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Die Uhr am Backofen piepte und Juniper aß schweigend ihre Pizza. Sie konnte sich kaum daran erinnern, wie die Pizzas früher geschmeckt hatten, bestimmt besser.

Unter dem Tisch kratzte Kitty an ihrem Bein. »Hast du Hunger?« Juniper stand auf. »Sie haben dir wieder nichts zu fressen gegeben, stimmt’s?« Kitty wedelte mit dem Schwanz, als ihr Napf mit braunen Bröckchen gefüllt wurde, und verschlang sie rasch.

Juniper räumte auf und beschloss, in ihr Zimmer zu gehen. Sie könnte wieder einmal die Vögel und Eichhörnchen im Wald vor ihrem Fenster beobachten. Oder endlich dieses Drehbuch schreiben, nach dem ihre Eltern immer verlangt hatten. Das wäre doch was! Aber wem wollte sie eigentlich etwas vormachen? Sie wusste, es würde nicht gut genug für sie sein. Sie war sich sicher, dass alles, was sie schreiben würde, auf dem ständig wachsenden Stapel von ungelesenen und hastig zur Seite gelegten Drehbüchern ihrer Eltern landen würde.

Als sie gerade den Fuß auf die erste Treppenstufe gesetzt hatte, hörte sie den Schüssel in der Haustür.

»Mom! Dad!« Aufgeregt lief sie auf ihre Eltern zu. Was soll’s, ich esse einfach noch eine Pizza, dachte sie. Aber dann blieb sie plötzlich stehen.

Ihr Vater wankte wie betäubt ins Haus. Im Schatten der Haustür sah er aus wie ein Fremder. Dann ging er ohne ein Wort an seiner Tochter vorbei.

Juniper grinste. Er versucht, mich zu erschrecken, dachte sie. »Dad!«

Doch er lief einfach weiter. Sie sah zu ihrer Mutter, die Juniper achtlos ihren Mantel zuwarf. Juniper fing ihn auf, rannte zu ihrem Vater hinüber und streckte die Hand aus.

Aber sosehr sie auch an seinem Ärmel zog, er drehte sich nicht um. Er schimpfte nur mit auf den Boden gerichtetem Blick vor sich hin. »Alles Amateure, die ganze Film-Crew. Warum hab ich mich bloß darauf eingelassen, mit diesen Leuten zu arbeiten? Sie werden den kompletten Film ruinieren. Vermutlich muss ich jede einzelne Rolle selbst spielen, damit aus der Sache was wird.«

»Ich verstehe einfach nicht, warum sie diesen jungen Dingern so anspruchsvolle Rollen geben«, ärgerte sich ihre Mutter. »Die Ansprüche haben sich geändert, so viel ist sicher. Das arme Mädchen bringt ja nicht mal einen britischen Akzent zustande.«

Mr. und Mrs. Berry redeten weiter, ohne einander wirklich zuzuhören und ohne Juniper, der sie nur im Vorbeigehen kurz über das Haar strichen, besondere Beachtung zu schenken.

Als sie die Treppe hinter dem Wohnzimmer erreicht hatten, gingen sie in unterschiedliche Richtungen davon und krönten ihren Abgang mit einem Türenknallen.

In letzter Zeit waren eine Menge Türen geknallt worden. Genau genommen war es für Juniper der Normalzustand geworden, ihre Eltern nachdenklich und frustriert zu sehen. Mittlerweile verschmolzen alle Tage miteinander. Juniper war sich sicher, dass genau dieser Moment schon einmal hätte passiert sein können.

Juniper ging die Treppe hinauf zum Zimmer ihrer Mutter. Wenn ihre Eltern zu Hause waren, folgte sie ihnen oft auf Schritt und Tritt. Doch meistens waren Mr. und Mrs. Berry so teilnahmslos, dass Juniper es genauso gut hätte lassen können. Trotzdem lief sie ihrer Mutter auch an diesem Tag durch die vielen Zimmer der Villa nach. Es hatte zu regnen begonnen, und die Tiere, die Juniper so gerne von ihrem Fenster aus beobachtete, waren nirgends zu sehen. Deshalb hatte sie nichts anderes zu tun, als herauszufinden, worüber sich ihre Mutter diesmal geärgert hatte. Vielleicht konnte Juniper ihr ausnahmsweise einmal helfen.

Mrs. Berry stürmte durch das Haus, eine zusammengeknüllte Zeitung in der einen Hand und ein rotes Touchphone in der anderen. Mit ihrem Handy versuchte sie ständig, jemanden zu erreichen. Sie hatte lange, dünne und sehr durchtrainierte Beine. Ihr Oberkörper war ebenfalls lang und schien so biegsam wie warmer Gummi zu sein, und ihr wunderschönes Gesicht wurde von einer feuerroten Mähne umgeben. Wegen der vielen Haare fiel den meisten Leuten gar nicht auf, wie leer ihre Augen waren.

