Sollten sich die Säkularen Polizisten durch ihr brutales Benehmen einen Platz in der Hölle verdient haben, ihre Stadt ging jetzt schon zum Teufel. Wir erlebten eine Montage aus Streiks, Ausschreitungen und Bränden — die himmelhohen Gebäude brannten wie Kienspäne. Jetzt wurde das Publikum mit Foster, dem Industriellen, bekanntgemacht, der wie wild gegen ein Feuer in seinem Eisenhüttenwerk kämpfte, das von aufsässigen Arbeitern gelegt worden war; doch Hitze und stürzende Holzbalken zwangen ihn zurückzuweichen. Vor dem Hintergrund der Zerstörung wischte Foster sich über die rußige Stirn und sang resignierend die Arie
Das allein hätte schon das Herz des kältesten Zynikers erweicht, aber es kam noch schlimmer. Eula erschien wieder. Sie hatte der Szene von Boones grausamer Verhaftung den Rücken gekehrt, nur um mit anzusehen, wie ihr Familienhaus von den Flammen verschlungen wurde, derweil ihre Eltern aus einem Fenster schrien, aus dem sie aber nicht gerettet werden konnten. Sie kamen um in den Flammen. Von Gram überwältigt taumelte Eula zu dem Gefängnis, in dem sie Boone wähnte; doch auch dieses Gebäude war ein Raub der Flammen geworden.
Im Publikum zeigten sich etliche eupatridische Damen gerührt von dieser tragischen Szene, betupften ihre Augenwinkel und schnäuzten sich ohne Rücksicht auf Eulas herrlich gesungene Arie
Ende des ersten Aktes. Die Lampen hellten sich auf. Pause. Viele Eupatriden begaben sich sofort ins Foyer; doch Calyxa, Julian und ich, jung und ohne Druck auf der Blase, blieben sitzen. Vor meinem geistigen Auge flimmerten noch Filmszenen, und meine Gedanken kreisten um die verlorenen Wunder der Säkularen Alten. Ich sagte zu Julian: »Hast du mir nicht erzählt, die Alten hätten Filme gemacht?«
»Zahllose, aber keiner hat überdauert, bis auf die, die man unter Verschluss hält.« Der Kulturausschuss des Dominions unterhalte ein großes Steingebäude in New York City, erklärte Julian, wo allerhand alte Texte, Dokumente und andere Sachen aufbewahrt würden, die so blasphemisch seien, dass man uns und alle anderen davor schützen müsse. Nur ein auserwählter Kreis des Klerus kenne die Schätze in diesem Archiv.
»Und diese Filme waren mit Ton aufgezeichnet und mit Farbe?«
»So ist es.«
»Und warum machen wir nicht solche Filme? Und warum nicht mehr davon? Ich verstehe das nicht, Julian. Die einfachen Techniken der Vergangenheit beherrschen wir doch noch. Wir haben zwar kein Öl im Überfluss, können aber Kohle verbrennen, damit lässt sich doch auch arbeiten.«
»Wir könnten Tonfilme drehen«, sagte Julian, »aber die Ressourcen sind anders verteilt. Dasselbe gilt für die Schreibmaschine, mit der dich dieser Dornwood hypnotisiert hat. Wenn wir wollten, könnten wir für jeden hier in Manhattan eine Schreibmaschine bauen; aber das wäre ein leichtsinniger Verbrauch an Eisen oder Gummi oder was auch immer — Material, das der Senat eupatridischen Fabrikanten zuweist, die im Gegenzug das Militär mit Waffen und anderem Bedarf versorgen.«
So weit hatte ich nicht gedacht. So gesehen war jeder Grabenfeger in Labrador eine nicht hergestellte Schreibmaschine oder ein nicht gedrehter Film. Eine traurige Regelung, doch welcher Patriot wollte dagegen sein?
»Künstler«, sagte Julian, »oder Handwerker und Ladenbesitzer müssen zusehen, wie sie auskommen mit dem Rinnsal an Restressourcen und der Zweitlese von der örtlichen Halde. Ob das gerecht ist, darf bezweifelt werden.« Er wandte sich an Calyxa. »Und? Wie findest du den Film — bis jetzt, meine ich?«
»Die Handlung?« Sie verdrehte die Augen. »Und die Lieder — pardon, die Arien — sind reichlich simpel. Die Sängerin ist allerdings gut. In den Höhen ein bisschen flach, aber insgesamt couragiert und flüssig.«
Was die Handlung anging, so widersprach ich meiner geliebten Calyxa; doch was sie zur Musik gesagt hatte, bedeutete größte Anerkennung, denn dazu hatte sie über den eigenen Schatten springen müssen.
