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»Julian …«, hob Sam an.

»Komm mir jetzt nicht mit deinem Pessimismus, Sam, bitte!«

»Wir wissen doch noch gar nicht …«

»Es gibt immer etwas, was wir noch nicht wissen — Kampf ist Risiko. Gib den Befehl aus!«

Und Sam tat, was ein gehorsamer Diener tun muss: Er gab den Befehl weiter.

Zehn Minuten später entpuppte sich das Schiff als die vertraute Basilisk von Admiral Fairfield, und wir hielten Ausschau nach dem Rest der Armada …

Bis uns klar wurde, dass es da draußen nur dieses eine Schiff gab — die Basilisk.

Ich kann kaum beschreiben, wie Julian aussah, als er das begriff. Er wurde noch blasser, als er es von Haus aus war. Sein Blick irrte umher. Die blau-gelbe Uniformjacke, die er so kühn und unerschrocken getragen hatte, hing ihm von den hängenden Schultern wie eine einzige Zurechtweisung.

Admiral Fairfield tat, was in seiner Macht lag. Die Basilisk gehörte zu den besten Kriegsschiffen der Vereinigten Staaten, und Fairfield holte alles aus ihr heraus. Er pflügte mit Volldampf in den Hafen, alle Segel gerefft, die Schornsteine rauchten, als würde unter Deck die Hälfte der Weltkohle verheizt. Er rauschte schräg an den deutschen Kais vorbei und bedachte Goose Bay mit ein paar wohlplatzierten Schüssen. Dann kam er die Küste heraufgeschippert und eröffnete das Feuer auf die mitteleuropäischen Stellungen in unserem Kampfgebiet. Was uns enorm geholfen hätte, wenn die Granaten ihr Ziel erreicht hätten. Aber die deutsche Küstenabwehr war gut bestückt und gut verschanzt und feuerte aus allen Rohren. Doch die Basilisk bot dem Sperrfeuer die Stirn und pirschte sich näher heran, nur um uns Entlastung zu bringen. Ihre Masten knickten weg, und je näher sie kam, desto verletzlicher wurde sie — sie gab sich erst geschlagen, als die Flammen aus dem Vorderdeck schlugen. Fairfield konnte nur noch abdrehen, solange sich die Schiffsschrauben noch drehten, und Kurs auf Striver oder sonst einen geschützten Ort am oberen See nehmen …

Julian sah der Basilisk hinterher. Erst als sie außer Sichtweite war, drehte er sich um und befahl Sam, das Signal zum Rückzug zu geben. Seine Stimme klang so kalt und schaurig, als komme sie aus einem Loch in einem alten, hohlen Baumstamm. Auch Sam ließ die Schultern hängen, er kehrte uns sprachlos den Rücken zu, schüttelte den Kopf und ging.

Ein Rückzug ist nicht so berauschend wie ein Angriff, aber er kann gut oder schlecht organisiert sein. Julian verdient Anerkennung für einen wohlüberlegten Rückzug aus der Katastrophe.

Trotzdem war es ein verlustreiches und demütigendes Manöver. Als wir uns leidlich formiert hatten, um den Gewaltmarsch nach Striver anzutreten, wimmelte es hinter uns von Deutschen. Julian befahl frische Truppen (was immer er mit »frisch« meinte) nach hinten, und es waren deren wohlüberlegte Manöver aus Scheinangriff und Rückzug, die entscheidend dazu beitrugen, die große Masse des Heeres vor Schlimmerem zu bewahren.

Bei dem nutzlosen Versuch, Gleise und Brücken hinter den mitteleuropäischen Linien zu zerstören, war der größte Teil unserer Kavallerie aufgerieben worden, so dass wir der deutschen Reiterei ausgeliefert waren. Deren Kommandos kamen von schräg vorne und versuchten ganze amerikanische Kompanien zu isolieren. Auf diese Weise verloren wir mehr als ein paar Infanteristen. Doch wann immer so ein Gefecht ausbrach, ritt Julian mit Feuereifer an den Ort des Geschehens und stärkte den Männern den Rücken; und wir setzten uns mit einer Heftigkeit zur Wehr, die den Gegner langsam, aber sicher zermürbte.

Kurz vor Sonnenuntergang kamen die ersten Häuser von Striver in Sicht. Boten hatten die Garnison gewarnt; man hatte bereits einen Verteidigungsgürtel aus Baumverhauen und Schanzen um Striver gelegt und für freies Schussfeld gesorgt. Ein willkommener Anblick für ein geschlagenes Heer — oder das, was davon übrig war. Die Dominion-Wagen fuhren voraus, damit die Verwundeten so schnell wie möglich ins Feldlazarett kamen.

