unfreiwillige Rekrutierung in die Laurentische Armee. »Ich habe mein Bestes getan, um Schaden von ihm abzuwenden, und da sitzt er, wohlauf, obwohl er so unbekümmert und ich so fahrlässig war — mehr sage ich nicht dazu.«
»Du darfst weiter ›Emily‹ zu mir sagen, Sam — wir haben nie Wert auf Förmlichkeiten gelegt. Ich bin nicht unzufrieden mit dir, nur verwirrt und überrascht.« Sie fügte hinzu: »Du hast dich rasiert. Du hast doch immer einen so schönen Bart getragen.«
»Ich kann mir jederzeit einen wachsen lassen, der genauso schön ist … Emily.«
»Mach das bitte, ja?« Sie wandte sich wieder an ihren Sohn: »Julian, musstest du diese Rolle so ausspielen, nur weil du plötzlich in der Armee warst?«