Die Deutschen waren natürlich am schlimmsten getroffen. Von den acht Schiffen, die Striver verteidigt hatten, waren sechs gesunken; auf dem Wasser treibende Trümmer verrieten, wo die Wracks auf dem felsigen Grund des Sees lagen. Die beiden noch schwimmenden Schiffe hatten keine Masten mehr, aus den Rümpfen quoll schwarzer Rauch. Wir schickten Boote aus, um Überlebende aufzusammeln.
Die Basilisk und ihre Schwesterschiffe hatten ein paar strategische Schüsse zwischen die Gebäude und Lagerhäuser am Fuß der Durchfahrtsstraße platziert, so dass überall, wo eben noch die Fahnen Mitteleuropas getrotzt hatten, weiße Fahnen gehisst waren und die bedingungslose Kapitulation signalisierten. »Adam, wir haben ein Stückchen Amerika zurückerobert«, sagte Julian. »Die Heimat ist wieder ein paar Quadratmeilen größer.«
»Wie kannst du zynisch sein nach so einem Sieg?«
»Ich bin nicht zynisch. Es war ein großer Sieg, aber er gehört Admiral Fairfield und nicht mir. Ich habe zu dieser Expedition nicht mehr beigetragen, als mit meinen Männern auf dem Quarterdeck zu exerzieren. Aber das ändert sich jetzt. Hier landen wir die Infanterie.«
Alle Fußsoldaten unserer Flottille würden heute an Land gehen, erklärte er. Bald würden zwei komplette Divisionen folgen, vorausgesetzt, die Truppentransporter waren planmäßig und unsere Garnisonen konnten weiterhin die Narrows halten. Wenn die Armee an Land und aufgestellt war, würde Julian sie nach Goose Bay führen, während der Admiral und seine Flottille diese Stadt aus der Entfernung unter Granatfeuer nehmen und die deutsche Abwehr auf Trab halten wollte.
Ich versprach, ihm möglichst nicht im Weg zu stehen.
»Du stehst mir nicht im Weg. Weißt du nicht, dass du zu meinen vertrautesten Ratgebern zählst?«
»Ich kann mich nicht erinnern, dir jemals einen Rat gegeben zu haben.«
»Ich schätze weniger deinen Rat als dein Gespür, Adam.«
»Du übertreibst, Julian.«
»Und du bist ein Freund. Ein seltener Luxus in den Kreisen, in denen wir uns vor nicht allzu langer Zeit bewegt haben.«
»Einverstanden. Auf meine Freundschaft kannst du dich verlassen. Und auf mein Pittsburgh-Gewehr, wenn es an Land zum Kampf kommt.«
»Zum Kampf kommt es früh genug«, sagte Julian und sah beiseite, als wolle er der hässlichen Wahrheit nicht ins Auge sehen.
In den nächsten Tagen wurden über zweitausend zusätzliche Infanteristen in Striver gelandet; sie waren aus Stützpunkten in Neufundland unter Begleitschutz hierher verschifft worden. Alle deutschen Soldaten in Striver wurden gefangen genommen und mit denselben Transportern in die Kriegsgefangenenlager auf der Gaspe-Halbinsel verschifft. Den harmlosen Bürgern von Striver wurde geraten, möglichst in ihren Häusern zu bleiben; außerdem wurde eine strikte Ausgangssperre verhängt. Was uns betraf, so war die Disziplin streng genug, um Diebstahl größeren Stils, Vergewaltigung, Plünderung und Brandstiftung zu verhindern, die Schreckgespenster aller Zivilisten in umkämpften Gebieten. Uns fehlte es nicht an Proviant, denn vor kurzem war Striver an die Eisenbahntrasse von Goose Bay angeschlossen worden, als zusätzlicher Umschlagplatz für europäische Waren ins Innere von Labrador. Die Statthalter liebten ihren Luxus: Die Lagerhäuser am Kai lieferten uns dicke Scheiben von geräuchertem Fisch, tonnenweise sauberes Weizenmehl, riesige Räder von duftendem Käse und andere köstliche Sachen.
