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Ich saß dafür doppelt so lange an Sams Bett. Wenn Sam nicht gerade schlief, dann schwieg er — aber manchmal redete er, und dann gab ich mir Mühe, ihn aufzumuntern. Einoder zweimal erwähnte er seinen Vater — ich glaube, den jüdischen, nicht den Adoptivvater —, und ich bat Sam, mehr von ihm zu erzählen.

»Welcher Arbeit ist dein Vater nachgegangen?«, fragte ich.

Sam schien abgemagert, so wie er sich unter den Decken abzeichnete. Draußen war es kalt, und es schneite ein bisschen. Auch die Kohle wurde rationiert, und die Öfen im Lazarett konnten die Kälte nicht wirklich vertreiben. Immer wenn Sam redete, wurden die Worte zu kleinen Nebelschleiern, als atme seine sterbliche Lunge nach und nach seine unsterbliche Seele aus. »Er war ein Abwracker«, sagte Sam.

»Was hat er denn abgewrackt?«

»Er hat im Schiffskanal von Houston gearbeitet, unten in Texas, wo ich herkomme.«

»Und wie ist es da unten?«

»Im Kanal? Der Kanal ist die Hölle. Ein giftiger Graben so groß wie eine Hauptstadt, reich an Kupfer und Aluminium, nicht für Menschen geschaffen, sondern fürs Öl und die Fabriken der Säkularen Alten. Mit ein bisschen Glück und Schläue kannst du da ganz schnell ganz viel Geld machen. Aber es lauern schreckliche Gefahren auf dich. Das Wasser ist eine Kloake, und es gibt keine Krankheit, die da nicht ausgebrütet wird. Ich war noch sehr klein, als ich Abwracker gesehen habe, die vom Kanal kamen und denen Blut in Bächen aus der Nase lief oder deren Haut schwarz und verschrumpelt war. Mein Vater hat sich immer in Acht genommen und Stiefel und Handschuhe getragen und eine Lederschürze. Es gab Tage, da karrte er fast eine Tonne Kupfer oder Aluminium aus dem Kanal, oder Schlamm, aus dem man Arsen, Kobalt, Blei und andere wertvolle Elemente gewinnen konnte, für die es an der Börse in Galveston einen Aufpreis gab. Mit dreißig hatte er genug zusammengespart, um seine Familie nach Osten zu verfrachten. Aber der Kanal brachte ihn um, wie er schon so viele umgebracht hatte, nur langsamer. Er starb ein Jahr später in Philadelphia, erstickt an den Tumoren, die in Brust und Hals gewuchert waren. Meine Mutter war zu der Zeit schon schwindsüchtig und zerbrechlich — sie überlebte ihn keinen Monat mehr.«

»Und dann hat dich eine christliche Familie adoptiert.«

»Er war ein freundlicher, aber reservierter Mann, ein Freund meines Vaters. Er und seine Frau sorgten für mich, bis ich alt genug war, um zur Militärakademie zu gehen — mein Vater hatte genug Geld für meine Ausbildung hinterlegt.«

»Aber du musstest deine Religion verleugnen.«

»Sagen wir, ich tat so, als hätte es sie nie gegeben. Was mein Vater zeitlebens getan hatte. In meiner Familie, Adam, erschöpfte sich die Frömmigkeit darin, dass wir an gewissen Wintertagen Kerzen anzündeten und ein paar unverständliche Gebete sprachen. Meine Adoptiveltern wussten nichts davon und haben nie etwas erfahren.«

Das war ein trauriges Bekenntnis, und ich bekam rote Ohren bei dem Gedanken, dass ich seine Gebete für Zauberei gehalten hatte, früher in Williams Ford, als ich noch blutjung und unerfahren gewesen war. »Hättest du gerne, dass ich für dich bete, Sam? Ich könnte ein jüdisches Gebet sprechen, wenn du es mir beibringst.«

»Keine Gebete, bitte, weder jüdische noch christliche — das funktioniert nicht. Ich bin weder das eine noch das andere.«

Ich sagte ihm, ich verstünde seine missliche Lage, da ich selbst ein Mischling sei, weder ein Schlangenbändiger wie mein Vater noch ökumenisch fromm wie meine Mutter. Ich befand mich östlich des Skeptizismus und nördlich des Glaubens, mit ungeeichtem Kompass und bei wechselndem Wind. Konnte ich denn nicht wie jeder andere ein Gebet an Gott richten und alles Weitere dem Adressaten überlassen?