»Juniper, Schatz, du bist doch bestimmt ständig im Netz auf diesen Klatsch-Seiten und in Internetforen unterwegs. Werde ich dort erwähnt? Was schreiben die Leute über mich? Finden sie mich gut? Oder lässt meine Beliebtheit nach?«

»Ich lese diese Sachen nicht«, murmelte Juniper. Und das war die reine Wahrheit. Genau genommen hielt sie den Computer für den langweiligsten Gegenstand im ganzen Haus. Immer wenn sie davorsaß, könnte sie schwören, dass sich der Bildschirm mit jedem Aufleuchten einer neuen Seite über sie lustig machte. Natürlich gab es im Internet eine Menge Informationen, doch sie wurden niemals so lebendig wie die Dinge, die Juniper in ihrem Kopf oder im Wald hinter ihrem Haus sah.

»Red keinen Unsinn. Natürlich liest du diese Seiten. Jeder tut es.«

»Aber … ich wohne mit dir zusammen.«

Nun musste Mrs. Berry ihre Tochter endlich ansehen. Ihr Körper bewegte sich mit einer unheimlichen Geschwindigkeit und ihre Arme taten in wenigen Sekunden eine Menge verschiedener Dinge. Sie trank einen Schluck Kaffee, nahm ihre Pillen, sah in den Spiegel und trug etwas Make-up auf, fegte ein paar von Kittys Hundehaaren von ihrem Kleid, nahm noch mehr Pillen und aß mit drei achtlosen Bissen einen Müsliriegel.

»Schreiben sie, dass ich älter aussehe? Dass ich mal wieder einen richtigen Erfolg brauche? Eine Komödie? Hätte ich nicht schon wieder ein Drama machen sollen? Das war die Idee deines Vaters. Was schreiben sie?«

»Ich weiß es nicht.«

»Ach, du bist auch zu gar nichts zu gebrauchen!«, stellte Mrs. Berry schnippisch fest.

Juniper starrte schweigend auf den Teppich. Wieder stiegen die Erinnerungen in ihr hoch.

»Ich könnte niemals ohne dich leben«, hatte Mrs. Berry einmal zu ihr gesagt. »Du bist alles, was ich brauche. Du und dein Vater.« Es war ein merkwürdiger Zeitpunkt gewesen, um so etwas Nettes zu sagen. Ihre Mutter stand nach vorne gebeugt mitten auf der Straße und band mehrere Päckchen Knallfrösche aneinander, die alle zusammen so lang waren, dass sie die halbe Straße hinunterreichten. Ihre Mutter schaffte es immer wieder, sie zu überraschen. »Aus der Schusslinie, Schätzchen«, sagte sie in einem der vielen Akzente, die sie beherrschte. »Gleich brennt hier die Luft.« Sie hielt ein Streichholz an die Zündschnur und rannte geduckt zu Juniper hinüber. »Runter!«

Mutter und Tochter warfen sich ins Gras und beobachteten nah beieinanderliegend die wirbelnden Funken, die auf der Straße herumhüpften und nur langsam verglühten. Es war nicht einmal der 4. Juli, aber das machte nichts.

Jetzt ließ sich Mrs. Berry rückwärts auf ein riesiges und ziemlich kitschiges Bett fallen. Sie seufzte schwer. »Ich halte das nicht aus, Juniper. Sie wollen immer mehr. Mehr, mehr, mehr. Ich bin die Einzige, die ihnen so viel geben kann.« Ihre Lippen wurden schlaff und sie flüsterte: »Wir sitzen in der Falle, dein Vater und ich. Wir leben zweidimensional. Unser Leben gehört nicht mehr uns.« Sie setzte sich auf und sah Juniper zum ersten Mal richtig an. »Pass auf dich auf, sonst wird dir dein Leben auch noch gestohlen.«

Juniper ging zum Bett und rollte sich neben ihrer Mutter zusammen. Mrs. Berry legte den Arm um sie und zog sie an sich. Für einen kurzen Moment wurde Junipers ganzer Körper warm. Bitte geh nicht fort, dachte sie. Du darfst mich niemals verlassen.

»Mom, du könntest doch aufhören«, sagte sie. »Häng die Schauspielerei einfach an den Nagel.«

Was immer es gewesen war, das kurz in den Augen ihrer Mutter aufgeleuchtet hatte, erlosch augenblicklich. Sie zog ihren Arm zurück, setzte sich gerade hin und sah auf ihre Tochter hinab. »Wie kannst du nur so etwas sagen? Ich drücke der Welt meinen Stempel auf. Wieso geht das einfach nicht in deinen Kopf?« Die Worte schossen wie Pfeile aus ihrem Mund und verletzten Juniper tief.