Ein paar Tage nach unserer Landung besuchten Julian und ich die frisch eingetroffenen Truppen. Ich war für die Dauer meiner Wiedereinberufung zum Colonel ernannt worden, hauptsächlich, um meine Anwesenheit in Julians unmittelbarem Stab zu rechtfertigen; für die meisten Männer war ich nicht mehr als ein weiterer anonymer Offizier, auch wenn manche Die Abenteuer des Captain Commongold gelesen hatten und sich vielleicht an meinen Namen erinnert hätten, wenn ich ihn hätte verlauten lassen. Julian war hingegen durch seinen Rang, seine Jugend, den blonden Bart und die makellose Uniform so bekannt wie ein bunter Hund. Männer salutierten oder versuchten, ihm die Hand zu schütteln, als wir eine Reihe von Kojen abschritten, die man in einem leeren Stall improvisiert hatte. Eine Artilleriegranate hatte ein Loch ins Dach gerissen, und Julian kam mir in dem kalten Bündel Tageslicht wie ein Heiliger in einem Gemälde vor. Er beherrschte die Kunst, nicht bloß Zuversicht auszustrahlen, sondern sie auch zu erzeugen, als sei Mut so etwas wie Wärme und Julian ein Steinkohleofen. Das machte aus seinen Männern bessere und loyalere Soldaten, denn sie kamen zu der Überzeugung, Captain Comstock müsse ein strategisches Genie sein. Ich glaube, sie hätten, wenn diese Unverfrorenheit erlaubt gewesen wäre, abergläubisch an seinen Bart gefasst.
Ich ließ den Blick über das Meer von Gesichtern schweifen, das Julian umgab, in der Hoffnung, jemandem aus dem alten Montreal-Regiment zu begegnen. Über Lymon Pugh hätte ich mich zum Beispiel gefreut, aber er war nirgends zu sehen. Stattdessen stieß ich zu meinem Leidwesen auf das Gesicht eines mir sattsam bekannten Gauners — des Gefreiten Langers, der immer noch Gefreiter war. Als ich auf ihn zuging, wandte er seinen ausgemergelten Körper ab und versuchte mir zu entkommen; doch die Menge war zu dicht für sein Manöver.
»Gefreiter Langers!«, rief ich laut.
Er blieb stehen und drehte sich um. Erst war er von meinem neuen Rang und meiner Position eingeschüchtert und gab vor, ich müsse ihn wohl für jemand anders halten; zu guter Letzt lenkte er dann ein und meinte: »Ist hier irgendwo Sam Samson? Hoffentlich nicht. Sie waren immer anständig zu mir, Adam Hazzard, aber dieser alte Mann hat mich als Schwindler beschimpft und verprügeln lassen — er scheint nur schlecht von mir zu denken.«
»Er heißt jetzt Godwin, nicht mehr Samson, und er gehört zu Julians Stab; ich denke nicht, dass Sie noch etwas zu befürchten haben. Keiner von den beiden ist nachtragend. Sie tun aber gut daran, wenn Sie still sind und sich nicht drücken. Schließlich sind Sie bei bester Gesundheit.« Obwohl seine Nase ein bisschen buckliger war, als ich sie in Erinnerung hatte. »Verkaufen Sie denn noch solche Kinkerlitzchen vom Schlachtfeld?«
Er wurde rot und sagte: »Momentan nicht … das muss aber nicht so bleiben …«
»Ich hoffe, Sie hören auf, die Toten zu bestehlen und die Lebenden zu betrügen!«
»Ich bin ein besserer Mensch geworden«, sagte Langers. »Was nicht heißt, dass ich den einen oder anderen ehrlich abgeknöpften Dollar verabscheue …«
»Freut mich zu hören«, sagte ich. »Ich meine, das mit dem besseren Menschen. Ich richte es Sam und Julian aus.«
»Das ist sehr freundlich, aber bringen Sie die beiden nicht auf mich … ich würde viel lieber unbemerkt bleiben. Sagen Sie, Adam — ich meine, Colonel Hazzard —, stimmt das, was man sich über diese Expedition erzählt?«
»Schwer zu sagen, wenn ich nicht weiß, wer ›man‹ ist und was man sich erzählt.«
»Dass wir eine Geheimwaffe gegen die Deutschen haben — etwas Vernichtendes und Chinesisches und Unerwartetes.«
Ich erklärte ihm, dass ich nichts davon wüsste; aber ich bin mir nicht sicher, ob er mir das abgenommen hat.
Später im Kommandostand, oben in der früheren Bürgermeisterei von Striver, wurde Julian philosophisch, als ich ihm von Langers erzählte. »Wenn Langers ein besserer Mensch geworden ist, dann wird Deklan noch zum Philosophen. Aber solange er mit einem Gewehr umgehen kann, soll’s mir recht sein. Was mich mehr interessiert, ist die Bemerkung über eine chinesische Geheimwaffe.«
»Ist da was dran?«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Nein, natürlich nicht. Aber es könnte die Moral stärken, wenn die Armee an dieses Phantom glaubt. Du hilfst nicht, das Gerücht zu verbreiten, Adam … aber du dementierst auch nicht, hörst du?«