»So bald brauche ich noch keine Fürbitten«, sagte Sam, wobei seine Stimme wieder undeutlicher wurde. »Ich wünschte mir allerdings meine Hand zurück — das schon. Ich glaube, ich kann sie noch fühlen — zur Faust geballt und brennend. Adam!«, rief er plötzlich, die Augen schwammen und blickten in die Ferne. »Wo ist Julian? Wo ist Admiral Fairfield? Wir müssen die verdammten Deutschen zurückschlagen!«

»Beruhige dich — das ist nicht gut für deine Wunde.«

»Zum Teufel mit meiner Wunde! Julian will mich bestimmt fortschicken — das darfst du nicht zulassen! Er braucht meinen Rat, mehr als ich jemals meine linke Hand gebraucht habe! Sag ihm das, Adam … sag ihm …!«

Dr. Linch wurde aufmerksam, kam herüber und zwang Sam, ein Opiumpräparat zu schlucken. Nicht lange, und Sam beruhigte sich. Er schlief wieder ein.

»Erholt er sich?«, fragte ich den Arzt.

»Sein Fieber ist gestiegen. Das ist kein gutes Zeichen. Nach dem Geruch zu urteilen, könnte etwas Fäulnis in der Wunde sein.«

»Es wird ihm aber doch bald wieder besser gehen?«

»Das ist ein erbärmliches Hospital, Colonel Hazzard, und es wird noch erbärmlicher, wenn die Vorräte knapp werden. Nichts ist sicher.«

Ich wollte etwas Beruhigenderes von ihm hören; doch Dr. Linch blieb stur und schwieg eisern.

Ich hätte nicht gedacht, dass sich Sams Befürchtung bewahrheiten würde. Aber Julian schickte ihn tatsächlich fort.

Die angeschlagene Basilisk lag unweit des Hafens vor Anker, und Admiral Fairfield kam mit einem Boot an Land. Der Hafen, der außerhalb der Reichweite der deutschen Artillerie lag, war noch fest in unserer Hand, und wir hätten nichts dagegen gehabt, wenn jetzt die amerikanische Flotte aufgekreuzt wäre. Doch wie schon in Goose Bay gab es hier nur das eine Schiff, dessen Takelage von Matrosen wimmelte, die damit beschäftigt waren, die Schäden zu beseitigen. Die immer noch stattliche Basilisk nahm sich aber vor dem kalten Gewässer des Lake Melville und dem fernen Grat des Mealy-Gebirges klein und verloren aus. Der Admiral kam den Pier herauf — ich merkte ihm an, wie verbittert er war. Er hüllte sich in Schweigen, während ich ihn zu Julians Hauptquartier brachte.

In der Abgeschiedenheit dieses Hauses, in dem früher der deutsche Bürgermeister residiert hatte, saß oben im ehemaligen Schlafzimmer, das Julian als sein persönliches Büro requiriert hatte, ein Admiral Fairfield — dessen anfängliche Zweifel an Julians Führungsqualitäten einer widerwilligen und schließlich unumwundenen Anerkennung gewichen waren — und erklärte, seine gesamte Flotte sei von Lake Melville abgezogen worden.

»Abgezogen!«, platzte Julian heraus. »Warum?«

»Der Befehl kam ohne jede Begründung«, sagte Admiral Fairfield angewidert. »Aus New York.«

»Von meinem Onkel, wollen Sie sagen.«

»Davon gehe ich aus.«

»Und alle haben gehorcht, nur Sie nicht?«

»Offiziell deckt die Basilisk unseren Rückzug gegen deutsche Angriffe. Das war meine Entschuldigung; ich wollte zurückbleiben, bis ich meinen Beitrag — der dürftig genug war — geleistet und mit Ihnen gesprochen hatte.«

»Das heißt, Sie werden uns in Kürze verlassen«, sagte Julian nachdenklich. »Und Sie können natürlich keine Verstärkung herbeischaffen.«

»Ich sage es nicht gerne, aber so ist es. Unseren Versorgungsoffizier werde ich anweisen, alle nicht unbedingt erforderlichen Vorräte abzuladen, und ich nehme alle Verwundeten mit, die eine bessere Behandlung brauchen, als ihnen ein Feldlazarett bieten kann. Mehr kann ich nicht tun.«

»Wir bleiben also hier zurück«, sagte Julian, »belagert, bis wir Hungers sterben oder kapitulieren … nur weil mein durchgeknallter Onkel es so will.«

»Mein Treueid steht einer Anerkennung dieser Wahrheit im Weg. Zur Not, General Comstock, könnten Sie einen Ausfall nach Osten wagen. Die einzige Straße dort bringt Sie unweigerlich zu den Narrows, sie ist aber unbefestigt, und die Festungen an den Narrows wären bestimmt noch in amerikanischer Hand, wenn Sie eintreffen. Ich gebe zu, ein Akt der Verzweiflung.«