Kaum hatten die Letzten Platz genommen, da erlosch das Licht wieder. Der zweite Akt begann damit, dass Hunderte zerlumpter Männer und Frauen vor dem Niedergang der Städte flohen, unterlegt mit einem elegischen Trompetensolo und dem leisen Prasseln ihrer Schritte. Unter diesen Menschen befand sich auch der angeklagte Pastor Boone, der (was Eula nicht wusste) den Flammen entkommen war. In einer ergreifenden Szene stieß er auf seine brutalen Häscher, die sich gegen ihn versündigt hatten und jetzt hilflos dalagen und unter tödlichen Verbrennungen litten … Boone half ihnen, Reue und Leid zu erwecken, und erteilte ihnen im Augenblick des Todes die Absolution. Er erhob sich mit Tränenspuren im Gesicht von seiner heiligen Pflicht und entdeckte in einiger Entfernung ein Kreuzbanner inmitten der Flüchtlinge. Er sah darin ein Symbol des aufkeimenden Dominion of Jesus Christ on Earth — einer Vereinigung aller verfolgten Kirchen — und zelebrierte das Ereignis durch seine Arie
Unter den heimatlosen Städtern befand sich Eula (was Boone nicht wusste). Der Hunger zwang sie, Foster, den einstigen Industriellen, um Hilfe zu bitten. Foster war mit dem Planwagen unterwegs zu seiner Freilandplantage. Er half Eula, war freundlich zu ihr und trat ihr nicht zu nahe; und weil sie davon ausging, der Pastor, den sie eigentlich immer noch liebte, sei ein Opfer der Flammen geworden, nahm sie Fosters Hilfe ziemlich rückhaltlos an und sang vornehmlich in Klavierbegleitung die wehmütige Arie
Dann fuhren Foster und Eula — die sich immer näherkamen — durch eine Montage aus Szenen einer heruntergekommenen Welt, der Welt der Falschen Drangsal. Verfallene Häuser, staubverwehte Farmen, verendetes Vieh, abgestürzte Flugzeuge, verrottete Automobile und so weiter. Nach abenteuerlichen Strapazen erreichten sie eine kleine, auf einem Hügel gelegene Stadt unweit seiner Plantage. Das Gemeinwesen hatte den Niedergang der Städte heil überlebt und wurde durch den unerschütterlichen christlichen Glauben seiner Einwohner vor Unbill bewahrt. Letztere hatten am höchsten Punkt des Hügels ein riesiges Symbol ihres Glaubens errichtet, das Foster dazu bewegte, die Arie
zu singen.
Der Akt schloss mit Eulas Bestürzung, als sie einen der vielen Geistlichen erkannte, die sich in dem rechtschaffenen Städtchen eingefunden hatten, um zu helfen, diesen Hort der Tugend zu verteidigen: Es war niemand anderes als Boone, ihr einstiger Verlobter.
Auf diese atemberaubende Wende hin fiel der Vorhang.
Pause. Diesmal suchten wir drei das Foyer auf. Während ich meine Blase erleichterte, begegnete ich schon wieder einem unerwarteten Luxus der eupatridischen Klasse: Innentoiletten so makellos, dass die emaillierten und mit Zitronenduft parfümierten Behältnisse für Herren schimmerten, als seien sie eben erst poliert worden. Erstaunlich, welch raffinierten Komfort sich Menschen einfallen lassen!
Ich kam rechtzeitig zu meinem Platz zurück. Das Licht ging aus, der Vorhang hoch.
Im dritten und letzten Akt sollte endlich der Titel des Films zum Tragen kommen: Eula stand vor der Wahl ihres Lebens. Eine großartige Gelegenheit für die beiden Darstellerinnen von Eula (ihrer Stimme und ihrer Person), alles zu geben, was in ihnen steckte; doch zuerst sahen wir Foster, der ebenfalls vor einem Dilemma stand. Seine Plantage unweit des tugendhaften Städtchens, in dem er und Eula Zuflucht gefunden hatten, war verwüstet worden. Hungrige Flüchtlinge hatten den Weizen niedergetrampelt, und was noch stand, konnte nicht geerntet werden, weil ihm die Hilfskräfte fehlten. Inzwischen strömten tageweise Flüchtlinge ins Städtchen, weil sie hofften, hier eine Suppe und ein Stück Brot zu bekommen. Sicher, er hätte diese unfreiwilligen Nomaden anheuern können, aber womit hätte er sie bezahlen sollen — Geld hatte er keines. Außerdem war Landarbeit (die täglich eine warme Mahlzeit garantierte) so begehrt, dass der Mob sich darum geprügelt hätte. Und so kam Foster auf eine geniale Idee und sang die Arie