Julian, Sam und ich unterstützten die taktischen Manöver der Nachhut, während die Masse der Männer Schutz in der besetzten Stadt suchte. Das ging eine ganze Weile gut, denn die Deutschen hatten sich verzettelt und brachten keinen geordneten Sturmangriff zustande. Aber sobald ihre Artillerie aufgerückt war, wurde die Lage brenzlig.

Granaten, die mitten unter dicht marschierenden Männern krepieren, deren Sicherheit zum Greifen nahe ist, sind das perfekte Rezept für Tod und Panik. Genau das passierte. Gemessen an unseren wirklichen Verlusten hielten sich die aktuellen in Grenzen — die Verteidiger von Striver brachten die deutschen Geschütze sofort zum Schweigen, als sie sich einmal darauf eingeschossen hatten —, aber der moosbewachsene Boden vor unseren Schützengräben in dieser langen, kalten und schrecklichen Abenddämmerung war im Nu mit Körperteilen übersät und mit amerikanischem Blut getränkt.

Julian war ein weithin sichtbares Ziel, und ich wunderte mich, dass noch kein deutscher Schütze auf die Idee gekommen war, ihn einfach aus dem Sattel zu fegen. Doch wie schon in der Schlacht von Mascouche bei Montreal schien ihn eine Aura der Unverwundbarkeit zu umgeben, die heiße Bleikugeln ablenkte.

Diese wundersame Aura reichte nicht für die Männer an seiner Seite. Unsere Feldflagge ging zu Boden, weil das Pferd eines Stabsoffiziers durch Granatsplitter getötet wurde. Sam stieg sofort ab und bückte sich, um das Banner aufzuheben. Kaum hatte er es wieder aufgerichtet, als ihn eine deutsche Kugel traf — Sam wankte und kippte um.

Was dann passierte, weiß ich nicht mehr genau — nur dass ich zwei Männer herbeirief, die mir halfen, Sam zu einem Dominion-Wagen zu tragen, in dem schon ein Dutzend Verwundete auf ihre Behandlung warteten. Als ich dem Ambulanzkutscher erklärte, er habe jemanden aus Julians Führungsstab an Bord, trieb er sogleich seine Maultiere an. Ich fuhr mit — zur Portage Street, einer breiten Straße in Striver, wo sich das behelfsmäßige Lazarett befand.

Die Gewehr- oder Schrapnellkugel hatte Sams linken Unterarm erwischt und die schmalen Knochen oberhalb des Handgelenks durchschlagen; das Geschoss hatte so viel Fleisch mitgenommen, dass fast nur noch lose Enden und Fetzen übrig waren. Die linke Hand war nahezu abgetrennt und hing nur noch an ein paar dünnen, blutigen Knorpelsträngen.

Sam war bei Bewusstsein, kämpfte aber mit einer Ohnmacht; er bat mich, ihm den Arm abzubinden, um die schreckliche Blutung zu stillen. Ich war froh, ihm helfen zu können, und kümmerte mich nicht um das Blut, das über meine sowieso schon zerrissene Uniform spritzte — es war so viel, dass mich ein Lazarettgehilfe mit großen Augen ansah und wissen wollte, wo ich denn getroffen sei.

Das Lazarett war überfüllt, und am Eingang wurden immer mehr Verwundete abgeladen. Drei Ärzte machten Dienst, davon waren zwei mit Operationen zugange, die nicht unterbrochen werden konnten. Zum Glück kümmerte sich der dritte sofort um Sam, als ich ihm dessen hohe Position meldete.

Nach einer knappen Untersuchung erklärte der Arzt, er müsse wohl oder übel amputieren. Sam gefiel die Idee nicht, er machte kraftlose Anstalten zu protestieren, bis der Arzt ihm ein Tuch an den Mund hielt, das er zuvor mit etwas Flüssigkeit aus einer braunen Flasche getränkt hatte. Sam gab sofort Ruhe. Wie er so dalag mit geschlossenen Augen, sah die Behandlung mehr nach Mord als nach Barmherzigkeit aus; doch der Arzt schien zufrieden, nachdem er eines von Sams Augenlidern hochgeklappt und Sams Pupille gesehen hatte.

»Man braucht das Zeug nur einzuatmen, und die Wunde heilt?«, fragte ich neugierig.

Der Arzt schien mich zum ersten Mal wahrzunehmen. »Davon heilt keine Wunde«, sagte er. »Es erleichtert mir nur die Arbeit. In welcher Beziehung stehen Sie zu dem Mann?«